"Die Haft an sich ist die Sühne"

Moderation: Tom Grote · 25.01.2007
In der Debatte um die Freilassung der früheren RAF-Terroristen hat sich auch Andres Veiel, Regisseur des Films "Black Box BRD", geäußert. Im Fall von Brigitte Mohnhaupt habe das Gericht festgestellt, dass das Ende der Strafe erreicht sei. Dies sei ein juristischer Akt. Genau wie bei anderen Straftätern könne man nicht zusätzlich öffentliche Reue fordern.
Grote: Sie haben sich nie für ihre Taten entschuldigt, hoffen aber dennoch auf Haftentlassung. Die Rede ist von den früheren RAF-Terroristen Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt. Keine Gnade für sie ohne Reue, das fordern nun Politiker vor allem von CDU/CSU und FDP. Am Telefon ist jetzt Andres Veiel, er ist Autor und Dokumentarist. Er hat unter anderem das Stück "Der Kick" geschrieben, aber eben auch "Black Box BRD" gemacht, ein Film und ein Buch über die Machtprobe zwischen Staat und Rote-Armee-Fraktion. Guten Tag, Herr Veiel!

Veiel: Ja, hallo!

Grote: Auf der Internetseite Ihres Films "Black Box BRD", da steht seit langem zu lesen: Der Kampf ist vorbei, die Wunden sind noch offen. Ist das heute – 30 Jahre nach dem heißen Herbst – immer noch so?

Veiel: Das ist auf jeden Fall so. Man muss nur auf die Reaktionen der RAF-Ausstellung vor zwei Jahren gucken, wie heftig da in den alten Grabenkämpfen wieder gefochten wurde. Also die Reflexe, die alten Reflexe aus den siebziger, achtziger Jahren, sind dann plötzlich vollkommen aktiv, auch wenn man denkt, eigentlich ist es jetzt ein, zwei Generationen später, und man könnte etwas gelassener und sachlicher auf die Geschichte der RAF mal gucken.

Grote: Wieso ist die Haut noch so dünn?

Veiel: Ich glaube, dass der Diskurs verständlicherweise einerseits auch von den Opfern bestimmt wird, weil, wenn man einen nahen Angehörigen verloren hat, dann ist natürlich die Reaktion, die Täter sollen weiter hinter Schloss und Riegel bleiben. Aber ich glaube, wenn ich sage, von sachlicher Diskussion, wenn ich davon rede, dann ist es wichtig, dass staatliche Stellen und insbesondere auch die Gerichte nicht jetzt nur die Perspektive der Opfer übernehmen, sondern sie müssen eine eigene Position haben, sie müssen unabhängig jetzt von Täterperspektiven und Opferperspektiven auf den Fall an sich gucken, und da ist es einfach so, dass nach 24 Jahren jetzt im Fall von Brigitte Mohnhaupt das Gericht sogar festgestellt hat, das Ende der Strafe soll jetzt erreicht sein. Da kann man dann nicht fordern, die Täter sollen noch mal öffentlich Reue bekunden. Das ist ein ganz normaler juristischer Akt, das Gericht hat es beschlossen, und ich glaube, dass es auch sinnvoll ist, dass die Täter jetzt freikommen, aus verschiedenen Gründen.

Grote: Das heißt, was gerade in Deutschland passiert, ist für Sie alles andere, bloß keine sachliche Diskussion?

Veiel: Das sind sehr populistische Äußerungen, wenn ich jetzt an die Stellungnahme von Herrn Stoiber denke, der eben - wie immer – gar nicht auf den Einzelfall guckt, dass hier eben schon juristisch festgelegt wurde, dass Frau Mohnhaupt entlassen werden soll, sondern einfach erstmal sagt, die sollen jetzt öffentlich einen Kniefall machen. Ich fände es persönlich wünschenswert, wenn es eine Auseinandersetzung gibt über die Frage, was jeder zu verantworten hat, dieser Täter, wie sie dazu gekommen sind, und zwar in der ersten Person Singular, aber ich glaube, dass diese Auseinandersetzung erst dann wirklich produktiv stattfinden kann, wenn die Täter nicht mehr in Haft sind.

Grote: Halten Sie eine Entschuldigung für völlig unsinnig?

