Brasilien

Sehnsuchtsland zwischen Bücherdeckeln

Von Julio Segador  · 03.06.2014
Ein großes sportliches Ereignis steht an, die Fußball-WM - und das hat auch Auswirkungen auf den Büchermarkt: Wer nicht nach Brasilien fliegen kann, kann sich mit Hilfe eines Buches hinträumen. Doch nicht alle Bücher zeichnen ein rosa-rotes Bild des Landes.
Brasilien ist eine Reise wert, soviel steht fest, wenn man die vielen Bücher durchblättert, die pünktlich zur Fußball-WM über das Gastgeberland erschienen sind. Kein Wunder, es geht nicht um irgendein Land, sondern um das Sehnsuchtsland schlechthin, wie Jens Glüsing in seinem Buch "Brasilien – Ein Länderporträt“ beschreibt.
"Brasilien war immer ein Projektionsland unserer eigenen Sehnsüchte. Das fängt an mit Stefan Zweig und seinem berühmten Buch: 'Ein Land der Zukunft. Ein Land der Sehnsüchte und der Alpträume'. Brasilien, da kommen sofort die Bilder der schönen Frauen und der Strand, die netten Leute und der Fußball; und auf der anderen Seite eben Straßenkinder und Gewalt, Amazonasabholzung; und zwischen diesen Extremen schwanken wir in unserer Wahrnehmung."
Jens Glüsing, der Spiegel-Korrespondent für Lateinamerika, hat sein Länderporträt sehr politisch-analytisch angelegt. Er geht weit zurück bis in die Zeit der Sklaverei und schildert eindrücklich, wie deren Folgen sich bis heute in Brasilien auswirken. Ganz anders Andreas Wunn vom ZDF, der seine Zeit als Korrespondent eher anekdotenhaft aufarbeitet und dabei ur-brasilianische Momente schildert. Das erste Mal beim Samba-Tanzen, das erste Mal auf dem Surfbrett in Ipanema, schließlich die intimsten Geheimnisse von Liebesbeziehungen unter Brasilianern. All das nachzulesen in dem Buch: "In Brasilien geht's auch ohne Textilien“. Ein Titel, der natürlich vor allem auf die vielen Strände in Brasilien zielt.
Die Copacabana als demokratischer Ort
Mit dem berühmtesten Strand Brasiliens, der Copacabana, hat sich Dawid Danilo Bartelt beschäftigt in seiner "Biographie eines Sehnsuchtsortes“. Er geht ebenfalls weit zurück in die Geschichte, als die Copacabana noch eine wilde Dünenlandschaft war, in der sich Arme und Reiche, Weiße und Farbige schöne Stunden machten. Die Einsamkeit, die gibt es dort heute nicht mehr. Ein demokratischer Ort ist die Copacabana immer noch:
"Nach der brasilianischen Gesetzgebung ist der Strand ein öffentlicher Ort, der jedem zugänglich sein muss. Deshalb haben wir hier nicht etwas, was wir an südamerikanischen Stränden vorfinden, wo man plötzlich an irgendeinen Zaun stößt und dann einen Obolus entrichten soll, das ist hier nicht der Fall. Und das andere ist, dass am Strand sich tatsächlich die unterschiedlichen Schichten und Klassen begegnen. Brasilien ist eine sehr ungleiche Gesellschaft mit riesigen Einkommensunterschieden und da sitzt dann der hochbezahlte Bankangestellte neben dem einfachen Straßenjungen in der Badehose im selben Sand und die trinken dasselbe Kokoswasser."
"Tudo Bem" - alles in Ordnung. Fast immer
Vor der Fußball-WM darf Brasilien als Land der begnadeten Kicker literarisch natürlich nicht zu kurz kommen. Das Standard-Werk dazu "Brasilien – Land des Fußballs“ hat Martin Curi veröffentlicht. Ungeheuer detailreich erfährt man in seinem Buch auf 350 Seiten alle großen und kleinen Dinge über den brasilianischen Lieblingssport. Der sich durch die WM und die neuen Hochglanz-Stadien mit FIFA-Standard verändert – nicht unbedingt zum Guten, meint Martin Curi:
Also es ist völlig klar, dass eine Veränderung des Publikums stattgefunden hat. Es gibt keine Stehplätze mehr, die Stadien wurden teurer und wirken wie so klinisch sterile Shopping-Center. Das spricht eine ganz andere Klienten-Schicht an. Menschen mit geringem Einkommen kommen nicht mehr in die Stadien. Und dadurch, dass so wenig Zuschauer kommen, ist die Stimmung schlecht in den brasilianischen Stadien.
Mit der Stimmung im Land – um die es ja nicht zum Besten steht - hat sich Peter Burghardt in seiner "Gebrauchsanweisung für Brasilien“ auseinandergesetzt. Der Lateinamerika-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung schreibt über die vielen Auf und Ab's Brasiliens und schildert, warum die Zauberformel "Tudo bem“ – alles in Ordnung - eigentlich immer zieht. Fast immer: Dass eine überschäumende WM-Stimmung so gar nicht aufkommen will – dagegen ist sogar die Allzweck-Floskel "Tudo bem“ machtlos:
"Die Leute sind halt nicht so blöd, die merken schon, dass da Geld rausgeschmissen wird, das man für andere Dinge hätte verwenden können, für Krankenhäuser, für Schulen, statt für diese 12 Stadien. Also das ist ja teurer als Deutschland und Südafrika zusammen. Das haben die Leute jetzt gemerkt und das lassen sie sich nicht gefallen. Und noch dazu zwei solche Veranstaltungen hintereinander: WM und Olympia – das ist glaube ich zu viel für so ein Land, und vor allem für eine Stadt wie Rio."
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