Es hat gewisse Vorteile, wenn man zu der Sprache eine Distanz hat. Ich nehme Wörter wörtlich und dadurch bleibt immer diese Neugierde da.
Tabori hat in Budapest, wo er 1914 geboren wurde, Ungarisch und ein bisschen Deutsch gesprochen, doch er schreibt auf Englisch. Erste Romane im Londoner Exil, Kriegsberichte für die BBC, Dossiers aus dem Nahen Osten für den britischen Geheimdienst; in den 40er Jahren Drehbücher in Hollywood zum Beispiel für Alfred Hitchcock, Übersetzungen für Bert Brecht, Anfang der 50er ein erstes eigenes Stück, das Elia Kazan am Broadway inszeniert. Die mehr als zwei Dutzend Werke für Bühnen in Bremen, Bochum, München, Wien und wieder Berlin übersetzte hauptsächlich seine frühere Frau Ursula Grützmacher ins Deutsche. Auch die Farce "Mein Kampf", 1987 vom Autor selbst in Wien uraufgeführt. Taboris Alter Ego, der Menschenfreund und Bibelverkäufer Schlomo Herzl, drückt im Wiener Männerwohnheim den eben gescheiterten Kunstmaler Adolf Hitler an sein großes Herz, rät ihm, in die Politik zu gehen, am besten mit dem neuen Testament unterm Arm.
Meinst Du das im Ernst? - Ja, ich meine das im Ernst, nichts dabei. Natürlich müsstest Du Deine Grammatik verbessern und dazu das Markus-Evangelium studieren: "Und er kam nach Galiläa und sein Name verbreitete sich in der Fremde und er lehrte im Tempel." Markus verbesserte die Grammatik, indem er hinzufügte: "In IHREM Tempel." Und so erfand er das Ghetto. So einfach ist es.
(Aus Taboris "Mein Kampf")
Auch eine frühe Antwort auf Mel Gibsons "Passion Christi", vor allem aber Taboris Strategie, seine Lebenstragödie auszuhalten: Die Shoa - und der Segen, ihr entronnen zu sein.
80 Prozent der Familie sind umgekommen, auch mein Vater. Aber ich persönlich - in Sofia und Istanbul besonders - habe eine sehr schöne Zeit gehabt. Das habe ich mir nie ganz verziehen.
In den "Kannibalen" hat er dem Vater Cornelius, "einem bescheidenen Esser", in "My Mother's Courage" brechtisch seiner haarscharf "davongekommenen" Mutter Elsa und in "Jubiläum" dem großen Rest der Familie ein Denkmal gesetzt - und sie gleichzeitig alle an die Kasse gebeten - im Stück "Peepshow. Ein Rückblick" auch sich selbst.
Tabori inszeniert am liebsten die immerwährende Probe, das Theater auf dem Theater - und lässt sich dabei nicht mal von Gott oder Samuel Beckett aufhalten. In den "Goldberg Variationen" muss der Weltenschöpfer sein Projekt "Genesis" samt weitläufigen Konsequenzen wohl noch perfektionieren; und dem großen irischen Dramatiker ist offensichtlich entgangen, dass ein "Endspiel" auch ein Vorspiel mit Kaffee schlürfenden schlechtgelaunten Schauspielern hat. Das fertige Produkt auf die Bühne stellen würde ja bedeuten: es ist bewältigt - und das, will Tabori sagen, stimmt weder für ihn noch für uns.
Längst ist jeder hingerissen von diesem schnoddrig-eleganten, "Ich versteh' nix deutsch"-Kosmopoliten, der seine Anekdoten hinstreut: über das Emigranten-Amerika, wo Thomas Mann keinen Witz hinkriegt und deshalb die viel amüsantere Greta Garbo hasst, über den unfreundlichen Brecht und seine freundliche Frau Weigel oder - das Publikum lacht erleichtert: wie er als Etagenkellner im Berlin von 1933 einmal Göring im lila Pyjama sah.
Ich habe kein Zuhause und ich sage das ohne Pathos. Weil ich finde, dieses Fremdsein gehört zu meinem Beruf.
1992 erhielt er als erster nicht deutschsprachiger Autor den Georg-Büchner-Preis. In George Taboris Werk, las man, führe "jeder Witz in die Katastrophe" - als sei der Holocaust ein Unglück und nicht ein Verbrechen. Der Fremdling hat das nie korrigiert - liebenswürdige Menschen helfen wohl jedem aus der Klemme.