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Kohlehochburg als Gastgeber der UN-Klimakonferenz

In Polen findet zum zweiten Mal die Klimakonferenz der Vereinten Nationen statt. Ausgerechnet in Polen, stöhnen Umweltaktivisten, denn beim Klimaschutz tritt unser Nachbar häufig noch auf die Bremse.

Von Sabine Adler | 11.11.2013
    Zum zweiten Mal richtet Polen eine Klimakonferenz der Vereinten Nationen aus. Vor fünf Jahren in Posen, nun knapp zwei Wochen in der Hauptstadt Warschau. Wie schon die zurückliegende Konferenz in Doha soll auch das Treffen in Warschau ein globales Klimaschutzabkommen vorbereiten, das 2015 in Paris beschlossen werden soll. Gestaffelt nach Industrie-, Schwellen- oder Entwicklungsland wird gefragt, welche Nation was unternimmt, um den Anstieg der Erderwärmung von zwei Grad gegenüber dem 19. Jahrhundert, also dem vorindustriellen Zeitalter, zu begrenzen.

    Druck auf die Experten aus knapp 200 Ländern dürften die Verwüstungen durch den Taifun Haiyan auf den Philippinen ausüben, fragen doch nicht nur Wetterexperten, ob derartig heftige Naturkatastrophen nicht doch Resultat des Klimawandels sind. Umso genauer werden die über 10.000 Teilnehmer überprüfen, wie derartige Schäden verhindert bzw. kompensiert werden, welche Klimaschutz-Maßnahmen taugen und ob das Tempo stimmt. Ausgerechnet in Polen, stöhnen Umweltaktivisten, denn unserem Nachbarn eilt der Ruf voraus, beim Klimaschutz noch häufiger auf die Bremse, denn aufs Gaspedal zu drücken. 2012 legte Polen bei einem EU-Umweltministertreffen in Brüssel sein Veto gegen zusätzliche CO2-Sparziele für die Zeit von 2020 bis 2050 ein. Im Land selbst herrscht ein nationaler Konsens: Nichts gegen unsere Kohle, die den polnischen Energiebedarf zu 90 Prozent deckt. An dieser Direktive hält auch Premier Donald Tusk fest.

    "Für uns ist weiterhin die Kohle am wichtigsten: Steinkohle, Braunkohle und bald auch Schiefergas. Das ist die Zukunft der polnischen Energiepolitik."

    Die Klima- und Umweltschützer fühlten sich herausgefordert, noch ehe der Gipfel überhaupt begonnen hat. Entsprechend misstrauisch wird die polnische Konferenzleitung beäugt. Von vielen Seiten. Auch wenn die Weltgemeinschaft erst 2015 in Paris neue Klimaschutzziele verkündet, sollen doch schon in Warschau die Länder vorschlagen, was sie über ihr jetziges Engagement hinaus tun. Nichts, wozu wir uns nicht schon jetzt verpflichtet haben, sagt Umweltminister Marcin Korolec.

    "Wenn andere europäische Staaten ihre Emissionen, so wie wir, auch um 32 Prozent reduziert hätten, – bei einem gleichzeitigen Wirtschaftswachstum von 200 Prozent seit den 90er-Jahren – dann wären wir heute woanders."

    Die Zahlen klingen gewaltig, doch Polen hat seit dem Ende des Kommunismus einen enormen Produktionseinbruch erlitten. Betroffen waren unter anderem die energieintensive Schwerindustrie, Stahl- und Chemiewerke; jeder dritte Betrieb machte dicht. Seit der Wende wächst die Wirtschaft Jahr für Jahr, doch die Ausgangsbasis ist immer noch niedrig. Der Ehrgeiz, ambitionierter auf umweltfreundliche Energien umzusteigen, ist nach wie vor gering. Das Etikett Blockierer hat sein Land dennoch nicht verdient, findet Umweltminister Korolec.

    "Polen hat keine anderen Ziele als die EU, wir sind eines von 28 Mitgliedsländern und damit einer der Teilnehmer in diesem Prozess."

    Im Bergwerk Bogdanka bei Lublin trifft die Haltung der polnischen Regierung auf Wohlgefallen bei Direktor Zbigniew Stopa. Solange man in Warschau an der billigen Kohle festhält, kann er planen. Gegen die Verringerung des schädlichen Kohlendioxids ist er durchaus nicht, nur: Sie betrifft ihn nicht, sondern die, die seine Kohle verbrennen, also die Kraftwerke.

    "Alle glauben, dass die Einstellung der Kohleproduktion die Welt vom Kohlendioxid erlösen wird. Aber Emissionen kann man auch durch modernere Kraftwerke reduzieren. Um rund 20 Prozent. Es geht um Wirtschaftlichkeit. Da ist die Kohle einfach am besten. Europa muss gegenüber China und den USA konkurrenzfähig sein, und dort wird das CO2-Problem ganz anders als hier betrachtet."

