Forscher und Künstler beraten über "Notoperation am Klimasystem"

Tobias Hülswitt und Roman Brinzanik im Gespräch mit Susanne Burg · 08.12.2011
In einer neuen Reihe sollen Vertreter verschiedener Disziplinen über den Klimaschutz diskutieren. Die Idee dazu kam von dem Autor Tobias Hülswitt und dem Physiker Roman Brinzanik. Wenn sich Forscher und Künstler zusammentun, kämen einfach die besten Ideen zustande, meint Hülswitt.
Susanne Burg: Eine Veranstaltungsreihe scheut sich nicht vor den ganz großen Fragen: Werden wir die Erde retten? So lautet der Titel, unter dem ab heute, die Zukunft unseres Planeten auf dem Programm steht. Bis ins nächste Jahr hinein finden in verschiedenen deutschen Städten Diskussionen statt. Begleitend gibt es ein Interviewbuch. Die Idee dabei: Vertreter aus unterschiedlichen Gebieten treten miteinander in einen Dialog. Naturwissenschaftler mit Geisteswissenschaftlern, Ingenieure mit Sozialwissenschaftlern, Ökonomen mit Künstlern. Und entsprechend kommen auch die Ideengeber aus zwei recht unterschiedlichen Bereichen, und beide begrüße ich jetzt hier im Studio: Tobias Hülswitt, den Schriftsteller und zurzeit Gastprofessor am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Guten Tag!

Tobias Hülswitt: Hallo!

Burg: Und Roman Brinzanik, Physiker und Bioinformatiker und heute tätig am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin. Herzlich willkommen.

Roman Brinzanik: Guten Tag!

Burg: In Durban neigt sich die Klimakonferenz dem Ende zu. Große Ernüchterung hat sich breit gemacht, ja geradezu Enttäuschung. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon hat eingestanden, verbindliche Abkommen stünden derzeit wohl außerhalb der Möglichkeiten, man kommt einfach nicht zueinander. Herr Brinzanik, ist die Frage Ihrer Veranstaltungsreihe "Werden wir die Erde retten?" nach der Konferenz in Durban nicht eigentlich schon beantwortet – mit nein?

Brinzanik: Nein, sie ist nicht beantwortet, ich denke, die Sache drängt, ganz klar. Also das heißt, je mehr Zeit vergeht, und die CO2-Emissionen nicht gesenkt werden, desto schlimmer für das Weltklima, aber andererseits kann das ja bei den nächsten Klimakonferenzen ja nachgeholt werden, und ich denke, ganz, ganz wichtig ist, es gibt nicht nur diese Akteursebene der zwischenstaatlichen Abkommen, ja? Also auch Verbraucher können etwas machen, Städte können etwas machen, Unternehmen, Gemeinden, und so weiter. Das heißt, unter Umständen ist man gar nicht darauf angewiesen, dass es ein Nachfolge-Protokoll für Kyoto gibt, obwohl es natürlich absolut wünschenswert wäre, und es wird sehr wahrscheinlich eines Tages auch dazu kommen.

Burg: Auch eine Veranstaltungsreihe kann ja einen Beitrag leisten. Der Ansatz ist ja sehr interessant, Geisteswissenschaftler, Naturwissenschaftler zusammenzuspannen. Bei der Veranstaltung "Die Zukunft der Arten" sind zum Beispiel die Schriftstellerin Hilal Sezgin und der Paläontologe Volker Mosbrugger zusammen. Herr Hülswitt, was können solche Kombinationen zur Diskussion um die Zukunft der Welt denn beitragen?

Hülswitt: Also wir haben zum einen bei den Interviews, die wir mit Wissenschaftlern geführt haben, festgestellt, dass die eigentlich ganz heiß darauf sind, mit Leuten aus dem Kulturbereich zu sprechen, weil sie sich davon versprechen oder die Erfahrung gemacht haben, dass da manchmal Ideen herauskommen, auf die sie nicht kommen konnten, weil sie in ihren Bereichen eben denken – das kann also sehr fruchtbar werden –, und zum anderen ist eben Klimawandel und die anderen Ressourcen und Umweltkrisen, das sind ja auch kulturelle Krisen, also kulturell verursacht und wirken wieder auf die Kultur zurück. Und man muss also eigentlich alle Akteure in der Gesellschaft zusammenbringen, miteinander sprechen lassen.

Burg: Sie haben gesagt, Geisteswissenschaftler kamen auf andere Ideen. Was ist denn das? Können Sie ein Beispiel nennen?

