Dienstag, 30. April 2024

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AKP-Politiker zu Yücel-Richterspruch
"Das ist ein Urteil für den Rechtsstaat in der Türkei"

Mustafa Yeneroglu von der türkischen Regierungspartei AKP hat das Urteil über die Unrechtmäßigkeit von Deniz Yücels Haft begrüßt. Präsident Erdogans frühere Äußerungen in der Sache seien "dem Fall nicht zuträglich" gewesen, sagte er im Dlf. Dafür seien dessen Berater verantwortlich, die ihn falsch informiert hätten.

Mustafa Yeneroglu im Gespräch mit Daniel Heinrich | 28.06.2019
Mustafa Yeneroglu (AKP), der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments
Mustafa Yeneroglu, Abgeordneter der türkischen Regierungspartei AKP (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
Daniel Heinrich: Zunächst Blick auf die Türkei: Das Verfassungsgericht des Landes hat die Haft Deniz Yücels für unrechtmäßig erklärt. Das Gericht ist der Auffassung, dass der deutsch-türkische Journalist zu Unrecht in Untersuchungshaft war.
Wir erinnern: Yücel war ein Jahr lang im türkischen Gefängnis gesessen, davon die meiste Zeit in Isolationshaft. Über den Richterspruch kann ich nun sprechen mit Mustafa Yeneroglu, Abgeordneter der türkischen Regierungspartei AKP. Guten Abend, Herr Yeneroglu!
Mustafa Yeneroglu: Ja, hallo, einen schönen guten Abend!
Heinrich: Haben Sie schon mit Präsident Erdogan sprechen können, was er von dem Richterspruch hält?
Yeneroglu: Nein, er ist in Japan und ich bin gerade in Köln, insofern gab es keinen Anlass, ich gehe auch nicht davon …
Heinrich: Sie haben bestimmt seine Telefonnummer.
Yeneroglu: Ja, sicherlich. Ich gehe aber nicht davon aus, dass der Fall jetzt aus seiner Sicht die Brisanz hat, dass man ihn informieren müsse. Das Gericht hat entschieden und es ist gut so, das wird er zur Kenntnis genommen haben.
"Die Inhaftierung war falsch"
Heinrich: Falls Sie die Möglichkeit haben, wie würden Sie ihm denn erklären, dass es heute ein guter Tag für den Rechtsstaat in der Türkei war?
Yeneroglu: Falls Sie sich daran erinnern, hatte ich schon am ersten Tag der Inhaftierung von Deniz Yücel auf den Haftbeschluss reagiert und habe gesagt, dass ich die Inhaftierung für falsch halte und der Begriff der Terrorpropaganda zu weit ausgelegt und damit die Meinungsfreiheit der Journalisten einschränkt, und entsprechend hat das Verfassungsgericht jetzt auch entschieden. Insofern überrascht es mich nicht.
Ich finde nur, dass natürlich einige Leute dem Präsidenten jetzt auch Rechenschaft schuldig sind, denn sie haben teilweise auch veranlasst, dass der Präsident sich auch persönlich zu dem Fall geäußert hat und einige Äußerungen getätigt hat, die meiner Meinung nach dem Fall so nicht zuträglich waren. Und von daher gehe ich schon davon aus, dass der Präsident einige Leute, die ihn diesbezüglich damals informiert haben, auch zumindest moralisch zur Rechenschaft ziehen wird und auch sicherlich die eine oder andere Disziplinarmaßnahme gegenüber solchen Personen überlegen muss.

Heinrich: Herr Yeneroglu, lassen Sie mich da mal einhaken. Das heißt, PKK-Terrorist, deutscher Agent, also diese Aussagen, die von Herrn Erdogan getroffen worden sind, das sind Ihrer Meinung nach Aussagen, die er getroffen hat basierend auf der Meinung, die ihm zugetragen sind von bestimmten Leuten in seinem Umkreis, das heißt, er ist im Dunkeln gelassen worden und wusste nicht, wovon er spricht?
