Clint Eastwood: "Sully"

Wie Amerikas letzter Konservativer Helden strickt

US-Regisseur und Schauspieler Clint Eastwood am 8. September 2016 in Hollywood auf dem Weg zu einer Vorführung von "Sully"
US-Regisseur und Schauspieler Clint Eastwood am 8. September 2016 in Hollywood auf dem Weg zu einer Vorführung von "Sully" © picture alliance / dpa / Nina Prommer
Katja Nicodemus im Gespräch mit Patrick Wellinski · 26.11.2016
Mit einer Notwasserung auf dem Hudson River rettete US-Pilot Sullenberger 2009 das Leben von 155 Menschen. Eine typische Geschichte des Mannes von nebenan, der über sich hinauswächst, meint Katja Nicodemus und würdigt vor allem den brillanten Tom Hanks als "Sully".
- "Heute beginnt die Untersuchung der Flugdurchführung und der menschlichen Faktoren im Zusammenhang mit dem Absturz von Flug 1549."
- "Mit der Wasserlandung."
- "Kapitän?"
- "Das war es nicht, das war kein Absturz. Wir wussten, was wir da durchführen wollten. Das war kein Absturz, das war eine notwendige Wasserlandung."

(Dialog aus dem Film "Sully")
Patrick Wellinski: Ein Ausschnitt aus Clint Eastwoods Spielfilm "Sully", der dann ab Donnerstag in unseren Kinos zu sehen ist. Über diesen Film und Clint Eastwoods Art, Heldengeschichten zu erzählen, konnte ich vor der Sendung mit Katja Nicodemus, der Filmredakteurin der Wochenzeitung "Die Zeit" sprechen. Herzlich willkommen!
Katja Nicodemus: Hallo!

Die Kluft zwischen dem Menschen und dem Mythos

Wellinski: Charles "Sully" Sullenberger wurde damals durch die Medien ja recht schnell zum Helden erklärt, aber das ist ja ein sehr eigenartiger Held, der eben nicht das Scheinwerferlicht sucht, der davor sogar flieht. Was interessiert Eastwood an Sully?
Nicodemus: Ich glaube, ihn interessiert die Kluft zwischen dem Menschen und der Legende oder man kann auch sagen zwischen dem Einzelnen und dem Heldenmythos. Denn diese Kluft, die hat Clint Eastwood ja immer wieder ausgeleuchtet – am genauesten wohl in seinem Kriegsfilm über den Zweiten Weltkrieg, "Flags of our Fathers". Da ging es ja auch um die Kluft zwischen einem patriotischen Propagandafoto und dem Schicksal des einzelnen Soldaten, das ja letztlich nicht zählt.
Und jetzt in "Sully", da gelingt es Tom Hanks schon durch seine verhaltene Körperlichkeit, so eine ganz zurückgenommene Physis zu zeigen, wie unwohl sich dieser Pilot in der Heldenrolle fühlt. Ich meine, natürlich möchte man nie wieder ein Flugzeug besteigen, das nicht von Tom Hanks gesteuert wird nach diesem Film, aber trotzdem zeigt da Clint Eastwood auch, wie diese meisterliche Notlandung, wie die schon, während sie sich ereignet, zur Story und zur Legende wird. Und während sich dieser Pilot noch vor dem Untersuchungsausschuss rechtfertigen muss oder erklären muss, ob diese riskante Landung überhaupt gerechtfertigt war, vollzieht sich da draußen eben schon die mediale Überformung und der Mythos ist schon an der Arbeit.
Wellinski: Eastwood schreibt in seinen Spielfilmen ja gerne – Sie haben schon andere Filme erwähnt, gerade seine Kriegsfilme – immer gerne Heldengeschichten. Viele von diesen Geschichten verfügen dann über so gewisse moralische Implikationen, die dann auch gerne zu Grenzüberschreitung greifen, gerade in Richtung Gewalt. Was will uns Eastwood mit diesen ganzen Helden eigentlich sagen?
Nicodemus: Ich finde ja, dass er eine ganz interessante Entwicklung genommen hat, die eigentlich nicht von seiner Arbeit als Schauspieler zu trennen ist, weil als Schauspieler, da war er immer der wölfische Einzelgänger: "Dirty Harry", "Bronco Billy" oder bei Sergio Leone "Ein Fremder ohne Namen", also der Mann, der als Kopfgeldjäger und Cop mit der 45er Magnum zu unser aller Aufräumerfantasie geworden ist. Man muss sich nur erinnern an diese Szene in "Dirty Harry", wo er in ein Sandwich beißt und in ungefähr fünf Kaubewegungen einen ganzen Straßenzug mit Bankräubern über den Haufen schießt.

