Zum Tod der Autorin Hilary Mantel

"Sie hat immer wieder Brücken geschlagen"

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Die Schriftstellerin Hilary Mantel.
J. K. Rowling twitterte zum Tod der Schriftstellerin Hilary Mantel: "Wir haben ein Genie verloren." © picture alliance / empics / Yui Mok
Von Christoph Prössl · 23.09.2022
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Hilary Mantel war als Frau aus prekären Verhältnissen doppelt benachteiligt. Doch sie kämpfte sich als Autorin in der britischen Klassengesellschaft hervor und erfand das Genre des historischen Romans neu. Mit ihrem Tod hat die Welt ein Genie verloren.
Berühmt geworden ist die britische Schriftstellerin Hilary Mantel mit der Trilogie über Thomas Cromwell, den Berater von König Henry VIII. In drei Bänden beschrieb sie den Aufstieg und Fall des genialen Politikers, das Intrigenspiel am Hofe.
Doch wie kam es dazu, dass sie ausgerechnet Cromwell in den Mittelpunkt ihres wohl bedeutendsten und vor allem umfassendsten Werks stellte? Es waren vor allem Faszination, Begeisterung für eine bemerkenswerte Persönlichkeit, wie sie erklärt:
„Er war der Sohn eines Schmieds. Er hatte keine Beziehungen, die ihm helfen konnten, keine universitäre Ausbildung. Er konnte seinen Weg machen allein wegen seiner intellektuellen Brillanz. Aus der Dunkelheit ganz nach oben – und nach ein paar guten Jahren folgte der Tower of London und die Axt.“

Die Zeit wieder ins Licht rücken

Über Jahre hinweg hat die Autorin sich ins 16. Jahrhundert versetzt, recherchiert, Informationen zusammengetragen, um den historischen Roman über England zur Zeit der Tudors zu schreiben. In ihrem Buch sagt Thomas Cromwell, es gebe nichts dagegen einzuwenden, die Vergangenheit neu zu erfinden, solange es plausibel sei. 
Für viele Begegnungen, die Hilary Mantel in ihrer Trilogie beschrieben hat, gibt es keine Quellen, keine schriftliche Wiedergabe. Dabei sei doch gerade in Hinterzimmern die Politik gemacht worden, wenn zwei Männer sich dort besprachen, erklärt sie:
„Ich vereinfache nicht, ich verdrehe die Geschichte nicht. Was ich möchte: Die Zeit wieder ins Licht rücken. Diesen Mann ins Licht rücken, so dass die Leserinnen und Leser sich ein Bild machen können.“

2014 von Queen Elisabeth II. geadelt

Was viele gerne angenommen haben. Die Bücher sind Bestseller. Für zwei Bände der Trilogie erhielt sie jeweils den renommierten Booker Prize. Mantel hat weitaus mehr geschrieben und zahlreiche Auszeichnungen erhalten. 2014 wurde sie von Queen Elisabeth II. geadelt.
Mantel wuchs in einer irisch-katholischen Familie auf, die seit zwei Generationen in England lebte. Mit 19 erkrankte sie schwer, hatte wegen falscher Behandlungen oft Schmerzen. Sie studierte Rechtswissenschaften und heiratete. Nach einer Operation konnte sie keine Kinder bekommen, was sie bereute, wie sie der BBC sagte. Und trotzdem – unterstreicht sie – habe sie Glück gehabt.
„Ich konnte schreiben. Da bist du dein eigener Chef und kannst die Arbeitszeiten selbst bestimmen. Ja, manchmal bin ich eine Person, die in der Öffentlichkeit steht, aber die meiste Zeit kann ich machen, was mich gerade fasziniert und beschäftigt.“

Mantels besonderer Humor

Dass sie schreiben konnte, merkte sie schon bald. Doch sie konnte sich nicht vorstellen, davon leben zu können. Deswegen plante sie zunächst, neben der Arbeit zu schreiben.
Mantel sinnierte in Interviews auch schon mal über Macht und Politik – und hat oft bewiesen, dass sie einen besonderen Humor hatte. Gefragt, ob der umstrittene und längst zurückgetretene Berater von Boris Johnson, Dominic Cummings, der oft Hemd ohne Krawatte und Sakko trug, Ähnlichkeiten habe mit Thomas Cromwell, antwortete sie: Nein, Thomas Cromwell sei besser gekleidet gewesen.

Doppelt benachteiligt

„Ihr ganzes Werk kreist eigentlich um Diskriminierung und Zurücksetzung, sowohl was sie als Frau, als auch, was sie als Tochter von Eltern aus wirklich prekären Verhältnissen erlebt hat“, erklärt die Journalistin und Mantel-Kennerin Elke Schmitter. Als junge Frau war Hilary Mantel schwer an Endometriose erkrankt – eine Krankheit, die lange als psychisch bedingt, als überhaupt nicht existent abgetan und falsch behandelt wurde. Eine Krankheit, von der nur Frauen betroffen sind und die von der Medizin lange ignoriert wurde. 
„Diese Krankheitsgeschichte hat ihr sehr deutlich gemacht, wie das Gesundheitssystem, das damals von Thatcher angefangen wurde, kaputt zu sparen, mit Frauen umging. Das war die eine Seite ihres Lebens. Die andere war eben, wie sie gesagt hat, die Unabhängigkeit des Schreibens und die Beschäftigung mit Politik und letzten Endes auch mit Klassenfragen.“

Nach oben gekämpft – ähnlich wie Cromwell

Mantel, die doppelt benachteiligt war, kämpfte sich in der britischen Klassengesellschaft empor, ähnlich wie Thomas Cromwell. Von daher rührt wahrscheinlich auch ihre Faszination für die Hauptfigur ihrer Trilogie, wie Schmitter erklärt.

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„Ich glaube, das Wort Genie ist hier absolut angebracht“, sagt Schmitter. Mantel sei zwar kein "natural born Genie" wie Mozart gewesen, aber "eine Autorin, die tatsächlich über Jahrzehnte an ihrem Stil, an ihrem Geist gearbeitet hat und die zu immer klareren Urteilen kam und die als Autodidaktin den historischen Roman, dieses Genre absolut neu erfunden hat.“
Bei Mantels Büchern handelt es sich nicht um unpolitische Fluchten in andere Jahrhunderte – ganz im Gegenteil: „Sie hat immer wieder Brücken geschlagen“, erklärt Schmitter. So führte sie ihre genaue Arbeit über Heinrich VIII. zu einer sehr scharfen Analyse der Monarchie ihrer eigenen Zeit.

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