Zweite Staffel der Serie "Surviving R. Kelly"

Noch immer schweigen die Großen der Branche

08:07 Minuten
Der US-Musiker R. Kelly steht im Lichtschein auf einer Bühne.
Schon seit vielen Jahren gibt es Missbrauchsvorwürfe gegen den US-Musiker R. Kelly - hier bei einem Auftritt 2013 in Los Angeles. © picture alliance / dpa /Invision /AP Photo / Frank Micelotta
Fabian Wolff im Gespräch mit Andreas Müller · 14.01.2020
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Gegen den US-Sänger R. Kelly gibt es seit Jahren Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs. Nun läuft in den USA die zweite Staffel der Doku-Serie "Surviving R. Kelly". Musikjournalist Fabian Wolff hat den Fall verfolgt – und ordnet die Serie für uns ein.
Andreas Müller: Vor mehr als zwei Jahren hat die #MeToo-Bewegung angefangen, das übergriffige, belästigende und kriminelle Verhalten von Männer in Machtpositionen öffentlich zu machen und Konsequenzen zu fordern.
Momentan werden diese Konsequenzen auch juristisch verhandelt: Der Prozess gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein läuft gerade in New York, und in Chicago wartet R. Kelly auf seinen Prozess wegen sexuellen Missbrauchs, Entführung und Kinderpornographie.
Aktuell läuft in den USA auf dem Sender Lifetime der zweite Teil der Doku-Serie "Surviving R. Kelly". Darin erklärt #MeToo-Gründerin Tarana Burke die Logik des Boykotts gegen ihn. Auf Deutsch übersetzt sagt sie in etwa: Wer zu R. Kelly tanzen wolle, könne das gerne tun. Aber man müsse wissen, dass man mit jedem Tanzschritt auch seine Verbrechen mitunterstützt.

Die neue Staffel gewährt neue Einblicke

Noch tiefer in den verstörenden Fall des R&B-Stars, der in den 90ern zum Superstar seines Genres wurde, steigen die zweite Staffel der Dokumentation und das Buch "Soulless: The Case Against R. Kelly" des Musikjournalisten Jim DeRogatis ein. Musikjournalist Fabian Wolff ist mit dem Fall vertraut.
Müller: Fabian, die Dokumentation heißt "Surviving R. Kelly". Wer steht im Mittelpunkt: R. Kelly selbst oder die Opfer, die seinen Missbrauch überlebt haben?
Fabian Wolff: In der ersten Staffel wurde beides gleichzeitig erzählt: der Aufstieg R. Kellys als Gospeltalent und R&B-Star aus Chicago, der mit "I Believe I Can Fly" Mainstreamerfolge feiert und mit Jams wie "Ignition (Remix)" zum König seines Genres wird – und gleichzeitig seriell vor allem minderjährige Mädchen missbraucht, auch entführt und in Abhängigkeitsverhältnissen hält.
Die Erfahrungen dieser Opfer stehen im Fokus, gleichzeitig wird ihr Leiden auch durch ziemlich geschmacklose filmische Mittel wie Musikuntermalung oder besonders dramatische Schnitte dargestellt.
In der ersten Staffel konnte die Produzentin Dream Hampton, eine Leitfigur des Hiphop-Feminismus und theoretisch versiert, die Balance zwischen ernsthaftem, ethischem Journalismus und Entertainmentbedürfnissen meistens halten. In der zweiten Staffel gelingt das nicht immer, sie tendiert eher zum Entertainment.

