Dienstag, 30. April 2024

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"Lemonade" von Beyoncé
Ein musikalisches und filmisches Gesamtkunstwerk

Als Beyoncé auf Twitter mit Zitronen posierte, war zu ahnen, dass da etwas kommen würde. Dann war es aber doch eine Überraschung: Das neue Album "Lemonade" erschien zunächst nur auf Tidal, dem Streaming-Portal ihres Mannes Jay-Z. Es ist ein "Visual Album", zwölf Songs, die in einen einstündigen Film eingebettet sind. Azade Pesmen hat das Album gehört und den Film gesehen.

Azadê Peşmen im Kollegengespräch mit Anja Buchmann | 30.04.2016
    Beyoncé mit Coldplay Sänger Chris Martin beim Superbowl 2016
    Beyoncé mit Coldplay Sänger Chris Martin beim Superbowl 2016 (dpa / Tannen Maury)
    Anja Buchmann: Herzlich Willkommen, Frau Peşmen.
    Azadê Peşmen: Hallo.
    Buchmann: Wie ist ihr Gesamteindruck von "Lemonade", musikalisch beziehungsweise - ist ja ein Gesamtkunstwerk - inklusive Bonusfilm?
    Peşmen: Ja, also sowohl musikalisch als auch filmisch ist das ein Gesamtkunstwerk. Das kann man ohne Zweifel so sagen. Der Film und das Album, beides, sind in sich sehr stimmig und haben viele Details. Also man merkt, dass sich Beyoncé sehr viele Gedanken um das Konzept gemacht hat. Interessant ist auch vor allem, dass es Unterschiede gibt zwischen dem Film und dem musikalischen Album.
    Buchmann: Auch bei dem gerade gehörten Titel, nicht wahr?
    Peşmen: Den Song, den wir gerade gehört haben von Kendrick Lamar und Beyoncé, also der Teil von Kendrick Lamar, der taucht zum Beispiel in dem Film gar nicht auf, also der ist jetzt hier in dem Song zwar vertreten, aber im Film nicht und genauso ist es auch mit anderen Zitaten, die in dem Film wiederum aufkommen. Also die Zitate von "Malcom X" oder "Spoken Word" von Warsan Shire, das kommt auf dem musikalischen Album wiederum nicht vor.
    Buchmann: Wie würden sie die politische Bedeutung dieses Werkes einschätzen von Beyoncé. Ist das auch so eine Art Image-Wandel von ihr, der ja allerdings auch schon vor einiger Zeit, wenn dann eingesetzt hat, zum Beispiel mit dem Superbowl-Auftritt, also bei diesem American Football Finale. Dort hat sie auch schon ziemlich starke politische Symbole aus der schwarzen Befreiungsbewegung verwendet. Wie sehen sie das?
    Peşmen: Ja, also das haben sie schon ganz richtig eingeschätzt, das kam natürlich nicht ganz unerwartet. Sie hat sich tatsächlich in der letzten Zeit politischer positioniert, sie hat sich auch als Feministin bezeichnet und gerade den Song "Formation" - der ist ja auch auf dem Album - den sie in der Superbowl-Halbzeit performt hat, kritisiert sie ja ziemlich deutlich auch die Polizeigewalt gegen schwarze Menschen. Das wurde auch sehr viel diskutiert, also das Album "Lemonade" ist eigentlich nur eine logische Konsequenz aus all dem. Allerdings, das muss man dazu sagen, ich denke, sich in dem künstlerischen Schaffen so politisch zu äußern, das muss man sich auch erst mal leisten können. Beyoncé hat mittlerweile einen Status erreicht, wo ihr keine Major-Labels in die Texte reinreden können.
    Buchmann: Wie reagiert die schwarze Community im Netz zum Beispiel auf dieses Album und auf ihre politischen Statements?
    Peşmen: Ziemlich positiv. Also die meisten finden die Botschaften sehr "empowernt", sehr bestärkend. Auf Twitter und Facebook waren ziemlich viele begeisternde Stimmen zu lesen und ich denke, das liegt auch daran, dass sich die meisten mit den Themen, die Beyoncé anspricht, auch sehr stark identifizieren können und das natürlich auch über die USA hinaus. Also auch die schwarze Community in Europa und auch in Deutschland kann sich natürlich auch damit identifizieren, was Beyoncé in ihrem Album und auch in dem Film thematisiert.
    Buchmann: Also sie nehmen ihr das scheinbar auch ab, dass sie wirklich dahintersteht. Auch Kendrick Lamar hat ja beim Grammy-Auftritt und auch schon mit seinem letzten neuen Album deutliche politische Signale gesetzt. Ist das ein Trend, angesichts auch der zunehmenden Rassismusvorwürfen in den USA?
    Peşmen: Also ich würde gar nicht von einem Trend sprechen, sondern vielleicht viel eher von einer Kontinuität. Hip-Hop war und ist ja eigentlich auch immer ein Mittel gewesen, um Missstände und auch politische Ungleichheiten anzusprechen und offenzulegen. Also, sich politisch zu positionieren ist an sich jetzt gerade im Hip-Hop nichts Neues; und auch Rassismus und Rassismus Vorwürfe gibt es in den USA natürlich auch schon länger als Kendrick Lamar und Beyoncé. Vielleicht kommt das einem aber durch die sozialen Netzwerke so vor als wäre es vielleicht sichtbarer als vorher. Das kann natürlich sein.
    Buchmann: Das mag sein. Welche Rolle spielt, ihrer Einschätzung nach, die Veröffentlichungstaktik, also diese überraschende, kurzfristige. Vorher gab es ein paar nebulöse Hinweise - machen ja einige Künstler in der letzten Zeit, wie eben auch Kendrick Lamar, oder Rihanna hat auch relativ überraschend, glaube ich, ihr letztes Album dann lanciert. Und vor allem ist es auch eine Frage von: Möchte sie vielleicht auch den Streaming-Dienst ihres Ehemannes, Jay Z, "Tidal" pushen?
    Peşmen: Ja, also die Veröffentlichungstaktik hat natürlich eine Rolle gespielt. Das muss man schon so sagen. Das war ja auch beides - sowohl Film und Album - erst mal nur auf dem Streaming-Dienst Tidal zum Download und zum Stream verfügbar. Allerdings muss man dazu sagen, dass das in der gesamten Rezeption eigentlich eher untergeht, würde ich sagen.