Dienstag, 30. April 2024

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Alter und Arbeit

Autumn leaves, der Herbst geht, dieser Titel perlte der Combo aus den Fingern im Wiesbadener Landeshaus. Der Wirtschaftsminister hatte geladen, ließ Unternehmen feiern, die sich um die Integration ausländischer Mitarbeiter verdient gemacht haben. "Together in Hessen" hieß der Wettbewerb. Angeregt hatte ihn der Wirtschaftsminister der Landesregierung, die 1998 mit einer umstrittenen Unterschriftenaktion zur doppelten Staatsbürgerschaft ins Amt gekommen ist. Dieter Posch also, von der FDP, setzt sich ab von der CDU-Aktion damals, und er weiß warum:

Michael Braun | 03.12.2002
    Ich hab das damals nicht für gut gehalten. Man soll Politik nicht immer daran messen, was für Sprüche gekloppt werden, sondern an dem, was wir tun. Dass das meinem Koalitionspartner in der Weise nicht gefällt, wie wir das machen, das ist mir ziemlich egal. Wir setzen in Hessen auf Internationalität und nicht auf Ausgrenzung. Zuwanderung hat unterschiedliche Aspekte, hat soziale Aspekte, hat rechtsstaatliche, hat innenpolitische Aspekte. Ein klein wenig zu kurz gekommen ist immer der ökonomische und damit gesamtgesellschaftliche Aspekt.

    "Her mit den Fachkräften" hieß eine Mittelstandstagung kürzlich in Gießen: Es herrscht Arbeitskräftemangel, vereinzelt noch, regional oder sektoral eingekapselt, aber der Mangel könnte bald zum Alltag werden, je älter und je weniger die Deutschen werden. Hartmut Buck vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft in Stuttgart:

    Was fehlt, sind die spezifischen Qualifikationen, die einzelne Unternehmen oder Branchen nachfragen. Wir haben heute zum Beispiel einen Ingenieurmangel. Dort muss man aber auch sagen, dass nach VDI-Berechnungen 60.000 Ingenieure arbeitslos sind. Gleichzeitig suchen die Unternehmen Ingenieure, die frisch von der Hochschule kommen, aus unterschiedlichen Gründen, so dass wir also immer ein Delta haben zwischen dem, was Unternehmen nachfragen und dem, was am Arbeitsmarkt an Qualifikation, an Personen zur Verfügung steht. Und ab 2010 werden sich diese Unterschiede stark verschärfen, das heißt: bestehende Ungleichgewichte werden massiv, exponentiell höher werden.

    Das liegt an der demografischen Entwicklung, und die beschäftigt auch die Ökonomen in den Banken, nicht die, die das Tagesgeschäft betreiben, aber doch die, die die strategischen Szenarien der Zukunft vorbereiten. Uwe Angenendt, Chefvolkswirt der ING-BHF-Bank:

    Wir müssen uns mit diesen Themen auseinandersetzen. Die demografische Entwicklung in vielen Ländern läuft eher ungünstig, die Bevölkerung wird im Durchschnitt älter. Natürlich wird sich das an den Arbeitsmärkten niederschlagen. Und ich denke, adäquat darauf reagieren sollte man, indem man frühzeitig Zuwanderung in verträglichem Maße möglich macht, um das zumindest teilweise zu kompensieren. Wir werden auch zu anderen Arbeitsmodellen kommen müssen, die es möglich machen, mit der vorhandenen Altersstruktur der Arbeitnehmer die Einkommen zu erzielen, die es ermöglichen, die sozialen Sicherungssysteme, Rentenversicherung und so weiter, aufrechterhalten zu können.

    Und Stefan Schneider von der volkswirtschaftlichen Forschungsabteilung der Deutschen Bank sagt über die Wechselwirkungen zwischen demografischer Entwicklung und Wirtschaft:

    Das beeinflusst die wirtschaftliche Entwicklung auf beiden Seiten, einmal auf der Angebotsseite: Mit der Veränderung der Bevölkerung und der Bevölkerungsstruktur gehen natürlich Veränderungen des Arbeitspersonenpotentials einher. Aber auf der anderen Seite wird sich natürlich auch die Nachfrage deutlich verschieben. Natürlich hat eine älter werdende Bevölkerung eine andere Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen als eine relativ junge Bevölkerung. Also von daher sehr spannend auf beiden Seiten, und es führt zu Strukturveränderungen. Und ganz aktuell natürlich, Stichwort: Sozialstaat, tiefe Einschnitte stehen uns einfach ins Haus, demografisch bedingt, und da müssen die entsprechenden Weichenstellungen möglichst frühzeitig gelegt werden.

