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Analyst: Luxemburg und die Schweiz blockieren Kampf gegen Steuerflucht

Luxemburg möchte die Fortschritte zum Austausch von Steuerdaten auf den Sankt Nimmerleinstag verschieben und die Schweiz wird nun darauf pochen, dass auch andere Staaten wie Hongkong zustimmen sollen, sagt Markus Meinzer vom Tax Justice Network. Das sei eine Strategie, die blockiere.

Markus Meinzer im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 23.05.2013
    Mario Dobovisek: Von einem Riesenschritt nach vorne spricht Bundeskanzlerin Angela Merkel, als sie am Abend die Ergebnisse des EU-Gipfels zur Steuerhinterziehung zusammenfasst. Doch gegen neue Regeln zum Austausch von Daten gibt es weiter Widerstand, sodass unklar ist, wie welche Beschlüsse wirklich umgesetzt werden können. Zumindest steht eine Frist: Bis Ende des Jahres soll es Klarheit geben.
    Gegen Steuerhinterziehung wollen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union also entschieden vorgehen. Darüber sprach am Abend mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann mit Markus Meinzer vom Tax Justice Network, einer Organisation, die sich für eine weltweite Steuertransparenz und Gerechtigkeit einsetzt. Seine erste Frage lautete: Ist das Bankengeheimnis bald Geschichte?

    Markus Meinzer: Hier hört es sich so an nach den Ergebnissen des heutigen Gipfels, als würden die Worte und Taten nach wie vor sehr auseinanderklaffen. Wenn man im gegenwärtigen Klima bei einem solchen hochkarätigen Gipfel es noch nicht einmal schafft, sich gegen Luxemburg innereuropäisch durchzusetzen, dann wird mir angst und bange über das nächste halbe Jahr, in dem ja dann diese Fortschritte tatsächlich geschehen sollen. Ich hoffe, dass da natürlich ich mich irre und dass da mehr bei rauskommt, aber das hört sich jetzt erst mal sehr nüchtern an.

    Dirk-Oliver Heckmann: Jean-Claude Juncker hat ja im Prinzip gesagt, wir Luxemburger, wir treten diesem automatischen Informationsaustausch bei, aber erst, wenn wir das Ergebnis der Verhandlungen mit Nicht-EU-Mitgliedern wie der Schweiz kennen. Ist das nicht auch nachvollziehbar, dass man erst mal sehen will, was dabei rauskommt, denn auch der Finanzplatz Luxemburg steht ja im Wettbewerb?

    Meinzer: Ich glaube, diese Strategie ist eine Strategie, die sehr kurzsichtig ist, denn man kann ja auch keine Straftat unter dem Verweis gut heißen oder nicht dagegen vorgehen, dass andere genau die gleichen Straftaten begingen, und dieser Logik scheint der Herr Juncker offenbar nachzugehen. Für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass man die Transparenz innereuropäisch nicht herstellen möchte, weil man fürchtet, dass das Geld woanders hingeht. Wir wissen, dass Zufluss großer Finanzmittel auch deutliche Risiken und Nebenwirkungen hat für ein Finanzsystem, und hier, scheint mir, ist Herr Juncker doch sehr unter dem Einfluss der Finanzindustrie Luxemburgs.

    Heckmann: Welche Risiken und Nebenwirkungen sind das, welche Folgen haben Steuerflucht und Steuervermeidung?

    Meinzer: Auch für die Zielländer. In einem Land, in einer Steueroase haben wir festgestellt, dass der Finanzfluch – so nennen wir dieses Phänomen – dazu führt, dass diese Wirtschaft sich sehr einseitig ausrichtet, dass in dieser Wirtschaft die Finanzindustrie überproportional ist und zu großen Einfluss auf das Finanz- und auch demokratische System erlangt und damit auch langfristig wirtschaftliche Einbußen im Sinne eines geringeren Wirtschaftswachstums sich nachweisen lassen.

    Heckmann: Jetzt stellt Jean-Claude Juncker Bedingungen dafür, dass Luxemburg bei dieser ganzen Geschichte mitmacht. Haben Sie den Eindruck, dass er da auf Zeit spielt und am Ende eigentlich will, dass die Sache scheitert?

