Afghanische Ortskräfte in Eichstätt

Gut ankommen

06:39 Minuten
Oldenburg Demonstration: Solidarität mit allen Menschen, gegen Rassismus an den Grenzen, Oldenburg, 12.03.2022
Afghanische Flagge auf einer Demonstration für die Solidarität mit allen Geflüchteten: Seit Beginn des Ukraine-Krieges hat sich die Flüchlingssituation zugespitzt. © IMAGO/Eibner / Fabian Steffens
Von Michael Watzke · 21.03.2022
Audio herunterladen
Wie geht es afghanischen Ortskräften, die es nach Deutschland geschafft haben? Im oberbayrischen Eichstätt konnten Familien in einem Gasthof unterkommen. Dass sie kein Asylverfahren durchlaufen müssen, erleichtert ihre Situation.
„In Afghanistan war ich eine Lehrerin. Ich möchte gern auch hier mit Kindern in der Schule arbeiten“, sagt Ziba Achmadi aus Kabul. Seit zwei Monaten lebt die 35-Jährige im oberbayerischen Eichstätt. In einem alten Gasthof, den die Stadt extra für die afghanischen Ortskräfte und ihre Familien umgebaut hat.

„Wir sind in einem Heim, das ist gut für den Anfang, um in Deutschland zu leben. Und die deutschen Leute sind auch sehr nett.“

Mehrmals in der Woche arbeitet die Literaturwissenschaftlerin, die ihr Deutsch in Afghanistan gelernt hat, in einer örtlichen Grundschule. Dort, sagt Frau Achmadi, wolle sie vor allem lernen, wie deutsche Lehrerinnen unterrichten.

„Ich helfe den anderen Lehrerinnen. Und auch den afghanischen Kindern, die dort lernen. Es ist sehr gut für mich, dass ich auch einige Erfahrungen bekommen kann.“

Ziba Achmadi möchte langfristig in Deutschland bleiben. In Afghanistan hat sie für die Hilfsorganisation „Terre des femmes“ gearbeitet, die vor allem Frauen und Mädchen unterstützt.

Ein Großteil ihrer Familie lebt weiterhin im westafghanischen Herat: die Eltern, Geschwister, Onkel und Tanten. Nur Ziba Achmadi, ihr Mann und der sechsjährige Sohn sind vor zwei Monaten mit einem Bundeswehr-Flug nach Deutschland gekommen.

„Ich möchte gern, dass mein Sohn seine Ausbildung hier macht und seinen Lieblingsberuf finden kann.“

Kein Asylverfahren für Ortskräfte

Die NGO-Mitarbeiterin Achmadi ist ein Paradebeispiel dafür, dass mit den afghanischen Helfern meist gut ausgebildete Menschen nach Deutschland gekommen sind. Angela Müller von der Caritas in Eichstätt betreut die rund 60 Ortskräfte in der oberbayerischen Kleinstadt.

„Was sehr positiv ist im Vergleich zu den vielen Asylbewerberinnen, die ich sonst berate und betreue, ist natürlich, dass diese Personen nicht durchs Asylverfahren müssen. Das heißt, sie haben sehr viel schnelleren Zugang zu bestimmten Maßnahmen. Was leider schwierig war und noch immer nicht ganz gelöst ist, ist die Einpflegung ins Krankenkassen-System. Das ist sehr kompliziert, und die Behörden hier wussten auch nicht recht, wie sie das beschleunigen sollen.“

Eigentlich sollten die Ortskräfte von Anfang an krankenversichert sein. Eigentlich. Das wäre vor allem für die Familie von Zubair Salim Atazada wichtig. Der 29-Jährige und seine Frau erwarten in den nächsten Monaten ein Kind. Zubair wollte unbedingt nach Bayern. Am liebsten nach München, weil dort sein Onkel lebt.

„Mein Onkel arbeitet seit 27 Jahren in München. Wir wollten mit seiner Familie leben. Wir Afghanen feiern gern große Feste. Nicht öfter als Deutsche, aber zwei, dreimal im Jahr. Da ist es schöner, im Familienkreis zu sein.“

Afghanen werden freundlich aufgenommen

Zubair kam vor zwei Monaten von Kabul über Pakistan und Düsseldorf nach Eichstätt. Als Mitarbeiter der GIZ, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, schwebte er nach der Machtübernahme der Taliban in Lebensgefahr. Seine Ausreise nach Deutschland dauerte 14 Stunden. Vor kurzem unterhielt sich Zubair mit Asylbewerbern aus Syrien. Sie seien 25 Tage auf der Flucht gewesen.

„Manche syrischen Flüchtlinge zahlen mehr als 10.000 Euro für die Flucht nach Deutschland. Und sie kriegen oft nicht mal Wasser und Essen. Da dachte ich: Gott sei Dank ist meine Familie schnell und sicher hierhergekommen.“

In Deutschland fühlt er sich frei und sicher. Er habe gehört, die Deutschen seien rassistisch, aber das stimme gar nicht.

„Vor allem ältere Menschen und Frauen sind sehr freundlich zu meiner Familie und mir. Sogar, wenn sie hören, dass wir kein Deutsch sprechen.“

Auch Angela Müller von der Caritas findet, dass die einheimische Bevölkerung die afghanischen Ortskräfte überwiegend freundlich aufnimmt.

„Wir hatten im Februar im Stadttheater eine Veranstaltung, um potenzielle Ehrenamtliche anzuwerben. Da sind auch ziemlich viele gekommen, und inzwischen gibt es schon verschiedene Patenschaften, also einzelne Personen, die sich um einzelne Familien kümmern und weiterhelfen.“

Dramatischere Lage durch Ukraine-Krieg

Natürlich sei die gesamte Flüchtlingssituation in den vergangenen Wochen durch den russischen Überfall auf die Ukraine nochmal dramatischer geworden. Die Helfer müssten sich jetzt um viel mehr Menschen kümmern. Da bleibt oft weniger Zeit für Einzelne. Angela Müller hofft, dass die Neuankömmlinge aus Afghanistan deshalb nicht ins Hintertreffen geraten. Denn obwohl sie meist hochmotiviert und vergleichsweise gut ausgebildet seien, bräuchten sie enge Betreuung.
Denn: „Es werden noch so manche Enttäuschungen kommen. Denn die Anerkennung gerade von afghanischen Schul- oder Universitäts-Abschlüssen ist oft nicht so einfach. Dann gibt es natürlich auch ein paar Familien, die sehr belastet sind, wo Familienmitglieder krank sind. Oder die psychisch sehr belastet sind von der Situation. Man muss sich auch vorstellen, dass sie ihre Familienangehörigen zurücklassen mussten. Es konnten jeweils nur die Kernfamilien kommen. Manche mussten erwachsene Kinder zurücklassen in Afghanistan, und das belastet natürlich stark.“

Trotzdem: Die soziale Prognose sei für die meisten afghanischen Ortskräfte gut. Weil sie ihr Leben in Deutschland mit viel positiver Energie beginnen. So wie Zubair Salim Atazada, der aktuell vor allem mit dem Wetter kämpft: Das sei einfach unvorhersehbar.
Mehr zum Thema