Ergänzung zur ersten Staffel

Müller: Der Untertitel der zweiten Staffel lautet "Die Abrechnung", womit wird abgerechnet?
Wolff: Auf Englisch klingt "The Reckoning" etwas weniger nach Nachmittagstalkshow und eher biblisch. Aber das ist das Spannungsfeld der Doku, die nicht auf einem Premiumsender wie HBO läuft, sondern auf Lifetime, dessen Serien und Filme oft sehr emotionalisieren.
Die zweite Staffel besteht vor allem aus Fußnoten zur ersten: Durch die Ausstrahlung vergangenes Jahr wurde auch die Justiz unter Druck gesetzt, endlich zu handeln. R. Kelly gab Gayle King ein bizarres Interview und wurde schließlich verhaftet, er wartet gerade auf seinen Prozess.
Im Mittelpunkt der zweiten Staffel stehen vor allem die jungen Frauen, die R. Kelly in den letzten Jahren sektenähnlich um sich geschart hat und deren Familien auf ihre Befreiung – und sei es aus dem mentalen Gefängnis der Abhängigkeit – warten. Aber es werden auch frühere Kapitel ergänzt: Damon Dash spricht über seine Verlobte Aaliyah, die R. Kelly als 15-Jährige "geheiratet" hat.
Dash nennt sie Opferlamm, denn hätte ihre Umgebung sie damals, Mitte der 90er-Jahre, besser geschützt, wäre auch R. Kellys Opfern danach ihr Leid erspart geblieben. Die größte Leerstelle, die die zweite Staffel füllt, ist ein Interview mit dem Reporter Jim DeRogatis, der R. Kellys Fall seit mehr als 20 Jahren begleitet.

DeRogatis interessierte sich früh für die Opfer

Müller: Jim DeRogatis hat auch ein Buch darüber geschrieben, "Soulless", also seelenlos. Warum kann ausgerechnet dieser weiße Rockkritiker aus Chicago die Verbrechensgeschichte des schwarzen R&B-Sängers erzählen?
Wolff: DeRogatis kennt den Fall vermutlich besser als jede andere Person. Er war sogar direkt involviert. Ihm wurde als Reporter anonym das Videoband zugeschickt, auf dem ein Mann, der allgemein für R. Kelly gehalten wird, zu sehen ist, der in den Mund eines minderjährigen Mädchen uriniert – und musste deswegen vor Gericht aussagen.
DeRogatis ist eigentlich Musikkritiker für die Chicago Sun-Times und hat auf Grundlage von öffentlichen Gerichtsakten bereits früh über die Missbrauchsvorwürfe berichtet. Die nationale Aufmerksamkeit ist zu der Zeit eher gering gewesen, da sich lokale Artikel nicht online verbreiten konnten.
DeRogatis ist kein Theoretiker, sein Buch ist keine kulturwissenschaftliche Untersuchung des Phänomens, auch kein stilistisches Meisterwerk, sondern ein sachliches Aufrollen des Falls, mit ihm als Ich-Erzähler. Es lebt, neben den ungeschönten, schmerzhaften Informationen, auch vom moralischen Ernst, mit dem DeRogatis das Schweigen und die Verteidigungen attackiert. Und es mutmaßt, dass R. Kelly lange nahezu unbehelligt agieren konnte, weil seine Opfer vor allem schwarze Mädchen waren.

Viele haben weggeschaut

Müller: Sie haben erzählt, dass DeRogatis den Unterstützern von R. Kelly ihr Stillschweigen vorwirft. Hält denn die Musikbranche, gerade im R&B und Hiphop, noch zu ihm?
Wolff: Er war ja eine Ikone, hat mit den größten Stars zusammen gearbeitet, er hat mit Jay-Z gleich zwei Alben aufgenommen, ein heiß begehrter Feature-Gast, der auch mit Stars wie Celine Dion zusammen gearbeitet hat. Lady Gaga hat noch 2013 eine Single mit ihm aufgenommen. Das Video dazu wurde auch noch von Terry Richardson, dem inzwischen ebenfalls von Missbrauchsvorwürfen belasteten Fotografen, gedreht. Inzwischen hat sie sich von ihm distanziert und entschuldigt, wie Chance the Rapper auch, aber das ist nicht die Regel.
Das war ein brisanter Punkt der letzten Staffel, dass viele Leute, bis hin zu Questlove von den Roots und Erykah Badu, sich nicht zu R. Kelly äußern wollten. Nur John Legend fand deutliche Worte. Auch in der zweiten Staffel fehlen die großen Namen, die Branche will sich dem nicht stellen und neue Interviewgäste wie Damon Dash sind zu sehr daran interessiert, ihre eigene Rolle zu verharmlosen. Eine ganze Industrie hat weggeschaut oder willig zugesehen, das machen die Doku und das Buch deutlich, und diese Komplizenschaft ist noch längst nicht vollständig aufgearbeitet.
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