Demonstranten halten Schilder mit der Aufschrift "#FreeDeniz" in die Höhe.
Nach der Inhaftierung von Deniz Yücel zog dies einige Demonstranten und Kampagnen in Deutschland nach sich (dpa/Gregor Fischer)
"Erdogan hat offenbar falsche Informationen bekommen"
Yeneroglu: Der Präsident kann natürlich nicht die Zeit haben, Akten durchzuwühlen, er bekommt Informationen von seinen Beratern, und offenbar hat er falsche Informationen bekommen, und auf die hat er dann auf eine Art und Weise reagiert, zu dem das Verfassungsgericht jetzt gesagt hat, dass eben Deniz Yücels Inhaftierung rechtswidrig war, seine persönliche Sicherheit und Freiheit verletzt gewesen ist, darüber hinaus das Recht auf Meinungsfreiheit und Pressefreiheit dann auch verletzt war. Und darüber muss man sicherlich sprechen.
Heinrich: Aber Herr Yeneroglu, meinen Sie nicht, dass Herr Erdogan, wenn er zum Beispiel in Gesprächen mit Angela Merkel auch des häufigeren auf diesen Fall hingewiesen ist, sich selber die Mühe gemacht hätte, sich da mal ordentlicher zu erkundigen? Also will sagen: Mir fällt das ein bisschen schwer, Ihrer Begründung zu folgen.
Yeneroglu: Wie gesagt, also ich meine, deswegen sage ich ja, dass die Frage im Raum steht und die Leute, die ihn in der Form informiert haben, dann auch sicherlich diese Frage beantworten müssen. Ich kann diese Frage nicht beantworten, denn ich habe mich am ersten Tag schon so positioniert, dass das Verfassungsgericht mich heute auch bestätigt, und ich habe damals auch sehr, sehr viele Vorwürfe und auch Angriffe in der türkischen Politik erleiden müssen, dass ich mich so aus dem Fenster gelehnt habe, und ich freue mich, dass jetzt das Verfassungsgericht ein solches klares Urteil gefällt hat. Das ist ein Urteil für die Pressefreiheit, das ist ein Urteil für den Rechtsstaat in der Türkei und das ist gut so.
Heinrich: Haben Sie da bestimmte Namen im Kopf, die Sie uns verraten möchten?
Yeneroglu: In Bezug auf?
Heinrich: In Bezug auf diejenigen, die Herrn Erdogan offenbar falsch beraten haben aus Ihrer Sicht.
Yeneroglu: Ich weiß es wirklich nicht. Also wenn ich das wüsste, wer das gewesen ist, dann würde ich wahrscheinlich persönlich die Leute auch entsprechend darauf ansprechen.
"Wir wissen, dass wir da große Missstände haben"
Heinrich: Lassen Sie uns mal auf den allgemeinen Blick auf die Lage der Pressefreiheit in der Türkei werfen. Auf Platz 157 von 180 Ländern listet "Reporter ohne Grenzen" die Türkei. Wie muss sich das in Zukunft ändern?
Yeneroglu: Man muss zunächst einmal natürlich vor Augen führen, dass die Türkei wirklich tagtäglich großen Herausforderungen ausgesetzt ist, insbesondere ist es nach wie vor so, dass fast täglich Soldaten Terrorangriffe der PKK zum Opfer fallen.
Dass in dieser Situation auch Gerichte dann teilweise überreagieren, auch in der Zeit nach dem Militärputschversuch in der Türkei, das kann ich teilweise nachvollziehen, erwarte aber dann, dass die Gerichte dann entsprechend reagieren und nicht zwei Jahre später, sondern kurz nach eben Vorwürfen von Staatsanwälten, ohne dass eben Journalisten große Repressalien erleiden müssen, dass sie eine klare Sprache sprechen und deutlich machen, dass der Rechtsstaat funktioniert.
Heinrich: Aber Herr Yeneroglu, die Lage der, Entschuldigung, die Lage der Pressefreiheit in der Türkei war schon vor dem gescheiterten Putschversuch schlecht.