    Das sieht auch Polens Umweltminister Korolec so, der die USA als Beispiel anführt, die für Polen in vielerlei Hinsicht Vorbild sind, auch bei der CO2-Senkung.

    "Die USA haben durch die Nutzung des Schiefergases doppelt so viele Emissionen reduziert als uns das durch die europäische Klimapolitik möglich war. Ich habe die Hoffnung, dass uns zumindest ein Prozent des großen amerikanischen Erfolges beschieden sein wird, denn das Schiefergas wäre großartig für die Entwicklung der Wirtschaft, eine bessere Konkurrenzfähigkeit und sogar für die Reduktion der Emissionen."

    Drei Kriterien sind für Polens Energiepolitik entscheidend: der Preis, die Verfügbarkeit und die Unabhängigkeit von Russland. Erd- oder auch Schiefergas, alternative Energien und Atomkraft verdrängen die Kohle nicht so schnell, solange sie deutlich teurer sind. Erdgas wird zwar aus Russland eingeführt, von dem man lieber autark wäre, doch macht der Umfang nur fünf Prozent aus. Polen verfügt über die fünftgrößten Braunkohlevorräte der Welt; die Reserve beträgt 60 Millionen Tonnen; bei Steinkohle liegt Polen im Weltmaßstab an zehnter Stelle mit fast vier Milliarden Tonnen. Die Vorräte reichen ohne Schwierigkeiten bis 2050. Über 90 Prozent der elektrischen Energie wird in Polen aus Kohle produziert. 50 Prozent davon aus Stein- und 50 Prozent aus Braunkohle, Letztere mit abnehmender Tendenz. In Lubelski fördern rund 4800 Bergmänner Steinkohle aus rund 800 bis 1000 Metern Tiefe. Die Grube ist nach Angaben der Betriebsleitung die modernste in Polen, was auch an den günstigen natürlichen Gegebenheiten liegt.

    "Wir haben unter Tage nur wenig Methangas, denn glücklicherweise lebt in unserem Gestein eine Bakterienart, die das Methan verarbeitet."

    Über 110.000 Polen sind im Bergbau beschäftigt, hinzu kommen die damit verbundenen Industriezweige. Bei einer Arbeitslosigkeit von 13 Prozent wagt es kein Politiker, einen Stellenabbau vorzuschlagen. Im Südosten Polens haben sogar 17 Prozent keine Beschäftigung; wer in der Bogdanka-Grube angestellt ist, schätzt sich glücklich. Konrad Klysiak ist 31 Jahre alt, Elektriker unter Tage.

    "Ich bin seit fünf Jahren hier. Für diese Arbeit sollte man mehr verdienen. Aber schlecht ist es auch nicht, man kann davon leben. Besser könnte es ja immer sein. Die Arbeit ist gefährlich und schwer. Man muss sie lieben.Ich mag sie. Es stört mich nicht, danach schwarz und schmutzig auszusehen."

    Jedes Jahr im Herbst, wenn die Heizsaison beginnt, wird in Krakau der Himmel trüb. Im zurückliegenden Winter überschritt die Luftverschmutzung die zulässigen Höchstwerte jeden Tag um das Sechsfache. Polens schönste Stadt ist zugleich die schmutzigste. Und im nordöstlichen Bialystok, wo die Luft vor zehn Jahren sauber war, herrscht jetzt erneut Smog-Alarm. Schuld ist die Kohle, die für Bialystok kommt aus dem nahen Weißrussland und ist ganz besonders preisgünstig. Krakaus Feinstaub-Belastung ist so hoch wie in der Acht-Millionen-Einwohner-Stadt London. Dabei leben in der alten polnischen Hauptstadt keine 800.000 Menschen. Alle Wohnhäuser werden dezentral mit Kohle geheizt. Die Einwohner haben genug von der Luftverschmutzung.

    Die Wojewodschaft reagiert. Über 150.000 Heizöfen sollen in Krakau in den kommenden zwei Jahren abgerissen werden. Die Regierung in Warschau will nachziehen und ein Gesetz erlassen, das Kohleöfen in besonders belasteten Regionen verbietet. In ganz Polen stehen eine Million veralteter Anlagen; ihnen geht es jetzt an den Kragen. Allerdings nur, wenn sie Wohnhäuser beheizen. Die Industrie darf weiter Kohle nutzen, da die Kraftwerke meist mit Filtern ausgestattet seien. Der Ökologe Marcin Sadowski vom Umweltschutz-Institut in Warschau hält einen schnellen Ausstieg Polens aus der Kohleindustrie derzeit für abwegig.

