Entlarven des taktischen Verhaltens

Von Maike Albath · 10.12.2011
Das Theaterstück "Sechs Personen suchen einen Autor" gilt als Meilenstein des modernen Dramas: Mitten in einer Probe tauchen Figuren auf, die ein Anrecht auf ihre Geschichte reklamieren. Geschrieben hat es der Sizilianer Luigi Pirandello, Romancier, Dramatiker, Essayist und Nobelpreisträger. Er verstarb am 10. Dezember 1936 in Rom.
Ganz offensichtlich war er zwei verschiedene Personen: einer für sich und ein anderer für seine Frau.

Die Spaltung des Ichs beschäftigte den Romancier und Dramatiker Luigi Pirandello sein Leben lang. Der wendige Mann mit dem Spitzbärtchen, 1867 als Sohn eines Schwefelgrubenbesitzers unweit von Agrigent auf Sizilien geboren, hatte in Rom studiert. Nach einer sprachwissenschaftlichen Promotion in Bonn kehrte er 1892 in die italienische Hauptstadt zurück und landete 1904 mit dem Roman "Mattia Pascal" seinen ersten großen Erfolg. Marco Carapezza, Linguist an der Universität von Palermo:

"Nach der italienischen Einigung von 1861 stellt sich ein bemerkenswertes Phänomen ein: Die beste Literatur wird von Sizilianern geschrieben. Verga, De Roberto, Pirandello und schließlich Brancati. Was ist das Besondere dieser Literatur? Sie setzen der italienischen Wahrnehmung eine Art Entzauberung entgegen. Denn unsere nationale Einigung war ein großer Einschnitt, man hat viel darüber diskutiert. Die norditalienische Literatur folgte der allgemeinen Begeisterung, die mit der Einheit verknüpft war. Und man bemühte sich darum, diese zu vertreten, die Ziele umzusetzen. Die sizilianische Literatur deckte hingegen die hohen Kosten dieser Einheit auf, die menschlichen Kosten."

Luigi Pirandello beleuchtete die private Seite der gesellschaftlichen Krise der Jahrhundertwende - er war der Seelenzergliederer unter den Sizilianern. Sein Interesse für innere Prozesse hing auch mit der psychischen Erkrankung seiner Ehefrau zusammen. Von Eifersucht zerfressen, verachtete Antonietta Pirandello den Beruf ihres Mannes, ohne je eine Zeile von ihm gelesen zu haben, verbot ihm das Haus oder riss zu ihren Eltern nach Sizilien aus, bis sie nach quälenden Jahren in einer geschlossenen Anstalt landete. Pirandello begann, sich mit Bergson und Freud zu beschäftigen und schrieb Romane, Theaterstücke und Novellen über Beziehungsapokalypsen und Identitätskrisen. 1911 versetzte er den römischen Kunstbetrieb mit dem satirischen Schlüsselroman "Der Mann seiner Frau" in Aufregung. Darin zieht er nicht nur den übereifrigen Gatten einer erfolgreichen Schriftstellerin durch den Kakao, sondern schildert auch den Zerfall des Ichs, der ins Komische kippt:

"Und dieser andere - ein trauriges Phantom -, den sie in ihm sah, indem sie ihm jeden Blick, jedes Lächeln, jede Geste, ja selbst den Klang der Stimme und natürlich den Sinn der Worte entriss, mit einem Wort, alles von ihm, es aus anderem Winkel betrachtete und für ihre Augen verfälschte, dieser andere nahm Gestalt an, begann zu leben, ja für sie lebte überhaupt nur noch dieser andere, und er existierte gar nicht mehr: Er existierte nicht mehr, außer für die unwürdige, unmenschliche Qual, sich selbst in diesem Phantom, und nur noch in ihm leben zu sehen; vergeblich mühte er sich ab, es zu zerstören: sie glaubte nicht mehr an ihn; sie sah in ihm nur noch diesen anderen und machte den, wie es schließlich nur gerecht war, zum Ziel ihres Hasses und ihrer Verachtung."

Unbestechlich entlarvte Luigi Pirandello in seinen Romanen taktisches Verhalten und gesellschaftliche Rollenzwänge, was ihn nicht daran hinderte, im wirklichen Leben eine zeitlang mit den Faschisten gemeinsame Sache zu machen. Weltruhm bescherte ihm 1921 sein Theaterstück "Sechs Personen suchen einen Autor". Während auf der Bühne geprobt wird, taucht plötzlich eine sechsköpfige Familie auf und verlangt, dass ihr Schicksal zur Darstellung gebracht werde – ein ungeheuerlicher Illusionsbruch, bei dem Theater als Theater zur Sprache kommt. Bei der Uraufführung in Rom gab es einen regelrechten Tumult. Doch schon bald erkannte man die ästhetische Sprengkraft des Stückes; es läutete den Beginn des modernen Dramas ein. 1934 erhielt Luigi Pirandello für seine mutigen Neuerungen den Nobelpreis. Zwei Jahre später nahm der kinobegeisterte Pirandello an den Dreharbeiten für die erneute Verfilmung seines Romans "Mattia Pascal" teil. In den zugigen Kulissen zog er sich eine Lungenentzündung zu, an der er am 10. Dezember 1936 starb.