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Gleichberechtigung in Italien (4/5)
Frauen zwischen Job und Haushalt

Nur gut 50 Prozent der erwerbsfähigen Frauen arbeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist immer noch schwierig. Bei der Gleichberechtigung liegt Italien im EU-Vergleich zurück. Das spüren viele Italienerinnen im Alltag.

Von Kirstin Hausen | 01.11.2018
    Im Rahmen des Internationalen Frauentages am 8. März 2018 in Mailand nehmen junge Frauen am Frauenmarsch gegen Gewalt teil.
    Langer Weg zur Gleichberechtigung: Nur wenige Frauen in Italien schaffen den Spagat zwischen Job und Familie (AFP / Marco Bertorello)
    Der Ort Gorgonzola bei Mailand, viertel nach neun am Morgen. Simona Merlini hat schon ihre Kinder versorgt und ihre drei Hunde zur Arbeit mitgebracht. Das geht, weil sie in einer Hundepension arbeitet. In ihrer eigenen.
    Oskar ist ein gefleckter kleiner Hund mit Schlappohren. Simona hat ihn schon gebadet, trocken geföhnt und bürstet ihm nun das Fell. Alles Dienstleistungen der Hundepension.
    Oskars Besitzerin, Erika Pollina, hat ihren Hund gestern gebracht und holt ihn heute Morgen wieder ab. Die zierliche Frau von Mitte 60 stammt aus einem lombardischen Bergdorf, nach ihrer Scheidung ging sie von dort weg. Der soziale Druck war zu groß. Es war die erste Scheidung im Dorf, in den 70er-Jahren, ein Schock für die Dorfgemeinde.
    "Die katholische Kirche hatte damals großen Einfluss, das hat es weder mir noch meinem Ehemann leicht gemacht. Die Scheidung war eine absurde Idee, die Ehe galt als unauflösbar. Und dann hatten wir ein großes Hotel, da haben alle gesagt, wir seien vollkommen verrückt geworden, das aufs Spiel zu setzen. Und dann hatten wir auch noch einen gemeinsamen Sohn. Es gab sehr schwere Momente."
    Zur Gleichberechtigung war es ein langer Weg. Die Ehescheidung wurde in Italien erst 1970 eingeführt, seit 1946 dürfen Frauen wählen.
    Eine der niedrigsten weiblichen Beschäftigungsquoten
    Noch wichtiger als das auch mithilfe eines Volksentscheids erkämpfte Recht auf Scheidung findet Erika die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen. Darum ist es in Italien nicht gut bestellt. Das Land hat eine der europaweit niedrigsten weiblichen Beschäftigungsquoten. Grund dafür ist die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Öffentliche Krippen und Kitas sind rar, private teuer. Simona Merlini schafft den Spagat mit der Hundepension, weil ihre Mutter und ihre Großmutter sie unterstützen.
    "Jetzt geht’s zu meiner Oma. Die Urgroßmutter meiner Kinder ist 90 Jahre alt und kocht täglich für mich und meine Mutter zu Mittag. Uns macht es Freude, mit ihr zusammen zu essen, wir sind eine richtige Großfamilie, die zusammenhält wie Pech und Schwefel. Und so hat meine Oma zu tun und fühlt sich gebraucht, was ihr gut tut."
    Simona Merlini pflegt in ihrem Hundesalon das Fell von Oskar
    Simona Merlini ist einerseits Mutter, die den Haushalt schmeißt, und andererseits Chefin ihrer eigenen Firma (Deutschlandradio / Kirstin Hausen)
    Viertel nach eins. Das Essen steht bereits auf dem Tisch, als Simona ankommt. Simonas Mutter hat als Sekretärin in einem internationalen Konzern gearbeitet – bis ihre zweite Tochter zur Welt kam. Da wurde ihr die Doppelbelastung zu viel. Heute bereut sie ihre Entscheidung, weil sie finanziell nicht abgesichert ist.
    Ihre Tochter mache es richtig, nicht der Familie zuliebe auf Erwerbsarbeit zu verzichten, findet sie. Und sie sagt, dass ihr Schwiegersohn sich doch etwas mehr zuhause engagieren solle. Simona seufzt – und verteidigt ihren Mann.
    "Er kümmert sich um seine Arbeit, die sehr zeitraubend ist, aber im Haus macht er nichts. Nur wenn ich am Anschlag bin, hilft er mir, indem er die Wäsche zum Trocknen aufhängt."
    Viele Frauen mit Kindern bleiben zu Hause
    Eine halbe Stunde später sitzt Simona wieder im Auto. Normalerweise fährt sie wieder zurück in die Hundepension, heute nicht. Heute holt sie ihre Tochter selbst vom Kindergarten ab und der schließt um halb drei.
    "Ich fühle mich oft dem Ganzen nicht gewachsen und empfinde mein Leben als ein großes Chaos. Die meisten Mütter, die ich kenne, arbeiten höchstens halbtags oder sind ganz zu Hause. Wer keine Großeltern hat, die mitziehen, kann nicht arbeiten gehen. Ein Babysitter kostet am Ende fast so viel wie ein Gehalt. Deshalb entscheiden sich viele Frauen mit Kindern, zu Hause zu bleiben."
    Feierabend nicht vor 20 Uhr
    Im Kindergarten wirft sich Alessandra, fünf Jahre, ihrer Mutter in die Arme. Dann fahren die beiden zum nahe gelegenen Spielplatz. Eine Stunde haben die beiden nun für sich – dann holt Simona ihren Sohn Andrea von der Schule ab und bringt ihn zum Basketballtraining.
    "Meine Arbeit endet nie pünktlich um sechs Uhr abends. Gestern musste ich noch Medikamente für einen Hund besorgen, den ich in der Pension habe. Also habe ich meine Kinder abgeholt, bin dann zur Apotheke gefahren und dann nach Hause, wo mein zweiter Job wartet."
    Hausaufgaben beaufsichtigen, Essen kochen, zwischendurch die Waschmaschine ein- und ausräumen. Simonas Mann Alberto kommt nie vor 20.00 Uhr nach Hause.
    "Meine Arbeit nimmt viel Zeit in Anspruch, dann habe ich meinen Sport, um Dampf abzulassen, und dazu noch alles Mögliche andere. Simona ist auch ehrenamtlich tätig. Wir erschweren uns das Leben selbst."
    Ein Augenzwinkern, das Simona erwidert. Unglücklich wirken die beiden nicht. Um 22 Uhr räumen sie gemeinsam den Tisch ab.
    "Unser Tag ist noch nicht zu Ende. Andrea muss noch baden und die Haare waschen, er hatte heute ein Basketballturnier. Um Mitternacht schlummern wir dann alle unter der Bettdecke. Und morgen geht es dann wieder von vorne los."