Der große Zyniker, der es all den kleinen Wichten gezeigt hat

Und im kollektiven Kinogedächtnis, glaube ich, wird Clint Eastwood immer der große Zyniker bleiben, der es da all den kleinen Wichten gezeigt hat. Ich finde, darin liegt auch eine gewisse Tragik oder eben auch Clint Eastwoods Größe, denn in seinen eigenen Filmen als Regisseur hat er immer wieder daran gearbeitet, dieses Dirty-Harry-Bild zu verflüssigen, aufzulösen, dagegenzuarbeiten. Und diese Filme, wenn man genau hinschaut, das sind ja zum großen Teil auch amerikanische Passionsgeschichten. Man denke nur an den geläuterten Revolverhelden in "Erbarmungslos" oder an diesen an der Polizeigewalt zweifelnden Sheriff in "A Perfect World" oder der abgefuckte Polizeireporter in "True Crime", der da gegen die Todesstrafe kämpft. Also, als Regisseur ging es ihm immer wieder um die Dekonstruktion von diesen uramerikanischen Heldenfiguren oder -mythen.
Wellinski: In dem Zusammenhang fällt mir irgendwie auch der Begriff des "All American Hero" ein, der mich jetzt wieder zurück zu "Sully" bringt, denn dieser "All American Hero", das ist ja Tom Hanks eigentlich immer gewesen, immer der Good Guy, immer der, der auf der guten Seite steht, der immer am Ende auch siegt, und jetzt in einem Clint-Eastwood-Film mit seinem doch so ambivalenten Helden. Im Nachhinein muss man doch sagen, die Besetzung von Tom Hanks ist kongenial.
Nicodemus: Ja, und trotzdem hat er diese Ambivalenzen, man merkt ihm ja trotzdem einen verhaltenen Stolz an, aber ich finde auch, Tom Hanks habe ich eigentlich selten so gut gesehen. Er ist die Idealbesetzung für diese Rolle: der Mann von nebenan, der über sich hinauswächst.
Wellinski: Warum sind eigentlich diese Helden trotzdem in diesen Eastwood-Filmen problematisch? Also ich meine, gerade ein Film wie "American Sniper", der außerhalb von Amerika gerade wegen seiner ideologischen Weltsicht für heftiges Kopfschütteln gesorgt hat, war in Amerika wieder ein ganz großer Hit.
Nicodemus: Ich meine, man kann schon sagen, glaube ich, dass dieser Scharfschützenfilm wahrhaft nach hinten losgegangen ist, um mal im Bild zu bleiben, aber ich finde auch da, es fordert aber auch großen Mut, einen Film aus der Perspektive eines Snipers im Irakkrieg zu erzählen. Dieser Sniper ist ja eigentlich eine degenerierte Form des Revolverhelden, und das Problem bestand, glaube ich, darin, dass Clint Eastwood ein klassischer Erzähler ist, was dazu geführt hat, dass sein Film die Perspektive dieses Schützen übernommen hat. Der Film hat sich sozusagen mit ihm identifiziert, statt die Perspektive zu brechen. Man muss aber auch sagen, wer sich mit seinen Helden in die uramerikanische Gewalt- und Kriegsgeschichte stürzt, der nimmt eben auch das Risiko auf, von dieser Gewalt auch mal aufgesogen zu werden. Insofern würde ich auch da trotzdem eine Lanze für ihn brechen.