    Wir sind in Rossbach bei Darmstadt bei der Enviro Chemie. Eine Umwälzpumpe läuft, presst bräunliche Brühe durch Filter, die restliche, deutlich klarere Flüssigkeit sammelt sich in einem Tank. Der Geschäftsführer Gottlieb Hupfer erklärt, was hier geschieht:

    Es ist mal Schweinegülle gewesen. Schweinegülle ist ein großes Problem in Europa. Besonders dort, wo viele Zucht- und Mastbetriebe sind, fällt außerordentlich viel Gülle an, die so nicht mehr alleine auf die Felder ausgebracht werden kann. Wir haben Systeme entwickelt, um Gülle aufzubereiten. Mit dieser Anlage, die Sie hier sehen, können wir vorbehandelte Gülle so aufbereiten, das wir auf der einen Seite klares Wasser haben, was wir in die öffentliche Kanalisation ableiten und auf der anderen Seite ein Güllekonzentrat, was dann in kleinerer Menge wieder auf die Äcker aufgebracht werden kann.

    Auch die Spül- und Waschwässer der Farbenindustrie reinigt Enviro. Vor zehn Jahren machte Hupfer noch 90 Prozent seines Geschäfts in Deutschland, jetzt ist es nur noch ein Drittel. Die Kunden wanderten ins Ausland ab, bauten dort ihre Produktion auf, auch weil die Märkte hier gesättigt schienen. Hupfer und seine Enviro-Chemie zogen mit. Und sie setzten im Ausland auf ausländische Mitarbeiter, die sie zuvor als junge Praktikanten nach Rossdorf geholt und ausgebildet hatten.

    Zu Osteuropa kann man sagen: Da findet man heute gute junge Leute, mit fast der gleichen Denke wie bei uns, hervorragend schulisch ausgebildet und auch sehr zielstrebig, mit sehr großem Erfolgswillen. In Lateinamerika ist es genauso. In Brasilien haben wir hervorragend ausgebildete junge, motivierte Leute, und ist überhaupt kein Problem, mit denen zusammenzuarbeiten. In China ist es mit der Motivation genauso, nur die Mentalität ist für uns nicht so schnell und so einfach zu begreifen. Da braucht man einfach wesentlich länger, um gemeinsam den gleichen Weg zu verstehen.

    Die Wachstumsmärkte verschieben sich also, und das hat auch einen demografischen Hintergrund. Denn: Wo weniger Menschen leben, wird auch weniger gebaut, verbraucht, gewirtschaftet. Die demografische Herausforderung in Deutschland, aber nicht nur hier, trifft das Land von zwei Seiten: die Geburtenrate schrumpft, die Lebenserwartung aber steigt.

    Immer seltener muss in den Kirchen das Trostlied Friedrich Silchers gespielt werden, denn die Deutschen sterben später, weil sie älter werden. Derzeit ist eine Hälfte der Bevölkerung jünger, die andere älter als 40 Jahre. In knapp 50 Jahren, schätzt die UNO, wird dieses so genannte Medianalter bei 50 Jahren liegen – eine Hälfte der Bevölkerung ist also jünger, die andere älter als 50. Derzeit kommen auf hundert Menschen im erwerbsfähigen Alter 39 Rentner, in 50 Jahren werden es 75 sein. Die Menschen leben also länger, werden älter. Zugleich wachsen weniger junge Menschen nach.

