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Wollustsänger und Weltenbürger

Christoph Martin Wieland, der vor 275 Jahren zur Welt kam, war einer der großen Dichter und Denker der klassischen Zeit. Trotzdem wurde er nie ganz so berühmt wie die anderen: zu viel Ironie, zu viel Erotik, zu viel Geist, zu viel Formenspiel, zu viel Weltbürgertum, auf alle Fälle ein freier Geist und ein Pionier der deutschen Literatur, den man auch heute noch mit Vergnügen lesen kann.

Von Christoph Schmitz-Scholemann | 05.09.2008
    So zuversichtlich klingt Alceste, die erste Oper in deutscher Sprache. Der Jubel bei der Uraufführung 1773 galt dem Librettisten: Christoph Martin Wieland, geboren am
    5. September 1733, in einer Zeit, da Deutsch als Literatursprache wenig galt. Die feinen Leute sprachen französisch und das Volk schwäbisch, sächsisch oder platt. Achtzig Jahre später war die Weimarer Klassik Weltliteratur und Vater Wieland ihr glücklichster Wegbereiter.

    Im Blauen Salon des Frommannschen Anwesens zu Jena, wo Wieland oft zu Gast war, gibt Professor Klaus Manger Auskunft:

    "Wieland wird 1733 bei Biberach geboren, siedelt schon mit seinem Vater, der Pastor ist, nach Biberach 1736 um, hat hier erste Unterrichts- und Schulerfahrungen, kommt dann auf ein pietistisch geführtes Internat in Klosterberge bei Magdeburg."

    Fortan lernt er zwar nicht immer das, was er soll, aber alles, was er will: Das Studium der Rechte lässt er links liegen, dafür saugt er den ganzen Kosmos abendländischer Philosophie und Literatur in sich auf: Griechen und Römer, Franzosen und Engländer, ganze Wörterbücher ackert er durch. Als Kind beginnt er zu dichten und mit zwanzig ist er eine Größe in der literarischen Szene. Er geht als freier Poesie-Student in die Schweiz und macht sich mit schwärmerischen Versen einen recht frommen Namen.

    "Am Ende der Schweizer Jahre, 1759, hört er, dass eine Stelle in Biberach vakant ist und Wieland wird praktisch erster Verwaltungschef in dieser freien Reichsstadt."

    Wo ihm der Parteienstreit das Amt sauer und eine sangeslustige katholische Bibi die Abende süß macht. Trotzdem findet er Zeit für eine dichterische Pioniertat: Als erster übersetzt er Shakespeares große Dramen - 22 Stücke in einem würzigen und witzigen Deutsch. Und, wie nebenbei, fließen ihm wundersam leicht und luftig gereimte poetische Kunststücke aus der Feder, in denen Amors Fackel so kräftig leuchtet, dass der Autor plötzlich als "Wollustsänger" dasteht, der mit seinen Versen "Erectionen" mache. Auf Spott reagierte Wieland gelassen:

    "Und doch gesteh' ich dass mich's am wenigsten verdrießen würde, wenn ein paar Schock hübscher Buben und Mädchen ihr Daseyn meiner Muse zu dancken hätten. Seyn ist immer besser als nicht seyn."

    Wielands literarischer Ruf war gewaltig und ein wenig frivol, als er 1769 Biberach verließ und erst Philosophie-Professor in Erfurt und dann Prinzenerzieher am Weimarer Hof wurde. Bis 1775 übte er dort sein pädagogisches Amt aus - dann war er mit sehr auskömmlichen tausend Talern Rente frei für seine inzwischen vielköpfige Familie und vor allem für die Muse.

    Er schrieb viel und was immer er schrieb, atmet eine Haltung heiterer Welt- und Menschenzugewandtheit, die, wie seine Briefe zeigen, das Ergebnis harter Seelenarbeit war. In seinem Werk zuerst gingen Bildung, künstlerische Meisterschaft und der Blick des aufgeklärten Philosophen jenen Bund ein, der das Kennzeichen der Weimarer Klassik ist. Zu ihr gehört auch seine "Geschichte der Abderiten". In diesem satirischen Roman par excellence hält Wieland dem politischen Treiben aller entwickelten Gesellschaften den Spiegel vor:

    "Das Hauptproblem der Abderiten ist ihre Dummheit. Und diese Dummheit ist ein allgemein menschliches Phänomen, nämlich, mit einem Begriff von Kant zu sprechen, die Urteilskraft nicht anwenden zu können. Und der Rechtsdenker Wieland ist in dem am stärksten rezipierten Buch der Abderiten natürlich am deutlichsten, das ist "Der Prozess um des Esels Schatten", wo man den Esel von seinem Schatten trennen und für beides getrennt Gebühren erheben will: Also unsere Überregulierung, unser bürokratischer Wahn, der hätte hier wunderbare Voraussetzungen und damit könnte man herrlich operieren. Das Buch müsste nur auch in der Schule gelesen werden, damit man rechtzeitig darauf stößt."

    Am 22. Januar 1813 starb Christoph Martin Wieland. In einem Winkel seines rosenduftenden Landguts, das heute als Jugendbegegnungsstätte dient, steht der Grabstein für Wieland, seine Frau und die Enkelin einer frühen Liebe. Hier in Ossmannstedt vor den Toren Weimars hört der Besucher die Ilm rauschen. Und wenn er Glück hat, findet er einen Schüler, der den von Wieland selbst verfassten Grabspruch liest:

    "Liebe und Freundschaft umschlang die verwandten Seelen im Leben.
    Und ihr Sterbliches deckt dieser gemeinsame Stein."