Eastwood ist kein vordergründig patriotischer Regisseur

Wellinski: Man spricht bei Eastwood und im Zusammenhang mit seinen Filmen ja häufig auch von einem patriotischen Kino. Ist das Kino von Eastwood patriotisch?
Nicodemus: Wie sagt Oliver Stone: "Patriotismus ist ein sicherer Hafen für Schurken." Ich sehe ganz ehrlich Clint Eastwood nicht als einen vordergründig patriotischen Regisseur. Mel Gibson ist vielleicht ein ganz gutes Beispiel, das ist ein Patriot. Und was Patriotismus in seiner schlimmsten Dumpfheit bedeuten kann, das sieht man eben an Mel Gibsons neuem Film "Hacksaw Ridge" über den Zweiten Weltkrieg, der demnächst in unsere Kinos kommt. Gibson zeigt eben einen Krieg, aus dem Helden hervorgehen, und Eastwood zeigt in seinen Kriegsfilmen, dass Gewalt lange brutale Folgen haben kann. Er zeigt den zurückgelassenen Körper, den zerschlagenen, den zerschossenen Körper, die Verheerungen der Seele.
Und wenn man sich jetzt seinen neuen Film "Sully" anschaut, natürlich gibt es da einen gewissen New-York-Patriotismus, auch ein konservatives Männer- und Familienbild, also die weinende Ehefrau und Hausfrau am Telefon, das Schlussplädoyer des Piloten, der dann die Rettungsaktion als kollektive Tat beschreibt, aber ich finde, man hätte Sully auch wesentlich patriotischer erzählen können. Ich wollte den nicht unter der Regie von Mel Gibson gesehen haben.
Clint Eastwood gewann im Jahr 2005 zwei Oscars für seinen Film "Million Dollar Baby".
Clint Eastwood gewann im Jahr 2005 zwei Oscars für seinen Film "Million Dollar Baby".© picture alliance / EPA
Wellinski: Das ist allerdings wahr. Wenn Sie schon sagen, dass man Eastwoods Filme als Regisseur nicht trennen kann wirklich von seiner Rolle als Schauspieler, wie ist das eigentlich, kann man seine Werke, seine filmischen Werke von seiner Rolle als Patriot und Republikaner trennen?
Denn diese ideologischen Widersprüche tun sich ja immer wieder auf, zum Beispiel eben die Werke "Letters from Iwo Jima" oder "Gran Torino", in denen er wirklich die Hand ausstreckt, Fremde und andere als Gleichberechtigte akzeptiert, und dann wieder "American Sniper" und Filme, die so ähnlich gelagert sind, und dann wieder die öffentlichen Auftritte als Republikaner. Wie bringt man das zusammen?
Nicodemus: Ich glaube, man muss manchmal Filme vor ihren Regisseuren beschützen, oder manchmal sind Filme auch klüger als ihre Regisseure. Und ja, ich meine, Clint Eastwood hat Donald Trump unterstützt, er hat immer wieder Obama angegriffen und Hillary Clinton sowieso, aber sein Kino ist tatsächlich viel klüger als seine öffentlichen Äußerungen zur Politik oder zu den USA. Ich meine, deswegen ist er ja ein Regisseur geworden.

Clint Eastwood ist "der letzte Konservative"

Und wenn man mal seinen vielleicht besten Film sich vor Augen führt, "Million Dollar Baby", für den wurde er von der amerikanischen Rechten und Ultrarechten scharf angegriffen. Warum? Weil er die Geschichte eines Boxtrainers erzählt, der sich seiner Boxerin, einer jungen Frau, annimmt, gespielt von Hilary Swank, und als diese Boxerin gelähmt im Krankenhaus liegt, da hilft er ihr zu sterben. Das ist ein Film, der Euthanasie rechtfertigt. Ja, und er erzählt da wirklich von moralisch richtigen Entscheidungen, die sich manchmal gegen Staat und Kirche stellen müssten, und ich finde, da erweist sich Clint Eastwood sozusagen als der letzte Konservative, weil seine, man kann sagen, vorchristliche Sicht dann manchmal humaner ist als alles, was sich in Amerika konservativ nennt.
Wellinski: Vielleicht bringt uns das ja zurück am Ende noch mal zum Film "Sully", weil vielleicht könnte man ja sagen, dass Eastwood mit Sully am Ende einen ideologisch völlig unbeholfenen Helden zeigt, also Sully macht am Ende nur seinen Job.
Nicodemus: Das stimmt allerdings, andererseits gibt es natürlich auch keinen verlogeneren Heldensatz als den Satz "We just did our job", aber ich bin mir da auch nicht ganz sicher über diese Unbeholfenheit. Einerseits hat diese Figur, andererseits passt dieser Film – auch muss man sagen – auf unselige Weise zum amerikanischen Wahlkampf, weil in diesem Untersuchungsausschuss zu der Notlandung, da sehen wir ja einen Mann, der seinem Gefühl, seinem Instinkt vertraut. Er ist umgeben von Faktenhubern, von Rationalisten, von Statistikern.
Es gibt dann auch eine Computersimulation, die Sullys Vision der Notlandung zunächst mal widerspricht, und da sitzt am Steuer eine Frau, die halt unrecht hat, sozusagen der Technik vertraut. Und der instinktgesteuerte Mann – die hat übrigens auch blonde Haare wie Hillary Clinton –, der instinktgesteuerte Mann ist eindeutig der bessere Pilot für die große amerikanische Maschine. Also ich sag jetzt gar nicht, dass das da mit Absicht geschieht, aber ich glaube, das Unbewusste dieses Films ist ideologisch nicht ganz so unbeholfen wie sein Held.
Wellinski: "Sully" von Clint Eastwood, ab Donnerstag dann in unseren Kinos. Ich sprach darüber mit Katja Nicodemus, Filmredakteurin der Wochenzeitung "Die Zeit". Vielen Dank!
Nicodemus: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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