Yeneroglu: Also sicherlich, es ist nicht das Ideal, das ich mir persönlich wünsche, das spreche ich auch tagtäglich in der Türkei an. Wir wissen, dass wir da große Missstände haben und wir müssen uns an unseren eigenen Idealen messen, und da gibt es wahnsinnig viel zu tun. Das ist mir klar.
Und deswegen finde ich gerade auch dieses Urteil des Verfassungsgerichtes noch mal die Pressefreiheit unterstreichend und folgerichtig und hoffe, dass eben die Instanzgerichte jetzt auch das für mich nicht überraschende Urteil des Verfassungsgerichtes im Hinblick auf die Fälle, die ihnen vorliegen, dann auch entsprechend ansetzen.
Polizisten und Erdogan-Anhänger scharen sich um einen Panzer vor der Bosporusbrücke in Istanbul.
Polizisten und Erdogan-Anhänger scharen sich während des Putschversuchs 2016 um einen Panzer vor der Bosporusbrücke in Istanbul. (picture-alliance / dpa / Str)
Heinrich: Wenn Sie sagen, Sie sprechen diese Problematiken an: Was für Reaktionen bekommen Sie denn?
Yeneroglu: Also in letzter Zeit sehr, sehr gute. Es gibt sicherlich auch viele Leute, die das kritisch betrachten, die eben meine Haltung, meine Position darüber und insbesondere für eine starke pluralistische Demokratie, für die Ideale des Rechtsstaates eben kritisieren, weil sie meinen, dass wir nicht in Norwegen leben würden oder in Finnland, wo es eben die vielen Herausforderungen der Geografie nicht gibt.
Aber ich denke, dass unabhängig von dem, wo man lebt und in welcher Geografie man welchen Gefahren ausgesetzt ist, sich tagtäglich diesen Herausforderungen gegeben muss und sich an den eigenen normativen Idealen messen lassen muss, und das machen wir.
"Es ist kein befriedigender Zustand gegenwärtig"
Heinrich: Herr Yeneroglu, Sie haben diesen Putschversuch schon angesprochen. Ich will Sie konfrontieren noch mit einem Zitat von Metin Feyzioglu, das ist der Präsident der Anwaltskammer der Türkei, der hat gesagt, dass nach dem gescheiterten Putsch tausende Richter und Staatsanwälte aus den Ämtern verdrängt wurden, die Leute, die da nachgerückt sind, sind mit der Situation komplett überfordert. Hat die AKP also das Justizsystem des Landes geschwächt?
Yeneroglu: Nicht die AKP hat das Justizsystem des Landes geschwächt, sondern die Putschisten haben nicht nur das Justizwesen, auch sonstige Institutionen des Landes stark geschwächt und daran leiden wir im Moment.
Und sicherlich hat eben das eine oder andere Urteil auch damit was zu tun, dass wir entsprechend schwach in den Institutionen besetzt sind. Aber das wird sich ändern, daran arbeitet jeder in der Türkei, und dass das kein befriedigender Zustand gegenwärtig ist, das ist uns allen klar.
Heinrich: Also die Richter sind überf...
Yeneroglu: Auf der anderen Seite muss man natürlich deutlich machen, dass die Richter nicht zu Unrecht abgesetzt wurden, sondern es waren Richter, die die Terrororganisation FETÖ, teilweise auch die Terrororganisation PKK unterstützt haben und deren Organisation am Recht erhalten haben, an kriminellen Machenschaften gewesen sind und entsprechend natürlich auch dann der Rechtsstaat sich zur Wehr setzen musste.
Dass der Militärputsch dann eben dazu beigetragen hat, dass man im Rahmen des Ausnahmezustandes dann diese Entscheidungen in Kürze fällen musste, dass das dann im Westen auf Kritik stößt, das verstehe ich, aber das muss man immer wieder dann vor dem Hintergrund der Situation in der Türkei betrachten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.