    "Aus gesellschaftlichen Gründen. Man muss das langsam durchführen. Viele Bergwerke wurden bereits stillgelegt, viele Bergarbeiter mussten umschulen. Aber solch ein Prozess braucht Zeit. Umso mehr, da wir Kohle besitzen.Wir müssen Kraftwerke modernisieren, denn wir können auf die Kohle nicht so schnell verzichten. Für mich ist das mehr ein politisches, als ein wirtschaftliches Problem."

    Eine Reihe alter ausgedienter Kraftwerke muss vom Netz genommen werden, so lautet die Selbstverpflichtung, die Polen gegenüber der Europäischen Union bis 2016 eingegangen ist. Doch die neuen Anlagen werden nicht rechtzeitig fertig, sodass die Regierung schon jetzt Versorgungslücken befürchtet, weiß Emil Prusek, Energieexperte der Gazeta Wyborcza:

    "2016/17 müssen wir mit Energieproblemen rechnen. Schuld ist die Untätigkeit in den zurückliegenden 20 Jahren, in denen keine größeren Investitionen vorgenommen worden sind."

    Polens schlimmste Dreckschleuder steht in Belchatow. Es ist das größte Wärmekraftwerk Europas und zugleich das größte Braunkohlekraftwerk der Welt. Seit 2005 wird es modernisiert und ausgebaut. Es galt schon vor seiner Erweiterung als Europas größter CO2-Produzent. Turow an der Grenze zu Deutschland wurde 1962 gebaut und gehört damit zu den ältesten und schädlichsten Kraftwerken. Über die Hälfte der polnischen Kraftwerke sind älter als 30 Jahre, müssen laut EU-Auflagen in den nächsten Jahren stillgelegt werden. Kozinice ist sogar 41 Jahre alt. Alle drei Belchatow, Turow und Kozinice zählt Greenpeace Polen zu den schlimmsten Luftverschmutzern. Ihr Feinstaub erzeuge Krebs und sei verantwortlich für den vorzeitigen Tod Tausender. Bereits im Winter 2015 können sich spürbare Versorgungslücken auftun, dann werden die ersten rund 100 Megawatt fehlen, im Jahr 2017 sogar 1100 Megawatt.

    "Laut Regierungsbericht wird es in den kommenden zwei Jahren keine neuen Kapazitäten geben, weil die Investitionen einen langen Vorlauf haben."

    Sorge bereitet den Experten der Preisverfall für Energie. Im letzten Jahr sollen die Strompreise im Großhandel um 20 Prozent gesunken sein, was die Rentabilität von Investitionen in der Energieproduktion infrage stellt. Sehr zum Ärger der Umweltschützer findet parallel zum Klimagipfel in Warschau ein sogenannter Kohlegipfel statt, der die Nachbar-Veranstaltung mit Sicherheit genauestens beobachtet. Bislang wurde noch jeder polnische Umweltminister vor allem dann zu Hause gefeiert, wenn er möglichst wirkungsvoll neue Reduktionsziele und -auflagen für Polen verhindert hat. Nicht nur wegen der Koalitionsverhandlungen hält sich Deutschland mit Druck auf Polen geflissentlich zurück. Energiepolitik ist immer noch Ländersache, den Strom-Mix bestimmt jede Regierung allein. Von einer Mischung könne in Polen kaum die Rede sein, kritisiert der Ökologe Marek Kryda aus Danzig.

    "Polen produziert als einziges Land in Europa 90 Prozent seiner Energie aus Kohle. Es gibt ständig Aufschreie, dass wir zu sehr von russischem Gas abhängen, dabei werden nur fünf Prozent der Energie aus importiertem Gas produziert. Das Festhalten an der Kohle ist eine rein politische Entscheidung: Wenn wir 500.000 Arbeitsplätze sichern, werden wir die nächste Wahl gewinnen, sagen sich die Politiker. Gleichzeitig aber wird die Gesellschaft nicht über die realen Kosten des Kohleabbaus informiert. Zum Beispiel mussten in den 90er Jahren viele Bergwerke dichtmachen; die Regierung zahlte Millionen Zloty an Abfindungen. Und was passierte danach? Die Bergarbeiter wurden wieder eingestellt; das Geld musste keiner zurückerstatten."

    Umweltschützer sind in Polen eine verschwindend kleine Minderheit. Es gibt keine grüne Partei im Parlament. Wer sich wirtschaftlichen Interessen entgegenstellt, wird, freundlich ausgedrückt, mit Befremden betrachtet. Entsprechend schwer haben es Aktivisten mit ihren Bedenken durchzudringen. Neben dem Preis wird immer auch die Unabhägigkeit ins Feld geführt, also Russlands Einfluss. Ein Ablenkungsmanöver, sagt der Ökologe Marek Kryda.

