Enthüllungen

Von Jochen Stöckmann · 21.06.2005
Mit ihren Porträts von gewöhnlichen Menschen und schrillen Exzentrikern gelang Diane Arbus (1923 - 1971) in den Sechzigern eine Allegorie des Nachkriegs-Amerikas. "Revelations", zu Deutsch Enthüllungen, ist der Titel der ersten umfassenden Werkschau der Fotografin in Europa, die das Essener Folkwang Museum zeigt und die mit persönlichen Dokumenten auch einen Rückblick auf ein bewegtes Leben gibt.
Mit ihren Porträts von Kindern und Karnevalisten, ganz gewöhnlichen Menschen auf der Straße und schrillen Exzentrikern gelang Diane Arbus in den Sechzigern eine Allegorie des Nachkriegs-Amerikas. Ein Jahr nach ihrem Freitod feierte 1972 das New Yorker Museum of Modern Art die Fotografin in einer spektakulären Einzelschau, danach aber wurde es still um die Zeitgenossin und auch künstlerische Weggefährtin von Fotogrößen wie William Klein oder Richard Avedon. Doch mit "Revelation" – Enthüllung oder auch "Offenbarung" – ist nun im Essener Folkwang Museum erstmals in Europa nicht nur eine umfassende Werkschau, sondern auch der Rückblick auf ein bewegtes Leben zu sehen.

Ungeschlachte Riesen und bezaubernde Zwerge, Transvestiten im kitschigen Gehäuse oder Nudisten im durchorganisierten Freiluft-Camp – mit diesen heute fast schon archetypisch wirkenden Porträts aus den Randbereichen der US-Gesellschaft wurde die Fotografin Diane Arbus Ende der Sechziger berühmt. Bekannt allerdings war bislang nur ein Teil ihres Oeuvres, erläutert Ute Eskildsen, stellvertretende Direktorin des Essener Folkwang Museums:

" Wir haben allein 50 Bilder, die bislang noch nicht publiziert wurden. Aber was das Besondere dieser Ausstellung ist: dass es drei Stationen gibt, in denen persönliche Dokumente, Tagebuchaufzeichnungen und Teile ihrer Bibliothek ausgestellt werden."

Die Kabinette mit Spotlights auf handschriftlichen Hinterlassenschaften oder Regalen mit Fotobüchern von den lasziven "Voluptés de Paris" bis hin zur humanistischen "Family of man"-Schau wirken wie Andachtsräume. Aber davon sollte man sich nicht den Blick verstellen lassen auf eine Serie kleinformatiger Fotos aus den ersten Anfängen, noch bevor Arbus für Hochglanzmagazine wie "Vogue" arbeitete. Wie Gary Winogrand oder Lee Friedlander, mit denen sie 1967 die spektakuläre Ausstellung "New documents" im New Yorker MoMA bestritt, zog es die Modefotografin hinaus auf die Straße. War auch das Sujet sozialdokumentarisch, so blieb doch der Stil dieser Fotografen sehr subjektiv gefärbt.

Ute Eskildsen: " Deshalb ist diese Ausstellung auch so wichtig. Es gab eine große Retrospektive von Winogrand, vor Jahren vom MoMA gemacht. Es gibt Robert-Frank-Ausstellungen ausführlich – aber Diane Arbus ist, was ihr Gesamtwerk angeht, noch unentdeckt. "

Bis heute hat sich in den Porträts, die Menschen eben nicht einfach nur widerspiegeln, ein Geheimnis erhalten. Es ist dieser unbestimmte Eindruck, dass hier weniger die ostentative Gestik der Porträtierten als der einfühlsame Blick der unsichtbaren Fotografin Gestalt angenommen hat. Deutlich wird das für Ute Eskildsen im Vergleich mit den Sozialporträts des Klassikers August Sander und den jüngsten Porträtserien etwa von Rineke Dijkstra.

Ute Eskildsen: " Da ist es natürlich so, dass Sander in einer ganz anderen Zeit arbeitet. Sanders Figuren posieren, halten still, sind im Grunde statuarisch – was Rineke Dijkstra wieder aufgreift als heutige Fotografin. Aber Diane Arbus steht eben dazwischen. Es gibt sehr viele Bilder, die sind nahezu situativ, da sind wieder ganz isolierte Figuren dabei. Aber von der Stimmung, die diese Bilder ausstrahlen, von der Präsenz der Figuren, da hat sie doch einfach Entscheidendes von Lisette Model."

Diane Arbus nahm Andy Warhols Pop-Strategie vorweg, machte Jedermann-Figuren für einen Moment berühmt, rückte soziale Randexistenzen mit Porträts in "Esquire" oder "Harper’s Bazaar" in den Mittelpunkt. Oft um den Preis eines Skandals, einer Provokation, die heutige Betrachter kaum mehr bemerken dürften.

Ute Eskildsen: " Das bedeutet nun nicht gerade, dass sich die Gesellschaft daran gewöhnt hat. Also wir haben immer noch Reportagen – wenn überhaupt noch welche gedruckt werden in den Illustrierten – die sich auch mit Freaks beschäftigen oder mit Drogenabhängigen oder mit Transvestiten. Das ist Teil unserer gesellschaftlichen Realität geblieben. Und insofern muss man in Erinnerung rufen, dass Diane Arbus eine der ersten war, die sich diesen Themen gewidmet hat. "

Der Fotograf Richard Avedon nahm sich Diane Arbus zum Vorbild, weil sie nach einer Epoche der Reporter, die klammheimlich auf die Pirsch nach jenem angeblich entscheidenden Moment gegangen waren, die Fotografie wieder näher zu den Künstlern brachte. Wobei ihre Kunst sich nicht allein im visuell-gestalterischen Umgang mit der Kamera erschöpfte.

Ute Eskildsen: " Norman Mailer hat einmal gesagt, für sie sei die Kamera der Hausschlüssel zu allem. Und wir fragen uns heute noch, wie hat sie eigentlich Zugang bekommen, warum haben die Leute sich von ihr fotografieren lassen. Da kommen wir eben doch zu dem entscheidenden Unterschied zwischen Fotografie und Malerei. Das heißt, Fotografie hat auch immer damit zu tun, wie man einer hinter der Kamera imstande ist, Kontakt aufzunehmen und Respekt zu erhalten von den Leuten, die er fotografieren möchte. "

Service:

Die Ausstellung "Diane Arbus – Revelations" ist im Museum Folkwang, Essen, vom 18. Juni bis 18. September 2005 zu sehen.

Link:

Museum Folkwang, Essen: "Diane Arbus - Revelations"