    Zwar bekommen die Frauen, die Kinder zur Welt bringen, immer noch zwei Kinder im Laufe ihres Lebens – das reichte, um die Bevölkerung stabil zu halten. Aber immer weniger Frauen gebären überhaupt Kinder: Beim Geburtsjahrgang 1940 waren es nur zehn Prozent aller Frauen, die kinderlos blieben. Im Jahrgang 1965 war es aber schon ein Drittel. Professor Eberhard Merz, Chefarzt der Frauenklinik am Frankfurter Nordwest-Krankenhaus über seine Erfahrungen mit dem Reproduktionsverhalten der Deutschen:

    Insgesamt ist es so, dass wir in Deutschland einen deutlichen Negativtrend haben in der Geburtenentwicklung, das heißt, wir werden in diesem Jahr etwa zehn Prozent weniger Entbindungen haben als im letzten Jahr. Insgesamt werden wir eine Geburtenquote von etwa 650.000 Geburten in Deutschland erwarten, das ist schon um einiges weniger als noch vor drei, vier Jahren, wo wir so etwa 850.000 Geburten hatten pro Jahr. Insgesamt sieht es so aus, als ob diese Negativentwicklung weiter anhalten wird, was natürlich für Deutschland eine mittelgradige Katastrophe darstellt, weil insgesamt kommt dann praktisch auf ein Ehepaar nur noch eine Quote von 1,5 Kindern, und das ist natürlich eigentlich viel zu wenig.

    Denn 2,1 Kinder pro Frau wären nötig, um den aktuellen Bevölkerungsstand zu halten. Nach Berechnungen der UNO wird die Bevölkerung in Deutschland bis 2050 von 82 auf 70 Millionen sinken. Das Arbeitskräftepotential sänke bis 2040 um 11 Millionen oder ein gutes Viertel auf dann nur noch rund 30 Millionen. Das heute nur regional oder sektoral beobachtete Phänomen des Arbeitskräftemangels könnte dann zu einem nationalen Problem werden. Professor Meinhard Miegel vom Institut für Wirtschaft und Gesellschaft in Bonn:

    Nach und nach wird sich das über ganz Deutschland ausdehnen, dieses Problem, weil der Anteil erwerbsfähiger Menschen zurückgeht in Deutschland. Das war schon in der Vergangenheit der Fall, und es ist bemerkenswert, dass dieser Rückgang von Erwerbsfähigen in der Größenordnung von 70.000 bis 100.000 pro Jahr sich nicht positiver auf dem Arbeitsmarkt niedergeschlagen hat. Recht betrachtet, ist heute die Arbeitslosigkeit, gemessen an den Erwerbsfähigen, höher, als sie vor vier Jahren war. Aber man kann dennoch davon ausgehen, dass in den kommenden Jahren dann dieser Effekt durchschlagen wird und auf Grund dieser Entwicklung die Zahl der Arbeitslosen abnehmen wird.

    Wie das Defizit an Arbeitskräften beseitigen oder wenigstens mildern? Zuwanderung wäre eine Hoffnung, eine nützliche, aber eine überschätzte. Das machen schon die Dimensionen klar. Bernhard Gräf von der Deutsche Bank Research:

    Langfristig ist es sicherlich kein Instrument, die demografische Entwicklung vollkommen zu vermeiden. Hierzu ein paar Beispiele: Zum Ausgleich des Bevölkerungsrückgangs wäre eine jährliche Nettozuwanderung von 350.000 Personen jedes Jahr notwendig. Will man die Zahl der Erwerbstätigen stabilisieren, bräuchte man 500.000 Zuwanderer jedes Jahr und wenn man den alten Quotienten, also praktisch die Belastung durch die älter werdende Bevölkerung stabilisieren, also auf dem jetzigen Niveau einfrieren möchte, bräuchte Deutschland sogar 3,5 Millionen Zuwanderer netto jährlich. Das sind Größenordnungen, die völlig außer Frage stehen. Langfristig ist durch die Zuwanderung bestimmt keine Lösung dieses demografischen Problems zu erreichen.

    Bleibt also eine längere Lebensarbeitszeit – eine Notwendigkeit, die die Fachleute erkannt haben, die bei den Menschen aber noch nicht angekommen ist. Die erleben bei Entlassungen vielmehr immer wieder, dass zunächst die Älteren auf die Straße gesetzt werden – eine aussterbende Praxis. Hartmut Buck vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft:

    Ich hab schon die Befürchtung, dass auf Grund der langjährigen Praxis, das viele Menschen denken, ich kann - wie die vorherige Generation – mit 55 oder spätestens 57 in den Vorruhestand, hab genug verdient, um mir einen schönen Lebensabend zu machen. Da wird ein Umdenkungsprozess nötig sein. Die Sozialsysteme – insbesondere das Rentensystem - werden so viele Abschläge in den nächsten Jahren erfordern, dass es sich nicht mehr so viele leisten können, vor 65 in Rente zu gehen. Die Mitarbeiter, die dann 50 oder 55 sind, können sich in Zukunft, ab 2008 oder 2010, nicht einfach aus den Veränderungen in den Tätigkeitsprofilen abkoppeln, sondern von denen wird bis zu ihrem Arbeitsende Leistung erwartet, insbesondere von den dünner werdenden Personaldecken, die wir in den Unternehmen haben.