    "Warum sprechen wir nicht über diese 90-prozentige Abhängigkeit von der Kohle und reduzieren sie wenigstens um fünf Prozent? Warum reden wir nicht darüber, wie wir die EU-Ziele erreichen können? Warum fehlt uns dazu jeder Wille? Man spricht nur über das russische Gas, aber das ist eine Nebelwand. Schon jetzt können wir Gas aus Tschechien und Deutschland importieren und auf russisches Gas sofort verzichten. Wir sind nicht vom Gas abhängig, sondern vom Gaspreis. Das ist nichts als Propaganda, was fehlt, ist eine richtige öffentliche Debatte."

    Mit Genugtuung registriert der Umweltaktivist, dass die Euphorie über das Schiefergas merklich nachgelassen hat, denn die Vorkommen fallen kleiner aus, ihr Abbau könnte teurer werden als angenommen. In der Nähe von Danzig, dem polnischen Gdanks, wurde Schiefergas gefunden, die Bauern waren beunruhigt; Kryda hat sich für sie stark gemacht. Denn in der polnischen Politik wie in den Medien sei viel zu einseitig über den angeblich kostengünstigen Energieträger berichtet worden.

    "Niemand hat sich für unsere Einwände interessiert. Die Politik und die Medien haben Angst vor dem Thema. Mehrmals wurde über Gasvorkommen berichtet, aber nie als Debatte mit den Argumenten beider Seiten: Wer ist dafür, wer ist dagegen."

    Der Widerstand gegen das sogenannte Fracking ist in der polnischen Bevölkerung gering. Amerika wird in vielerlei Hinsicht bewundert. Auch für den Schiefergas-Boom, der jedoch viel früher als in Europa seinen Anfang nahm. Die USA haben einen Vorsprung von 20 Jahren und inzwischen 20.000 Bohranlagen. In Europa stehen gerade einmal 100, gibt Marcin Lewenstein, der Strategiedirektor des polnischen Gasversorgers PGNiG, zu bedenken.

    "Wir besitzen weniger Informationen als die Amerikaner. Außerdem darf man nicht vergessen, dass sie dieselben Förderstätten, die früher konventionelles Erdgas gefördert haben, heute für Schiefergas nutzbar machen. Sie haben also bereits viele Informationen über die geologische Beschaffenheit und das Fördersystem vor Ort. Wir dagegen suchen an ganz neuen Stellen. Unser Gas liegt wesentlich tiefer als in den Vereinigten Staaten. Somit ist eine Eins-zu-eins-Nutzung der Technologie nicht möglich."

    Der Traum von einem weiteren kostengünstigen Energieträger in heimischem Boden wird wohl nicht in Erfüllung gehen. In der zweiten Sitzungswoche werden sich neben den Experten der Regierungsdelegationen und Organisationen die Minister aus den Teilnehmerländern in die Debatten einklinken. Wenn sie in Warschau sind, gehen die Umwelt- und Klimaaktivisten auf die Straße, um ambitionierte Ziele einzufordern. Marek Kryda bezweifelt, dass seine polnische Regierung daran interessiert ist.

    "Die Regierung wird wahrscheinlich Druck ausüben, damit die Beschlüsse in ihrem Sinne ausfallen. Ich fürchte, dass der Gipfel bei dieser Einstellung Polens, dieser betonierten orthodoxen Fokussierung auf traditionelle Energiequellen nur ein Zeitverlust für Europa ist. Die EU behandelt Polen wie ein rohes Ei. Polen und Deutschland sind heute wie zwei Welten. Es gibt eine große Barriere. Wir haben keine Pläne, um uns anzunähern und zu einigen. Die polnische Energiepolitik ist kurzsichtig; wir schneiden uns ins eigene Fleisch."

    Der polnische Umweltminister möchte, dass bevor die EU-Länder neue Verpflichtungen eingehen, zunächst andere Staaten in die Verantwortung genommen werden. Eine Haltung, die die polnischen Energie-Wirtschaft goutiert. Der Chefstratege des staatlichen Gasversorgers Marcin Lewenstein:

    "Bis jetzt ist die EU einseitige Verbindlichkeiten eingegangen und erklärte sich dadurch zum Klimaschutz-Führer. Doch andere Länder wollen nicht nachfolgen. Das verschlechtert unsere Konkurrenzfähigkeit gewaltig. Nur noch Länder wie Deutschland, mit fortgeschrittenem Know-how und hoch entwickelter Technik können solchen Bedingungen standhalten. Wenn wir als EU führen wollen, dürfen wir das Kind nicht mit dem Bad ausschütten."

    Polen muss sich als Verhandlungsführer der 19. UN-Klimakonferenz neutral verhalten, wird sich aber dafür starkmachen, dass die EU keine einseitigen neuen Verpflichtungen eingeht. Die Bürger und die Wirtschaft hat die polnische Regierung dabei hinter sich.