Dienstag, 30. April 2024

Archiv

Serie "Hollywood"
Sündenpfuhl Traumfabrik

„Hollywood“, die neue Serie von „Glee“-Schöpfer Ryan Murphy und Ian Brennan, zeigt das Hollywood der 1940er Jahre als Ort, in dem Möchtegern-Filmstars ihrem Traum folgen und in einem Sündenpfuhl landen. Denn die Traumfabrik war meist eine Albtraumfabrik.

Von Hartwig Tegeler | 05.05.2020
Ein Mann (Jim Parsons) sitzt auf einem Stuhl und hat eine Zeitung in der Hand.
Bekannt aus "Big Bang Theory", jetzt in der Serie "Hollywood" - Jim Parsons (www.imago-images.de)
Kino. In Hollywood. Die Leinwand öffnet sich und Jack blickt in die Welt, in die er will. Ohne Rücksicht auf Verluste, auch moralische. Die Stimme ruft verführerisch:
"Hollywood, Kalifornien. Die Traumfabrik boomt. Der Krieg ist vorbei. Viele Träumer hoffen auf Erfolg in der Filmbranche."
Etwas später in den 1940er Jahren steht der attraktive junge Kriegsheimkehrer am Eingangsportal des – fiktiven – Ace-Studios, wo jeden Morgen die Statisten ausgewählt werden.
"Als attraktiver Kerl tauchen Sie auf und denken: Sie werden im Nu Filmstar," keift die Studio-Dame Jack an, "so läuft das nicht."
Doch genau so wird es laufen für Jack. Allerdings mit einem entscheidenden Umweg. Dem über den Sex. Jacks Mentor Ernie hat eine sehr spezielle Tankstelle, an der die unbefriedigten Mächtigen Hollywoods – Stars, Produzenten oder Frauen von Studiobossen – Sex kaufen können. Widerstrebend wird Jack Teilzeit-Gigolo. Code-Wort - nomen est omen - "Dreamland".
Die richtige Frau
Und wie es dieses etwas andere Märchen oder auch diese hemmungslose Kolportage es will: Jack trifft eines Tages die richtige Frau:
"Ich mache Castings," sagt die, an der Jack gerade seinen Job als Sexarbeiter verrichtet hat. So wird Jack zum Filmstar.
"Hollywood Babylon" heißt Kenneth Angers Buch über den Maschinenraum der Traumfabrik. Diesen Sumpf aus Sexismus, Rassismus, Homophobie, Ausbeutung und Machtgier inklusive Drogen lotet Ryan Murphys und Ian Brennans Miniserie aus. Ihre Serie "Hollywood" hat etwas sehr "Babylonisches" - garniert mit glamourösen Bildern der Golden Ära der 1940er Jahre. Alles sauber, rein, ordentlich gebügelt, edle Roben, Schlips und Kragen bis zum kleinen Statisten, die Autos poliert, aber darunter regieren Gier und Geilheit. Neben dem künftigen – fiktiven - Star Jack Castello taucht da auch ein Bauernjunge namens Roy Fitzgerald aus Illinois auf. Schwul, schüchtern, keine gute Stimme, aber von einer außergewöhnlichen körperlichen Präsenz.
Die Serie zielt auf die Gegenwart
Sein zukünftiger Agent Henry Wilson meint nur:
"Ich erkenne einen Star in 30 Sekunden. Und Sie sind einer. Sie haben Filmpotenzial. Aber eine Sache noch", fügt Henry Wilson hinzu,
"der Name, geht gar nicht. Das müsste sein … etwas wie … Rock … Rock Hudson."
Rock Hudson will sofort unterschreiben. Aber Henry Wilson meint, das sei noch eine weitere Sache: "Ich muss deinen Schwanz blasen!" Rock ist entsetzt und folgt seinem Agenten ins Separé. Hollywood Babylon eben.
Ob diese Geschichte wahr ist oder fiktiv. Rock Hudson jedenfalls, der reale, hat bis kurz vor seinem AIDS-Tod 1985 die eigene Homosexualität verschwiegen. Hollywood – das Lügengebäude.
Natürlich handelt die Miniserie "Hollywood" nicht nur von den 1940er Jahren, sondern zielt ebenso aufs Heute, auch als Kommentar zur #MeToo-Debatte. Das Bild allerdings, das Ryan Murphy und Ian Brennan zeichnen, ist desillusionierend, denn die, die Opfer der Ausbeutung und des Machtmissbrauchs werden – die Figur des Rock Hudson ist exemplarisch – werden vom "System Hollywood" für ihr Schweigen aufs Beste entschädigt. Ist Ryan Murphys und Ian Brennans Blick zynisch? Oder einfach realistisch?
Irrwitzige Volte
Am Ende wird das Träumen all dieser Stars und Starlets, schwulen wie heterosexuellen, weißen, afro- oder sino-amerikanischen Einwohner von "Tinseltown" in einer irrwitzigen Volte belohnt gar mit einigen Oscars. Die Serie "Hollywood" ist ein Alternativ-Bild eines "guten" Hollywood.
Ohne solch einen irrwitzigen Dreh zum Guten, der das "Babylonische" mildert, hätten Ryan Murphy und Ian Brennan ihre Story kaum verkaufen können. Die bösen Stachel aber haben sie nicht alle gezogen.
"Hollywood" von Ryan Murphy, Ian Brennan, seit 1. Mai 2020 im Stream auf Netflix.