Hülswitt: Ich weiß, dass der Professor für synthetische Biologie in Harvard, als ich zu ihm sagte im Scherz, Sie brauchen einen Schriftsteller in Ihrem Labor, sagte er: Habe ich ja! Ich habe einen Schriftsteller, und ich habe einen Künstler hier, und ich habe Gruppen, wir sitzen zusammen und denken über diese Probleme nach. Und diese Gruppen sind die besten!

Burg: Sie selber sind ja nun auch Schriftsteller. In der Ankündigung zu dem Interviewband heißt es, dass sich Szenarien der Ressourcenknappheit und es Klimawandels zu großen Katastrophenerzählungen unserer Zeit verbinden. Schreibt denn die Menschheit hier an einem Roman, den sich ein Schriftsteller nie so drastisch hätte ausdenken können?

Hülswitt: Also wir hätten ihn uns nicht so komplex ausdenken können, das glaube ich. Wir haben Erzählmodelle, die reduktionistisch funktionieren, auf Spannung und so weiter optimiert sind. Deshalb sind unsere Erzählungen vielleicht dramatischer, als es in der Wirklichkeit sein wird, und gehen vielleicht auch zu wenig dramatisch – schwer zu sagen. Aber sie können jedenfalls in der Komplexität dieses Problem nicht so gut darstellen.

Burg: Der Physiker Roman Brinzanik und der Schriftsteller Tobias Hülswitt sind zu Gast hier im "Radiofeuilleton" im Deutschlandradio Kultur. Wir sprechen über eine Veranstaltungsreihe, die sie organisiert haben, die heute beginnt. "Werden wir die Erde retten?" heißt sie.

Ein zentraler Ansatz der Reihe sind die Thesen des Nobelpreisträgers und Atmosphärenforschers Paul Crutzen. Er sagt: Wir befinden uns im erdgeschichtlichen Zeitalter des Anthropozäns. Das heißt, der Mensch wird zum maßgeblichen Faktor. Diese These ist unter Geologen nicht ganz unumstritten, die Gegner sagen, jedes Zeitalter muss eindeutig anhand einer einheitlichen Schicht im Boden weltweit nachweisbar sein, außerdem heißt es, das ganze würde wissenschaftlich eher Probleme schaffen, als nützen, weil die Geologie eigentlich ihre Kriterien der Erdzeitalter überprüfen muss. Wie positionieren Sie sich in der Diskussion?

Brinzanik: Meiner Meinung nach wäre diese geologische Auffassung eine sehr enge Auslegung. Der interessantere Aspekt an diesem Begriff ist eigentlich eher, dass Paul Crutzen feststellt, dass der Mensch einen sehr, sehr großen Einfluss auf das gesamte Erdsystem hat, und der Mensch also mit zum größten gestaltenden Faktor des Erdsystems wird, und das kann man messen an vielen Aspekten.

Also die Menge an Stickstoff, die im Erdsystem in diesen riesigen Kreisläufen unterwegs ist, ist größer als die natürliche Stickstoffmenge sozusagen, ohne den Menschen, oder die Rate des Artensterbens ist ganz klar durch den Menschen jetzt verzehnfacht bis verhundertfacht, und dazu natürlich die Treibhausgase und so weiter. Und das heißt, wenn der Mensch sich bewusst wird, zum Beispiel, dass er der gestaltende Faktor des Erdsystems ist, dann hat das ja auch einen Verantwortungsanspruch.

Burg: Auftakt der Reihe bildet heute das Thema "Geo-Engineering als Plan B". Herr Hülswitt, worüber reden wir beim Geo-Engineering überhaupt?

Hülswitt: Geo-Engineering beschreibt als Überbegriff verschiedene großskalige technologische Eingriffe in das Erdsystem, die den Zweck haben, die Einstrahlung der Sonne zu mindern, um eben den Klimawandel zu bremsen. Und da gibt es ganz unterschiedliche Vorschläge, da gibt es einmal den von Paul Crutzen eben, Schwefelsulfat in großen Mengen – also terratonnenweise – in die Stratosphäre einzubringen, das würde wie ein Schutzschirm sich um die Erde legen, müsste allerdings alle zwei bis vier Jahre erneuert werden, würde die Ozonschicht schädigen und hätte Einfluss auf die Pflanzenproduktion, weil weniger Sonnenlicht durchdränge.

Es gibt die Meeresdüngung, also die Meere mit Eisen zu düngen, um das Algenwachstum zu verstärken, damit die Ozeane mehr CO2 aufnehmen und das dann mit den Algen auf den Meeresboden sinkt und dort sequestriert wird. Es gibt eine ganze Reihe von verschiedenen großen technischen Ideen.