Veiel: Es geht nicht darum, dass ich das jetzt für unsinnig halte. Ich denke, wenn ein Täter dazu bereit ist, das öffentlich zu tun, dann finde ich das auch wünschenswert. Bloß, denke ich, dass kann man nicht verlangen, weil das sind sehr persönliche innere Prozesse, die bei dem einen so ablaufen, beim anderen so, und das kann jetzt nicht die Voraussetzung sein, das man sagt, es soll praktisch die öffentliche Reuebekundung erst erfolgen, erst dann darf man einen Täter entlassen. Der Staat darf nicht rächen. Es gibt andere Zwecke und Ziele der Strafvollstreckung. Es gibt die Abschreckung. Es gibt die Frage, inwieweit die Gesellschaft geschützt werden muss. All das, wenn man sich jetzt die Täter der RAF anguckt, man muss jetzt nicht mehr abschrecken, ja, es gibt in dem Sinne keinen Nährboden, sie sind auch nicht mehr gefährlich. Das heißt, selbst Bundesanwalt Hemberger hat gesagt, Frau Mohnhaupt in der Anhörung ist absolut glaubwürdig, sie hat der Gewalt abgeschworen. Was will man denn noch mehr! Das ist doch ganz viel. Da ist doch schon sehr viel in Gang gekommen.

Grote: Also wird letztlich mit zweierlei Maß gemessen, denn von einem Schwerverbrecher, der seine Strafe abgesessen hat, verlangt man ja auch nicht, dass er sich hinterher entschuldigt?

Veiel: Ganz genau. Da werden sozusagen die alte, die große Irritation und auch Verletzung, man kann auch jetzt aus der Perspektive der Opfer von Traumatisierung sprechen, wird übernommen, und man verlangt jetzt von den RAF-Tätern etwas, was weit über das normale Maß hinausgeht, und ich finde, da sollte ganz nüchtern draufgeguckt werden, und in dem Sinne, weil die eigentlichen Kriterien, jetzt eine Strafe noch weiter zu vollstrecken, nicht mehr gegeben sind aus den besagten Gründen, muss man nüchtern draufgucken, und da gibts nur eine Konsequenz, sie zu entlassen.

Grote: Nüchtern ist für die Angehörigen der Opfer aber ganz schön schwierig, Herr Veiel!

Veiel: Das ist richtig. Also noch mal: Ich denke, ich kann verstehen, wenn Frau Rohwedder oder auch der Sohn von Herrn Buback, wenn die persönlich da anders drüber denken, aber das muss man eben trennen. Dass sie weiter verletzt sind und auch traumatisiert durch den Verlust und das lebenslänglich bleiben, das muss man nicht nur akzeptieren, das finde ich absolut nachvollziehbar, aber ich glaube, dass es eben wichtig ist, dass Staat und auch übrige Organe, die jetzt über die Freilassung zu entscheiden haben, sich unabhängig machen und nicht populistisch sich diesen Argumenten jetzt anschließen.

Grote: Herr Veiel, würde man den Entschuldigungen von Klar und Mohnhaupt, nehmen wir mal an, die würden jetzt kommen, würde man denen wirklich glauben?

Veiel: Das denke ich schon.

Grote: Auch jetzt in dieser Situation, nachdem sie gefordert wurden?

Veiel: Ja. Ich glaube, dass sie in dem Sinne nicht einen Kotau machen würden, bloß um freizukommen. Man hat ja auch gemerkt in den Gesprächen mit Christian Klar, dass er sehr, man könnte es negativ sagen, sehr rigide oder in dem Sinne, dass da wenig Auseinandersetzung innerhalb des Gefängnisses stattgefunden hat, weil er auch da wenig Möglichkeiten hatte, nach außen sich auseinanderzusetzen. Wer kommt denn ins Gefängnis, wo finden denn Gespräche statt? Das heißt, ich habe da einen Menschen erlebt, der gebrochen ist, aber der trotz dieser Haftschädigung, die er offensichtlich in diesen vielen Jahren erlitten hat, in dem Sinne, wenn man so will, aufrecht geblieben ist. Das kann man positiv und negativ deuten, also von daher glaube ich schon, dass man sie ernst nehmen kann mit dem, was sie tun und was sie zu sagen haben. Ich glaube nicht, dass sie opportunistisch jetzt irgendwelche Satzmuster von sich geben würden, nur um einen "positiven Eindruck" in der Öffentlichkeit zu erreichen.

