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Deutschen Guthaben in der Schweiz droht Abgeltungssteuer

Wer als Deutscher bislang unversteuertes Vermögen in der Schweiz angelegt hat, soll künftig eine Abgeltungssteuer zahlen müssen. Der rheinland-pfälzische Finanzminister Carsten Kühl (SPD) gab zu Bedenken, angelegtes Geld aus Kapitalverbrechen würde zwar künftig besteuert - den Strafverfolgungsbehörden seien jedoch nach wie vor die Hände gebunden.

Carsten Kühl im Gespräch mit Silvia Engels | 21.09.2011
    Silvia Engels: Es kommt nicht oft vor, dass ein Vertrag, der die Steuerzahlung zwischen Deutschland und einem anderen Staat regeln soll, zum Gegenstand eines heftigen innenpolitischen Streits wird. Beim deutsch-schweizerischen Steuerabkommen, das das Kabinett am Morgen auf den Weg gebracht hat und das am Nachmittag unterzeichnet werden soll, ist das aber genau so. Die SPD will es im Bundesrat kippen. Der Bundesfinanzminister bewertet das Steuerabkommen mit der Schweiz also als Riesenschritt nach vorne und SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier kritisiert es als "Beihilfe zur Steuerhinterziehung". Die SPD-geführten Länder – wir haben es gerade im Beitrag gehört – wollen es im Bundesrat scheitern lassen, und zugeschaltet ist uns Carsten Kühl. Er ist der rheinland-pfälzische Finanzminister von der SPD und er koordiniert auch die Finanzminister der SPD-Länder. Guten Tag, Herr Kühl!

    Carsten Kühl: Guten Tag!

    Engels: Haben Sie denn schon die Zusage aller Beteiligten, dass dieses Abkommen keine Mehrheit im Bundesrat bekommen wird?

    Kühl: Man muss der Seriosität halber sagen, eine abschließende Beurteilung können wir noch gar nicht vornehmen, weil – und das ist ein großes Problem – die Bundesregierung sich bisher geweigert hat, uns Details mitzuteilen. Wir werden die offensichtlich frühestens heute Abend bekommen. Wir hatten allerdings vor rund 14 Tagen Gelegenheit, im Kreis der SPD-Finanzminister darüber zu reden, und waren uns einig, nach dem, was wir bisher wissen, ist das Abkommen von uns nur sehr schwer mit einer Zustimmung zu versehen.

    Engels: Wollen sie also auf die erwarteten Nachzahlungen in Milliardenhöhe und ab 2013 auf 1,6 Milliarden Euro jährlich für den deutschen Fiskus einfach so verzichten?

    Kühl: Nein, das wollen wir natürlich nicht. Wir wollen ein Doppelbesteuerungsabkommen, wie es mit anderen Ländern auch besser abgeschlossen worden ist, beispielsweise mit den USA, wo es härtere Verhandlungen gibt, das auf der einen Seite ermöglicht, dass zukünftig so besteuert wird, wie es in Deutschland auch der Fall wäre, wenn Leute ihr Geld anlegen, und auf der anderen Seite wollen wir nicht, dass diejenigen, die gegebenenfalls ihr Geld aus Kapitalverbrechen in der Schweiz angelegt haben, den Strafverfolgungsbehörden in Deutschland entzogen werden beziehungsweise diese keine Möglichkeit haben, über die Finanzämter an diese Gelder heranzukommen und auch an die Täter heranzukommen.

    Engels: Aber nehmen wir an, dass das Abkommen dann aufgrund eines Vetos im Bundesrat nicht zustande kommt, dann gibt es gar kein Abkommen, dann bekommt auch der Fiskus gar nichts und dann gehen auch die Steuersünder erst recht wieder mit gefüllten Kassen nach Hause. Kann das ihr Interesse sein?

    Kühl: Es gibt eine unterschiedliche Qualität. Der Zustand heute ist ein Zustand, mit dem sich die Bundesrepublik Deutschland nicht einverstanden erklärt. Wenn sie ein Doppelbesteuerungsabkommen unterschreibt, dann sagt sie ja, ich bin mit dem, so wie es jetzt ist, einverstanden, und ich weiß nicht, ob man dieses geringe Maß an Steuergerechtigkeit und dieses hohe Maß an rechtsstaatlicher Problematik, was offenbar dieses Doppelbesteuerungsabkommen enthält, mit einer Unterschrift vonseiten der Bundesrepublik Deutschland versehen sollte. Steuermoral und Rechtsstaatlichkeit sind, glaube ich, Dinge, die man nicht an Steueraufkommen oder an einem Preis bemessen kann; da muss man Grundsätze wahren, und diese Grundsätze – ich rede immer noch im Konjunktiv – scheinen mir, mit diesem Doppelbesteuerungsabkommen nicht gewahrt zu sein.

    Engels: Also besser die moralische Taube auf dem Dach, als den Fiskusspatz in der Hand?

    Kühl: Man muss sehen, dass die Schweiz auch offensichtlich ein Interesse daran hat, dass es zu einem Doppelbesteuerungsabkommen kommt. Sie sagen, die Schweiz gibt mit diesem Doppelbesteuerungsabkommen ein Stück weit nach. Warum tut sie das? - weil sie offensichtlich ein Interesse daran hat, ja ein Stück weit mehr Anerkennung für den Bankenplatz Schweiz zu erreichen. Insofern muss man gegen dieses Interesse der Schweiz verhandeln, und zwar härter verhandeln, als das offensichtlich die Bundesregierung getan hat. Andere Staaten – ich habe es schon gesagt -, beispielsweise die USA, haben hier eine härtere Gangart eingeschlagen und waren dann auch erfolgreicher. Und wir können momentan nicht erkennen, warum solche Chancen vonseiten der Bundesregierung links liegen gelassen worden sind.