    Die Unternehmen haben freilich derzeit andere Probleme. Die Konjunktur ist im Keller, Sparen und Stellenstreichungen sind allenthalben angesagt. Langfristige personalpolitische Tendenzen werden gesehen, sind aber nicht Tagesthema. Richard Pott, Personalvorstand Bayer AG:

    Wir haben dieses Thema zur Zeit wirklich nicht, wir haben ja verkündet, dass wir 2003 bis 2005 12.000 Arbeitsplätze abbauen müssen. Und da greifen auch dann die Instrumente wie Altersteilzeit, Frühruhestand. Wir haben derzeit eben ein anderes Problem, so dass wir also über eine Verlängerung der Arbeitszeit heute konkret noch nicht nachdenken. Wenn dieser Zustand eintreten sollte, werden wir natürlich entsprechend darauf reagieren. Der eine oder andere rechnet persönlich vielleicht damit, länger als bis 65 arbeiten zu müssen, aber die meisten denken eher darüber nach, ob sie mit 60 oder vielleicht früher gehen können, weil natürlich auch entsprechende Angebote von uns im Rahmen der normalen Abbauprogramme gemacht werden.

    Die Folge dieser Wünsche und dieser Politik: In 58 Prozent der deutschen Unternehmen gibt es keinen Arbeitnehmer, der älter als 50 Jahre ist. Die deutschen Unternehmen haben also ganz gezielt auf eine jüngere Erwerbsbevölkerung gesetzt. Aber das werden sie nicht durchhalten können. Denn bald wird das Mittel der Erwerbsbevölkerung 45 Jahren alt sein, und dann wird es viele Millionen Erwerbspersonen und Erwerbstätige geben, die älter als 55 sein werden. Horst Schmitthenner, Vorstandsmitglied der IG Metall, bedauert, dass selbst in montanmitbestimmten Unternehmen, in denen also die Arbeitnehmer die Hälfte der Aufsichtsräte stellen, die Arbeitsdirektoren nur über den Arbeitsmangel der Zukunft diskutieren, aber noch zu wenig an Vorbereitung umsetzen:

    Sie können einen 56-jährigen bei Weiterbildung nicht so behandeln wie einen 25-jährigen. Der geht nicht auf einen Computerlehrgang 14 Tage lang von zu Hause weg und setzt sich unter die Jüngeren, die das in der Schule schon mitgekriegt haben. Sondern Sie müssen die Arbeit so organisieren, dass er sich in seiner Arbeit als Älterer qualifizieren kann, dass er an dem Platz bleibt. Und das sind alles Maßnahmen, die in den Betrieben, in den Griff genommen werden müssten, wenn die Betriebe nicht vor der Situation stehen wollen, in 10 oder 15 Jahren, dass sie sagen: Wir kriegen die Leute nicht mehr.

    Wann muss das Umdenken beginnen ?

    Heute, das heißt: eigentlich gestern schon, wenn man sich mal überlegt, welche Strategien notwendig sind. Ich habe den Bereich der Aus- und Weiterbildung genannt. Sie müssen aber auch die Arbeitsbedingungen so organisieren, dass Menschen, die älter werden, und die über die körperliche Leistungsfähigkeit nun nicht mehr so verfügen wie ein 25jähriger, Sie müssen ja dann auch die Arbeitsbedingungen altersgerechter gestalten. Bei den älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist das Problem, dass zwar ihre körperliche Leistungsfähigkeit nachlässt. Aber auf Grund ihrer großen Berufserfahrung, die sie haben, sind sie immer noch in der Lage, einen Teil dieser nicht vorhandenen körperlichen Leistungsfähigkeit zu kompensieren. Das heißt, Sie müssen auch die Arbeit so organisieren, dass Ältere in der Lage sind, ihre Leistung noch zu bringen. Und das sind alles keine Prozesse, die sich innerhalb von zwei, drei Monaten organisieren lassen. Von daher müssten die Personalstrategien eigentlich jetzt beginnen, sich auf die mögliche Weiterbeschäftigung von Älteren einzustellen.