Burg: Und zu Gast sind heute Abend der Philosoph Peter Sloterdijk und der Klimaforscher Stefan Rahmstorf. Interessant vor allem die Position von Peter Sloterdijk. Was wird er in die Diskussion denn einbringen?

Brinzanik: Darauf sind wir natürlich selbst gespannt, also ich weiß nicht genau, worauf Herr Sloterdijk sich beziehen wird. Ich freue mich deswegen auch schon sehr auf diesen Abend, aber es gibt einen bekannten Artikel von Herrn Sloterdijk, und der heißt: "Wie groß ist groß?" Und in diesem Artikel bezieht sich Peter Sloterdijk auf den bekannten Visionär und Architekten der 60er-Jahre, Buckminster Fuller, der diesen Begriff des Raumschiffs Erde geprägt hat. Das heißt, die Erde wurde, seit man sich dieser großen Umweltkrisen bewusst wurde in den 60er-, 70er-Jahren, als ein Raumschiff angesehen, das der Mensch natürlich warten muss, weil er ja auf diesem Raumschiff durch das All sozusagen unterwegs ist. Und ich denke mal oder hoffe zumindest, dass Herr Sloterdijk uns das näher erklären wird.

Burg: Was ist denn Ihre Meinung, Herr Hülswitt, wird Geo-Engineering unumgänglich, wären also zum Beispiel große Mengen an Schwefelaerosolen in die Atmosphäre zu bringen, um die Sonneneinstrahlung abzuschirmen und damit die Erderwärmung abzumildern?

Hülswitt: Die Vorhersagen sind ja immer schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen, wie man so sagt. Ich kann mir vorstellen, dass das passieren wird. Also wenn die Klimawandelfolgen so drastisch werden, dass einzelne Staaten oder Großmächte entscheiden, dass sie jetzt solche Dinge beginnen, könnte ich mir vorstellen, dass das stattfindet. Ich glaube aber, für mein Empfinden – ich habe da eher ein Empfinden und ein Gefühl, ich kann das auch nicht richtig belegen, aber ich fände es relativ katastrophal, weil man das dann immer forttreiben müsste. Dann kann man nicht mehr plötzlich aufhören. Dann gäbe es so Rebound-Effekte und ähnliches, also es wäre sehr schwierig.

Burg: Und trotzdem stehen ja schon ganz viele Firmen in den Startlöchern, denn man wittert das große Geld. Auch die Bundesregierung hat so ein bisschen vorsichtig das Thema enttabuisiert. Wird sich denn die Bundesregierung dem Geo-Engineering langfristig nicht einfach öffnen müssen?

Brinzanik: Na, wahrscheinlich auf jeden Fall der Forschung an Geo-Engineering. Denn ich meine, der Titel unserer Veranstaltung heute Abend heißt ja auch: "Geo-Engineering als Plan B". Das heißt, das wäre sozusagen eine Notoperation am Klima, falls die Treibhausgasemissionen eben so weitergehen, wie sie die letzten Jahre anstiegen. Aber ich denke, es ist vollkommen klar, das ist eine Notoperation, oder es wäre eine Notoperation am Klimasystem und keine Lösung.

Hülswitt: Und man kann sich das eben vorstellen, dass es so eine Dynamik gibt, dass wenn eine Industrie ins Rollen kommt, dass das dann so ein Selbstläufer wird, also ein sich selbst forttreibender Prozess wird, der dann schwierig zu stoppen ist. Es wäre viel besser, wenn es ein CO2-Recycling, eine CO2-Wiederverwertung gäbe in Baustoffen und ähnliche Dinge, und da Industrie anspringen würde. Dann würde man vielleicht um so ein Geo-Engineering herumkommen.

Burg: Roman Brinzanik und Tobias Hülswitt. Vielen Dank für Ihren Besuch!

Brinzanik: Danke schön!

Hülswitt: Danke schön!

Burg: Sie sind die Organisatoren der Veranstaltungsreihe "Werden wir die Erde retten?", die heute in Hamburg mit der Diskussion "Geo-Engineering als Plan B" beginnt. Als nächstes Thema steht im Januar dann die Zukunft der Energie in Dortmund auf dem Programm, und es wird im März 2012 bei Suhrkamp auch ein Buch erscheinen: "Werden wir die Erde retten? – Gespräche über die Zukunft von Technologie und Planet".


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Links bei dradio.de:

Weitere Informationen über die Klimakonferenz in Durban erhalten Sie auf unserem Portal Durban 2011.