    Meinzer: Diese Strategie war in den letzten 10 bis 15 Jahren in diesem europäischen Versuch, mehr Kooperation im Steuerhinterziehungsbereich zu erreichen, beobachtbar und das ist in der Tat die Fortsetzung dieser Strategie. Man möchte hier die Fortschritte auf den Sankt Nimmerleinstag verschieben, weil die Schweiz – das weiß Herr Juncker ganz genau – wird natürlich seinerseits nun darauf pochen, dass nicht nur die Schweiz zustimmen soll, sondern natürlich auch Hongkong und andere Staaten. Also wir haben hier ein Domino-Bedingungsspiel, das im Grunde niemals endet und was im Grunde darauf hinausläuft: Wenn nicht von allen sofort jedes Problem im Steuerwesen global gelöst wird, dann wollen wir uns erst gar nicht bewegen. Das ist eine Strategie, die blockiert.

    Heckmann: Wobei hinzukommt, dass die Schweiz ja auch schon angekündigt hat, ja, man wolle durchaus neue Verhandlungen, aber das Bankgeheimnis preiszugeben, das komme nicht infrage.

    Meinzer: Ich glaube, da gibt es auch ein bisschen widersprüchliche Meldungen noch aus der Schweiz. Einerseits gibt es durchaus Signale, dass man dem automatischen Informationsaustausch mittlerweile nicht mehr grundsätzlich ablehnend gegenübersteht. Auf der anderen Seite habe ich vernommen, dass da auch Frau Widmer-Schlumpf genau auf außereuropäische oder andere Steueroasen verweist wie Hongkong und sich da die Hintertür auch offen lässt: Solange diese nicht mitmachen, möchte man in der Schweiz das auch auf gar keinen Fall.

    Heckmann: Milliarden, Herr Meinzer, werden ja nicht nur illegal in Steueroasen geparkt; Milliarden verschieben auch Unternehmen, und zwar ganz legal ins Ausland. Apple hat so Milliarden an Steuern vermieden, auch Starbucks beispielsweise und Google stehen in der Kritik. Ist das nicht das eigentlich viel größere Problem?

    Meinzer: Ich glaube, dieses Problem lässt sich nicht unbedingt beziffern, ob es tatsächlich das größere Problem ist. Ich glaube, beide Probleme sind zusammen zu betrachten, denn wenn wir auf der einen Seite Konzernsteuervermeidung nur lösen würden, aber die Steuerhinterziehung von Einzelpersonen nicht lösen, dann hätten wir einfach das Problem verschoben, weil die ganzen Gewinne der Konzerne ja letztlich auf den Konten von Einzelpersonen landen. Hier haben wir, glaube ich, ein doppeltes Problem, das gleichzeitig auch angegangen werden sollte und könnte. Wir haben aber in der Tat hier in der Konzernsteuerthematik ein noch weit weniger gelöstes Problem als in der anderen Thematik, und da ist noch größerer Handlungsbedarf. Dem stimme ich zu, ja.

    Heckmann: Die Unternehmen, die tun ja nichts Illegales, sie nutzen Lücken. Wer ist für diese Lücken verantwortlich?

    Meinzer: Ich glaube, man muss vorsichtig sein, hier eindeutige Schuldige zu benennen. Aber es ist schon zu beobachten, dass in den letzten 30, 40 Jahren die internationalen Steuerregeln sich so entwickelt haben, dass sie diese Form von Konzernsteuervermeidung zulassen und auch mitunter fördern, und diese Regeln werden von der OECD gemacht, also von den Regierungen der reichsten Nationen dieser Erde, die für diese Regeln im Grunde nach dem Zweiten Weltkrieg die Verantwortung übernehmen wollten und es übernommen haben. Da wäre für mich der erste Anlaufpunkt zu sagen, hier müsste sich etwas ändern.

    Dobovisek: Markus Meinzer vom Tax Justice Network. Die Fragen stellte mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.