    Engels: Jetzt sagt aber die Bundesregierung, es sei eben nicht mehr drin gewesen. Wie wollen sie denn da gegenhalten, die Kavallerie schicken, wie Herr Steinbrück das damals als Bundesfinanzminister vorschlug?

    Kühl: Also erstens bin ich der Meinung, dass man alles nachverhandeln kann. Zum Zweiten, wenn man die Zustimmung des Bundesrates braucht und man weiß, dass man nicht wie bei einem normalen Gesetzgebungsverfahren die Möglichkeit hat, in einen Vermittlungsausschuss zu gehen, wenn man weiß, dass dieses Abkommen kein Routineabkommen ist, dann hätte man die Länder früher mindestens informell in die Verhandlungssituation mit einbeziehen müssen, hätte zu erkennen geben müssen, warum man offensichtlich nicht besser verhandeln kann. Das wollten wir, das hat man nicht getan, und dann darf man sich auch nicht wundern, dass wir eine Friss-oder-Stirb-Situation nicht einfach vor dem Hintergrund, dass mehr Steueraufkommen als in der Jetzt-Situation entsteht, akzeptieren.

    Engels: Sie haben gesagt, es gäbe Anhaltspunkte dafür, auch wenn Sie die Details noch nicht kennen, die Sie auf keinen Fall absegnen können. Wo können Sie sich denn vor allen Dingen Punkte vorstellen, um es konkreter zu fassen, wo nachverhandelt werden muss, und dann geht das auch durch den Bundesrat?

    Kühl: Zwei Dinge sind auffällig, die äußerst problematisch sind, dass diejenigen, die in der Vergangenheit Anonymität zugesichert bekommen haben, die auch in der Zukunft zugesichert bekommen. Das heißt, wer Geld aus Kapitalverbrechen in die Schweiz gebracht hat, hat zukünftig nur den Unterschied, wenn er es dort belässt, dass er es besteuern muss, aber es kann den deutschen Strafverfolgungsbehörden nicht sozusagen zur Kenntnis gebracht werden. Das Zweite ist, es soll mit dem Abkommen angeblich verboten werden, dass wir in Zukunft sogenannte Steuer-CDs aufkaufen. Wenn das Abkommen so ist, dass alles gut geregelt wäre, dann bestünde ja eigentlich gar kein Interesse mehr, eine Steuer-CD aufzukaufen, und das muss man schon erklären, warum man das dann trotzdem verbieten möchte. Ich vermute, es hat damit zu tun, dass dieses Abkommen eine ganze Menge von Unzulänglichkeiten aufweist.

    Engels: Aber dann greifen wir den zweiten Punkt an. Sie haben eben sehr moralisch mit Steuergerechtigkeit argumentiert. Auf der anderen Seite: Wenn man jetzt Steuer-CDs auch künftig ankaufen kann, dann kommt man aus diesem rechtlichen Graubereich ja nicht heraus, und der macht ja letztlich den Fiskus von gestohlenen Daten abhängig und auch vom Zufallsprinzip abhängig, wer erwischt wird und wer nicht. Das ist nun auch nicht sehr moralisch.

    Kühl: Ja da muss man nach Ursache und Wirkung fragen. Hätten wir ein transparentes Besteuerungsverfahren – und Transparenz ist eben das Gegenteil von Anonymität -, dann hätten wir es auch nicht notwendig, solche Steuer-CDs aufzukaufen. Und wenn Sie sich die Ergebnisse der letzten Monate angucken, wie viele Selbstanzeigen infolge der Ankäufe hereingekommen sind und wie viele Steuersünder dadurch entdeckt worden sind, glaube ich, hat hier in der Abwägung zwischen Steuergerechtigkeit und der Tatsache, dass CDs von Leuten angekauft worden sind, bei denen es sicherlich einen Graubereich gibt, wie sie an diese Daten gekommen sind, eine vernünftige Abwägung stattgefunden und, finde ich, war es richtig, dass man so gehandelt hat.

    Engels: Aber hier wollen Sie abwägen, bei anderen Aspekten wollen Sie auf dem hohen moralischen Ross sitzen.

    Kühl: Das hat nichts mit dem hohen moralischen Ross zu tun. Das hat was damit zu tun, dass wir in Deutschland in den nächsten Jahren im Zuge der Schuldenbremse unseren Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland erklären müssen, warum wir erstens von ihnen Steuerehrlichkeit erwarten und gegebenenfalls sogar an der einen oder anderen Stelle ihnen eine Steuererhöhung zumuten müssen. Wenn es aber nach wie vor so ist, dass Einzelne sich durch ein von der Bundesrepublik legitimiertes Abkommen ihrer Steuerschuld entziehen können, dann ist das ein Problem, denn heute wird auch nach diesem Doppelbesteuerungsabkommen es nicht möglich sein, eine Nachbesteuerung hinterzogener Einkommenssteuer bei Schwarzgeld in der Schweiz zu erreichen, oder, wenn Erbanfall in die Schweiz verlagert worden ist, Erbschaftssteuer nachzuverlangen, weil die Anonymität eben nach wie vor gewahrt bleibt.

    Engels: Carsten Kühl, der rheinland-pfälzische Finanzminister von der SPD. Wir sprachen mit ihm über das heute zur Unterzeichnung anstehende Steuerabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz, das im Bundesrat seiner Meinung nach fallen sollte. Ich danke für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.