Grote: Mal weg von der Entschuldigung zur Vergebung: Wer kann Mohnhaupt und Klar vergeben?

Veiel: Ich glaube, dass das im Moment die falsche Kategorie ist, weil das setzt ja voraus, dass ein Straftäter von den Opfern erst Vergebung erlangen muss, bevor dann sozusagen die Strafe gesühnt ist. Die Haft an sich ist die Sühne, und vergeben könnten die Opfer, aber sie müssen es nicht. Ich weiß nicht, ob man überhaupt vergeben kann, aber das sind andere Kategorien, das sind sozusagen auf der persönlichen Traumatisierungsebene der Opfer, die können, wenn sie bereit sind, an einem Tag ihnen zu vergeben, aber ob sie es tun, muss man trennen von der Frage eben, ob dann die Täter frei kommen oder nicht.

Grote: Aber wäre das Thema RAF nicht erst wirklich nach dem Eingeständnis von Schuld auf der einen Seite und nach der Vergebung auf der anderen Seite bewältigt?

Veiel: Ich glaube, dass ich noch einen Schritt davor machen würde, nämlich die offene Reflexion und Auseinandersetzung. Birgit Hogefeld hat ja schon eins gemacht, schon während ihres Prozesses, sie hat in der ersten Person Singular über ihre eigene Geschichte, sie war ja in der dritten, letzten Generation der RAF, aktiv dabei, sie hat das sehr persönlich reflektiert. Das war ein ganz mutiger und damals sehr ungewöhnlicher Schritt, weil die übrigen und sehr viele, und dazu rechne ich jetzt auch Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar, sehr stark sich in diesem Kollektivgedanken weiterbewegt haben und das einzelne, persönliche, individuelle Personen gar nicht in Erscheinung getreten sind. Da gab es nur das Kollektive "Wir und ihr", und deshalb hat bislang da wenig bis gar keine Auseinandersetzung stattgefunden, und merkwürdigerweise ist das ja genau etwas, was wir, sage ich jetzt mal, unsere Generation den Vätern und Großvätern im Dritten Reich vorgeworfen haben. Da gab es ja auch dieses "Wir und ihr", ihr könnt das nicht verstehen, wir haben das und das mitgemacht, das heißt, da hat die RAF und einige Mitglieder, wie gesagt, Birgit Hogefeld ist eine Ausnahme, haben in gewisser Hinsicht diese Muster übernommen, das heißt, da gibt es ganz wenig persönliche Stellungnahmen, persönliche Auseinandersetzung, und das wäre sozusagen der erste Schritt und danach kann es dann um die individuelle Verantwortung von Schuld und der Reue und der Frage gehen, was bedeutet Reue dann für jeden Einzelnen.

Grote: Sollten Klar und Hogefeld jetzt nicht freikommen, was sagt uns das über die Bundesrepublik?

Veiel: Also ich denke, das ist ein Zeichen, dass da mit unterschiedlichem Maß gemessen wird, und das fände ich sehr traurig, weil wir dann eben in diesen alten Grabenkämpfen stehen bleiben. Es gibt keine Entwicklung, es gibt die Argumente der siebziger und achtziger Jahre, und wir haben inzwischen 2007, und ich glaube, dass die jüngste Generation, also die, die jetzt Anfang 20 sind, die haben ein Anrecht zu fragen, die haben ein Anrecht zu wissen, und dafür braucht es die persönliche Auseinandersetzung. Und wenn das weiter verhindert wird, wenn man die Leute, wie mir jemand mal gesagt hat, im Knast verschimmeln lässt, dann wird diese Auseinandersetzung so nicht möglich und dann werden wir erst recht nicht zu einer Aufarbeitung dieser Jahre kommen.

Grote: Debatte um die Freilassung der früheren RAF-Terroristen Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt. Dazu Andres Veiel, Autor von "Black Box BRD". Vielen Dank, Herr Veiel, für das Gespräch!