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Laurence Sterne
Liebling der Londoner literarischen Gesellschaft

Heute vor 300 Jahren wurde der Theologe und Schriftsteller Laurence Sterne geboren. Der irische Humorist löste mit seinem Roman „Tristram Shandy“ 1759 einen Literaturskandal aus, wurde aber dennoch zum Star der Londoner literarischen Welt. Seither ist seine Leser-Gemeinde ständig gewachsen.

24.11.2013
    Ich wünschte, entweder mein Vater oder meine Mutter, oder führwahr, alle beide, denn von Rechts wegen oblag die Pflicht ihnen beiden zu gleichen Teilen, hätten bedacht, was sie da trieben, als sie mich zeugten …
    Mit diesen schicksalsschweren Worten begann der englische Landpfarrer Laurence Sterne seinen Roman "Leben und Ansichten von Tristram Shandy", der 1759 in York erschien und wegen der freizügigen Szenen aus dem Liebesleben seiner Protagonisten für einen literarischen Skandal sorgte. Das Buch war eine ebenso wilde wie witzige Abschweifung über Ausschweifungen, Philosophie sowie über Familien-, Kunst- und Kriegsgeschichte in der Tradition von Rabelais und Cervantes. Der Schriftsteller Arno Schmidt erklärte es zu einem der "zehn größten Bücher, die bisher in englischer Sprache geschrieben wurden". Und wenn sich auch Sternes Zeitgenossen Samuel Johnson und Horace Walpole nur herablassend äußerten - die Londoner literarische Gesellschaft war begeistert. Sie hofierte den Autor, der bald zum Star ihrer Salons wurde. Sterne bewies ein gutes Gespür für die Gesetze des Literaturmarkts und widmete die zweite Auflage des Tristram Shandy dem Premierminister William Pitt.
    Sir, niemals hat ein armer Wicht von einem Zueigner weniger Hoffnung auf seine Zueignung gesetzt, als ich auf die meinige, schreibe ich sie doch in einem Schlupfwinkel des Königreichs und in einem abgelegenen, strohgedeckten Haus, allwo ich in dem unerschütterlichen Bemühen lebe, wider die Gebrechlichkeiten schlechter Gesundheit und anderer Übelstände des Lebens mit Frohsinn zu fechten …
    Geboren am 24. November 1713 als Sohn eines englischen Fähnrichs und einer Marketender-Tochter im irischen Clonmel, musste Sterne das unstete Leben eines Soldatenkindes führen. Nach dem Tod seines Vaters konnte er durch die Unterstützung eines Onkels in Cambridge Theologie studieren und erhielt 1738 eine Pfarrstelle bei York. Hier begegnete er Elizabeth Lumley, die er 1741 heiratete. Sie brachte zwar Geld, aber wenig Sinn für den schrägen Humor ihres Gatten in die Ehe. Sterne flüchtete oft nach Skelton Castle, wo sein Studienfreund John Hall-Stevenson den "Club der Besessenen" gegründet hatte. Hier wurde er zum Mittelpunkt einer Gesellschaft, die ihn mit ihren Anekdoten zu seinem "Tristram Shandy" inspirierte.
    Am fünften Tag des November 1718, was, von dem bewussten denkwürdigen Ereignis an gerechnet, neun Kalendermonate so gut vollmachte, als dies irgendein Ehemann nur rechtens hätte erwarten können, kam ich, Tristram Shandy, Gentleman, in diese unsere schandbar-unheilvolle Welt. Ich wünschte, ich wäre auf dem Mond geboren worden oder auf irgendeinem der Planeten, denn es hätte mir wohl auf keinem schlimmer ergehen können ..."
    "Leben und Ansichten Tristram Shandys" werden im Folgenden aber kaum zum Gegenstand des Romans, sondern vielmehr die Ehefreuden seiner Eltern und das Liebesleben seines Onkels Toby. Wieland und Lichtenberg feierten das Buch und Goethe nannte Sterne "den schönsten Geist, der je gewirkt hat." Autoren wie Ernst Jünger und Günter Grass bekannten sich zur "Gemeinde der heiteren Shandyisten". Sternes Leben verlief nach seinem Erfolg weniger heiter. Von Blutstürzen geschwächt, unternahm er Reisen nach Paris und Neapel und veröffentlichte im Januar 1768 seine "Empfindsame Reise nach Frankreich und Italien", die einer ganzen Literaturepoche ihren Namen geben sollte.
    Reisende lassen sich in folgende Gruppen teilen : Müßige Reisende, neugierige Reisende, lügende Reisende, eitle Reisende und milzkranke Reisende. Zuletzt kommt der empfindsame Reisende, wozu ich mich selber zähle - und der ist Reisender aus dem Bedürfnis, zu reisen.
    Nur drei Monate später starb Laurence Sterne in London an Tuberkulose. Leichendiebe sollen seine sterbliche Hülle gestohlen und an die Anatomie von Cambridge verkauft haben – ein letzter, makabrer Scherz aus dem Leben eines Satirikers, dessen rabenschwarzer Humor bis heute Leser und Nachahmer findet.