    Auch der Arbeitswissenschaftler Hartmut Buck vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft empfiehlt, schon heute die Kooperation der Generationen zu proben und zu praktizieren:

    Ich plädiere nicht dafür, dass Betriebe nur mit Älteren oder nur mit Jüngeren betrieben werden sollen, sondern dass Betriebe das Ziel haben sollten, einen Alters-Mix im Betrieb zu schaffen. Was heute oft der Fall ist, dass in Innovationsvorhaben, im Forschungs- und Entwicklungsbereich, nur auf jüngere Hochschulabsolventen gesetzt wird. Dort wäre es zum Beispiel auch heute schon sinnvoll, auch ältere, erfahrene Mitarbeiter in solche Entwicklungsprozesse einzubinden. Die haben vor zehn Jahren schon die Sackgassen ausprobiert, in die jüngere heute auch wieder reinlaufen. Und das Rezept kann nicht heißen, nur mit Älteren innovationsfähig zu sein, sondern für einen Alters-Mix in der Personalstruktur zu sorgen, damit die Stärken der unterschiedlichen Generationen dort zum Tragen kommen.

    Längere Lebensarbeitszeiten sind also unumgänglich angesichts der demografischen Entwicklung. Sie heute zu proben, macht die Zukunft leichter. Und der demografische Wandel verlangt auch heute schon von den Menschen, seine Wirkungen in ihre Finanzplanung einzubeziehen. Denn wenn die Arbeitskraft weniger wird, weil die Menschen weniger werden, wird sie auch im ökonomischen Sinne ein knappes, also tendenziell teureres Gut. Stefan Schneider von der Deutschen Bank Research:

    Ja, es wird natürlich veränderte Knappheiten geben, das heißt Arbeit wird relativ knapper zum Kapital, das heißt, die Löhne dürften tendenziell stärker steigen. Das bedeutet wiederum, dass die Rentabilität des Kapitals tendenziell zurückgeht. Das heißt, generell dürfte die Performance der Aktienmärkte nicht der entsprechen, die wir in den letzten 15, 20 oder auch 30 Jahren gesehen haben. Und da auch Renditen von Anleihen letztendlich in engem Zusammenhang mit dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts stehen, dürften auch hier niedrigere Renditen zu erzielen sein. Was natürlich – auch jetzt schon – folgenreich ist für eine Alterssicherung.

    Soll heißen: Wer heute als 30-, 40-jähriger seine Lebensversicherung, seine Fonds, sein Depot mit Renditen der vergangenen zehn, 20 Jahre plant, der plant falsch.

    Da müssen wir wahrscheinlich kleinere Brötchen backen.

    Die demografische Entwicklung verlangt also mehr Bescheidenheit von den heute aktiven Generationen, mehr Weitsicht von den Unternehmen und von der Politik. Angstmache vor der EU-Ost-Erweiterung, vor der drohenden Überfremdung durch Zuwanderer, das sei die falsche Politik, ereiferte sich kürzlich der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter:

    Die depperte Debatte über die Implikationen der EU-Osterweiterung ist grotesk. Die Wanderung, die wir haben werden, wird eine Wanderung sein, die aus anderen Hautfarben, aus anderen Ethnien und aus anderen Religionen stammt. Unsere jetzigen Lehrer, die hier keine Anstellung finden, sollten in Kairo europäische Sprachen und Kulturen vermitteln, damit die Ägypter, die in 15 Jahren zu uns kommen, von uns mehr wissen, damit die Integration hier leichter erfolgt.

    Dass es solche Weitsicht in der Praxis schon gibt, dass Integration ausländischer Arbeitskräfte in vielen Unternehmen auch mit Blick auf die demografischen Defizite der Zukunft heute schon betrieben wird, das haben die Preisträger von "Together in Hessen" gezeigt. "Autumn leaves" spielte die Combo. Und wenn der Herbst der Industrialisierungsphase ginge und Deutschland nicht die demografische Herausforderung bestünde, wenn unterschiedliche Kulturen und unterschiedliche Generationen nicht die Zusammenarbeit lernten, dann käme nach dem Herbst wohl wirklich nichts als der kalte Winter.