Dienstag, 30. April 2024

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Zum Tod von Hellmuth Karasek
"Er hat die Popularität sehr genossen"

Der Journalist Volker Hage hat mit dem verstorbenen Literaturkritiker Hellmuth Karasek viele Jahre beim Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" zusammengearbeitet. Er habe ihn als witzigen, pointenreichen und unglaublichen Erzähler kennengelernt, sagte Hage im DLF. Karasek sei aber auch ein sehr melancholischer Mensch gewesen, was viele vielleicht verblüffe.

Volker Hage im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 30.09.2015
    Der Literaturkritiker Hellmuth Karasek steht am Rednerpult.
    Der Literaturkritiker Hellmuth Karasek ist gestorben. (pa/dpa/Scholz)
    Doris Schäfer-Noske: Hellmuth Karasek ist also tot. Ein Literaturkritiker, der über sich selber gesagt hat, das Fernsehen habe sein Leben am meisten verändert. Er war witzig und konnte selbst einem Möbelkatalog noch die Aura des Literarischen verleihen:
    O-Ton Helmuth Karasek: "Es erzählt viel, aber es ist sozusagen vollgemüllt mit Gegenständen."
    Schäfer-Noske: Geboren 1934 im mährischen Brünn floh Karasek als Elfjähriger mit seiner Familie vor der Roten Armee nach Sachsen-Anhalt. 1952, nach dem Abitur, übersiedelte er dann aus der DDR in die Bundesrepublik und begann in Stuttgart seine Laufbahn als Journalist und Literaturkritiker.
    Karasek leitete von 1974 bis 96 das Kulturressort beim Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Dort hat Volker Hage ihn kennengelernt und mit ihm zusammengearbeitet. - Herr Hage, Hellmuth Karasek hatte ja keine Scheu, trotz seiner umfangreichen Bildung unterhaltsam zu sein. War er denn ein Glücksfall fürs Fernsehen, oder war mehr das Fernsehen ein Glücksfall für ihn?
    Volker Hage: Ja das war beides so. Er hat das ja auch sehr genossen, diese Popularität. Und in der Tat scheute er sich nicht, sagen wir, vom Quartett bis zur SKL-Show da auch alles zu machen, was ihm Spaß machte. Das muss man immer dazu sagen. Er hat das einfach gern gemacht.
    "Er konnte ein sehr streitlustiger Gegner sein"
    Schäfer-Noske: Wie haben Sie ihn denn erlebt als Mensch und auch in seiner Rolle als Kollege und Literaturkritiker?
    Hage: Wir haben uns zunächst als Kollegen kennengelernt und da hatten wir durchaus auch unsere Reibereien. Er konnte ja ein sehr streitlustiger, aber auch ein gefürchteter Gegner unter Kollegen sein. Wenn er denn jemand kritisieren wollte, dann tat er das. Aber danach, als er dann beim "Spiegel" weg war und ich dann noch viele Jahre da war, haben wir uns auch privat sehr, sehr gut verstanden. Am Ende standen wir uns sehr, sehr nahe, muss ich sagen. Wir haben uns eigentlich kontinuierlich getroffen und über Privates privat, das kann man geradezu sagen, gesprochen.
    Schäfer-Noske: War er denn so, wie er in der Öffentlichkeit wirkte?
    Hage: Nein! Das ist wirklich ein großer Unterschied, wie wahrscheinlich bei vielen Menschen. Er wirkte ja witzig und pointenreich und er konnte unglaublich erzählen. Sein Gedächtnis war bis zuletzt phänomenal. Wir haben uns in den letzten Tagen noch getroffen, er war im Geist völlig wach und da hat er noch so geredet, wie ich ihn kenne. Aber er war auch ein sehr melancholischer, ich würde sogar sagen manchmal verschotteter Mensch, worüber er ganz offen dann auch sprach. Das wird viele vielleicht verblüffen. Für ihn war das auch ein Witz, dass er nun ausgerechnet am Ende mit Witzbüchern so einen Erfolg hatte. Den Erfolg mochte er, er hatte volle Säle immer bis zuletzt auf seinen Tourneen, aber eigentlich hätte er gerne auch noch ein paar andere Sachen gemacht.
    Schäfer-Noske: Was haben ihm denn Bücher bedeutet als Literaturkritiker?
    Hage: Er selbst hat sich ja auch als Romanautor versucht, aber eigentlich autobiografisch gearbeitet, unter anderem dieses wirklich bedeutende Buch "Auf der Flucht" 2003. Letzte Woche sagte er mir noch, wenn die Zeit noch reichen würde, würde er gern noch dieses Buch fortsetzen und über seine Flucht und die Jahre Anfang der 50er-Jahre schreiben.
    "Er wollte sich selbst auch lesen"
    Schäfer-Noske: Was mochte er denn selbst an Büchern und was konnte er überhaupt nicht leiden?
    Hage: Wenn sie langweilig waren, das konnte er überhaupt nicht leiden. Er mochte schon gern die Bücher, die wirklich ihn auch in seiner Person trafen und die nicht zu weit weg waren. Er wollte sich selbst auch lesen, wie ja die meisten von uns vielleicht.
    Schäfer-Noske: Welche Bücher und Literaten der Vergangenheit waren denn für ihn der Maßstab?
    Hage: Na ja, es war von Marcel Proust bis ganz, ganz weit runter Goethe. Er hatte eine unglaubliche Palette an Kenntnissen. Er konnte die Theaterstücke, die Figuren präzise, die Inhalte. Er hatte eine unglaubliche Anekdotensicherheit, die ich oft an ihm bewundert habe. Er war mit Martin Walser lange befreundet, dann auch wieder mal verfeindet, dann wieder befreundet. Wie es am Schluss jetzt war, weiß ich gar nicht. Er hatte auch durch seine Theaterarbeit in Stuttgart sehr viel Nähe auch zu Autoren, die er auch nicht gescheut hat.
    Schäfer-Noske: Er hat ja selbst auch Bücher geschrieben. Welche Rolle spielt er denn als Schriftsteller für Sie und welche Bedeutung hatte er da?
    Hage: Ja das kann ich jetzt wieder sagen, weil wir uns wirklich sehr nahe standen. Ich denke, dass tatsächlich seine autobiografischen Arbeiten doch ein sehr hohes Niveau haben und er vielleicht wirklich auf diesem Gebiet hätte mehr machen sollen. Da war er vielleicht auch über sich selbst am Ende ein bisschen enttäuscht, dass er da nicht mehr geschafft hat. Da war vielleicht auch der Erfolg ein bisschen im Wege. Man mag ja ganz gern beklatscht und bejubelt werden und das ging natürlich schneller mit Büchern, an denen man nicht jahrelang arbeitete.
    Schäfer-Noske: Helmuth Karasek ist im Alter von 81 Jahren gestorben. Über ihn habe ich mit dem Literaturkritiker Volker Hage gesprochen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.