Chor der Woche

Ansingen gegen Vorurteile

Eine Person - man sieht nur die Hand - trägt einen Karton mit einem Stapel Deutsch-Polnischer Wörterbucher.
Nicht alle sprechen Deutsch und Polnisch, bei den Lieder helfen sich die Chormitglieder gegenseitig. © picture-alliance / ZB / Jens Büttner
Von Franziska Rattei  · 06.12.2013
Bei seiner Gründung vor 31 Jahren trug der deutsch-polnische Chor Bremen die Worte "Frieden und Verständigung" noch im Namen. Er sollte helfen, gegenseitige Vorurteile über Bord zu werfen - und tut es bis heute.
Leiterin: "Jako Bogu cześć Mu dali."
Ganzer Chor: "Jako Bogu cześć Mu dali."
Leiterin: "Gut. Na Ciebie króle, prorocy."
Ganzer Chor: "Na Ciebie króle, prorocy."
Vor rund 30 Sängerinnen und Sängern steht eine schmale, blonde Frau. Alice Nowak leitet den deutsch-polnischen Chor Bremen seit sechs Jahren. Ihr Vorgänger, der inzwischen verstorbene Gründer des Chors, Rochus Salanczyk, wäre glücklich darüber, meint einer der wenigen Bässe, Darek Kortas.
"Alice Nowak ist für mich beste von Besten, was gibt’s hier in unserem Chor."
Der Mittfünfziger singt seit mehr als 20 Jahren im deutsch-polnischen Chor Bremen. Für ihn ist die Musik nicht nur eine Freizeitbeschäftigung, sondern auch ein Instrument, sich mit seiner zweiten Heimat Deutschland zu identifizieren.
"Singen macht lustig und bringt auch Menschlichkeit – sag ich so, für mich persönlich. Weil: Viele Leute können keine polnische Sprache, und ich hab auch Schwierigkeiten mit deutsche Sprache. Aber wenn wir singen: sagen wir: ist egal, wie es funktioniert. Das bringt was. Da sind wir zusammen."
Emotionen und Herzlichkeit
"Inmitten stiller Nacht“ singen die deutsch- und polnischsprachigen Chormitglieder gemeinsam und proben für ihr Nikolauskonzert, für das die Leiterin, Alice Nowak, traditionelle Weihnachtslieder aus beiden Kulturen ausgesucht hat:
"Polnische Weihnachtslieder sind sehr besonders, im Charakter. Das sind sehr oft Volkslieder fast, die sehr temperamentvoll sind."
Das Repertoire des Chors besteht grundsätzlich aus deutschen und polnischen Stücken. Es umfasst Volkslieder beider Nationen, Lieder von Chopin, Mozart und Mendelssohn-Bartholdy, aber auch Messen und Choräle.
"Wenn ich ein Musikstück höre oder wenn ich neue Noten bekomme, dann ist für mich eigentlich das Wichtigste, welche Gefühle, welche Emotionen dabei entstehen."
Gefühl und Herzlichkeit haben die studierte Musikerin und Sozialpädagogin auch zum deutsch-polnischen Chor Bremen gebracht. Bevor Alice Nowak dessen Leiterin wurde, war sie eine der Sängerinnen; sieben Jahre lang. Die in Stettin geborene Polin suchte in der Hansestadt Kontakte. Genau die konnte ihr der Chor bieten. Und sie traf nicht nur Landsleute und aufgeschlossene Bremer, ganz nebenbei lernte sie auch die hanseatischen Bräuche kennen.
"Das war für mich so spannend, so eine Kohlfahrt zu machen. Oder unsere erste Weihnachtsfeier, unsere erste Sommerfeier – einfach dabei zu sein und gucken, wie Menschen, die in verschiedenen Kulturen groß geworden sind, einfach sich zusammen wohlfühlen und sich ergänzen."
Chor: "Still, still, still“ – "Groß, groß, groß, die Lieb’ ist übergroß./Gott hat den Himmelsthron verlassen/und muss reisen auf den Straßen."
Vorher war das Nachbarland Polen fremd
Viele der Mitglieder – egal, ob Deutsche oder Polen – erzählen, dass der Chor eine große emotionale Anziehungskraft auf sie ausgeübt hat und sie deshalb dabei geblieben sind. Auch Karin Szameit ist es so gegangen. Seit 20 Jahren singt sie im Sopran. Vorher waren ihr Polen und seine Bevölkerung fremd. Aber ihr Lehrer-Kollege und Gründer des Chors, Rochus Salanczyk, lud sie zu einer Chorfreizeit nach Danzig ein.
"Also man hat sich dann privat aufgenommen. Ich bin da hingefahren und ich war bei einem Ehepaar, die sprachen vielleicht drei Worte Deutsch und ich überhaupt kein Polnisch. Ich hab dann im Wohnzimmer auf dem Sofa geschlafen, und es war überhaupt nicht schlimm. Ja, das war irgendwie umwerfend."
Mit fliegenden Fahnen verließ Karin Szameit den Kirchenchor, in dem sie bis dato gesungen hatte. Allerdings: Polnisch spricht sie bis heute nicht. Aber das macht nichts. Ihre langjährige Freundin, Edeltraud Tkocz, hilft ihr immer wieder gern aus, wenn es Probleme mit der Aussprache gibt.
"Eng zum Beispiel: e mit so einem Haken unten dran – das ist ein eng. Ein a mit einem Haken, ist nicht ein a, sondern ein ong. Ein c und z – das ist ein tsch. Und ein s und ch, ist ein sch. Also das auseinanderzuhalten ist gar nicht so einfach."
Edeltraud Tkocz, fast 80 Jahre alt, spricht Deutsch und Polnisch – notgedrungen, sagt sie. Sie wurde im oberschlesischen Gleiwitz geboren, dem Ort, in dem der Zweite Weltkrieg begann. In den 70er-Jahren siedelte sie nach Bremen aus, wo sie mit vielen Vorurteilen konfrontiert wurde. Der deutsch-polnische Chor, der damals noch "deutsch-polnischer Chor für Frieden und Verständigung“ hieß, war für sie ein Versöhnungschor.
"Dieses Miteinander im Chor, das ist einmalig. Das ist einmalig! Ich hab so einen Chor noch nicht erlebt! Und ich bin seit dem ersten Tag dabei, und, ja - bin geblieben, bis heut."
Knapp 70 Jahre nach Kriegsende hat sich das deutsch-polnische Verhältnis stark gewandelt. Die Vorurteile sind weniger geworden. Aber gegen die, die geblieben sind, singt der deutsch-polnische Chor weiter an.
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