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Neonikotinoide
Schädlich nicht nur für Bienen

Die sogenannten Neonikotinoide sollen Pflanzen vor dem Befall durch Schadinsekten schützen. Die Mittel sind umstritten, weil sie auch nützliche Insekten wie beispielsweise Bienen schädigen können und möglicherweise sogar den Ackerboden. Deshalb wird auf EU-Ebene über ein Verbot einiger Stoffe beraten.

Von Daniela Siebert | 19.07.2017
    Biene im Anflug
    Nicht nur Bienen können durch Neonikotinoide geschädigt werden. (picture alliance/dpa/Foto: Patrick Pleul)
    Damit Schadinsekten die teuren Samenkörner nicht wegfressen, beizen manche Hersteller die Körner vorab mit Neonikotinoiden. Das Problem dabei: Über 98 Prozent des Wirkstoffs landen im Boden, berichtet das Netzwerkforum für Biodiversitätsforschung Deutschland. Dort sind sie offenbar noch bis zu drei Jahre wirksam. Und oft genug trifft das Gift dann auch Organismen, die gar nicht Ziel des Insektizids sind, zum Beispiel Ameisen, Regenwürmer und Springschwänze. Wenn sie leiden, verschlechtert sich auch die Qualität des Bodens und letztlich kann sich das auch negativ auf die behandelte Pflanze auswirken. Diese Zusammenhänge sind aber noch nicht ausreichend untersucht, betont das Netzwerkforum.
    Wissenslücken rund um die Neonikotinoide
    Das Problem sieht auch der Agraringenieur und Epidemiologe Anton Safer. Der langjährige Mitarbeiter des Instituts für Öffentliche Gesundheit an der Universität Heidelberg hat sich auf die Neonikotinoide spezialisiert und sieht ebenfalls große Wissenslücken. Das fängt schon dabei an, wieviel Neonikotinoide eigentlich im Boden landen:
    "Studien zeigen sehr unterschiedliche Zahlen: Was in die Pflanze geht, sind Bruchteile von bis zu 20 Prozent, etwa in der Größenordnung. Und der Rest bleibt im Boden, wird abgedriftet, geht ins Grundwasser, alles das. Die Halbwertszeit der Ausgangssubstanzen kann wenige Stunden oder Tage betragen, geht aber auch bis in die Jahre. Das Ganze hängt vom Neonikotinoid ab, gibt schnell abbauende, aber auch von den Bedingungen der Umgebung."
    Eine Rolle spiele auch, wieviel es regnet, wie kalt es ist und wieviel Sauerstoff der Boden enthält. Sicher ist laut Safer, dass Neonikotinoide auch Enzyme in Organismen blockiere, die für die Entgiftung der Körper zuständig sind. Nachgewiesen sei dieser Effekt zum Beispiel bei Regenwürmern und vermindere deren Lebensfähigkeit.
    An Regenwürmern hätten sich außerdem schon andere Schäden durch Neonikotinoide gezeigt: Sie waren weniger aktiv, hatten Probleme mit der Verdauung und mit der Fortpflanzung. Auch sogenannte Collembole, kleine Sechsfüsser, die für den Nährstoffkreislauf im Boden wichtig sind, seien stark von Neonikotinoiden betroffen ergänzt das Umweltbundesamt.
    Völlig unklar ist aus Sicht von Anton Safer, wie sich Neonikotinoide im Zusammenspiel mit anderen Mitteln auswirkten, etwa Fungiziden, die Pilzbefall der Pflanzen bekämpfen sollen.
    Unterschiede bei unterschiedlichen Stoffen
    Zu wenig wisse man auch, was aus den Abbauprodukten der Neonikotinoide im Boden werde, so Anton Safer. In mancher Hinsicht müsse zudem zwischen den einzelnen Stoffen aus dieser Gruppe unterschieden werden.
    "Wir wissen, dass beispielsweise ein neuer Neonikotinoidwirkstoff der vierten Generation – Guadipyr – zum Beispiel keine Erbgutschädigungen an Regenwürmern macht, zumindest nicht in den ackerüblichen Dosen. Und es geht mit weniger Öko-Toxizität einher als die fünf älteren Neonikotinoide wie Imidacloprid, Acetamiprid, Nitenpiram, Chlotianidin und Thiacloprid."
    Zwei der genannten Substanzen werden jetzt möglicherweise in der EU verboten. Das Umweltbundesamt sieht die unbeabsichtigten Wirkungen von Neonikotinoiden auch kritisch und fasst die Prüfergebnisse so zusammen:
    "Eine Bewertung der Risiken einer Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, die Neonikotinoide enthalten, zeigt häufig auf der Basis von Laborstudien erstmal ein unakzeptables Risiko für Bodenorganismen an. Die weiterführenden Studien, die nach den heute gültigen Leitfäden mit Neonicotinoiden durchgeführt wurden, zeigen ein akzeptables Risiko im Freiland."
    Zwar werden im deutschen Zulassungsverfahren auch Effekte an einzelnen Arten im Labor getestet, zum Beispiel an Regenwürmern. Alles in allem hält das Umweltbundesamt die heutigen Prüfverfahren für Pflanzenschutzmittel aber für ungeeignet und würde sie auch mit Blick auf die Neonikotinoide gerne ändern.
    "Aus unserer Sicht sind Feldversuche, die das Vorkommen und die Vielfalt von Bodentieren im Freiland untersuchen, besser geeignet, die Wirkungen auf Bodenorganismen zu erfassen und somit das Risiko für diese Gruppe korrekter zu beschreiben."
    Experten halten Prüfmethoden für ungenügend
    Auch Anton Safer hält die heutigen Prüfmethoden für ungenügend.
    "Worauf wir gar nicht schauen im Boden, das sind beispielsweise viele Arten von Bakterien, die also im Zersetzungsprozess des organischen Materials beteiligt sind. Da sind auch Kleinlebewesen dabei, beispielsweise Springschwänze, die ganz wichtige Arbeit leisten, damit Bodenmaterial zersetzt wird. Und wenn ich das nicht untersuche, dann, denke ich, ich habe einen Vorteil in der Schädlingsbekämpfung, dieser Vorteil begrenzt sich aber dadurch, dass ich auf der anderen Seite Schäden auslöse als Landwirt, die dann sich langfristig eben negativ auswirken. Die mir auch meine Bodenfruchtbarkeit als Landwirt kaputt machen."
    Anton Safer plädiert für realitätsnähere Studien, die die fertigen Präparate prüfen und nicht nur einzelne Wirkstoffe. Und das auch auf echten, typisch behandelten Ackerböden, auf denen also viele Substanzen zum Einsatz kommen. Vor allem brauche es Prüfungen über längere Zeiträume. Nicht im Labor.