Hans Baldung Grien in der Karlsruher Kunsthalle

Meister der Sinnlichkeit

05:55 Minuten
Auf dem Werk "Zwei Hexen" von Hans Baldung Grien aus dem Jahr 1523 sieht man zwei Frauen - die rechte von vorne auf einer Ziege sitzend, die linke von hinten stehend - nackt vor schwefelgelben Rauchschwaden posierend. Hinter der sitzenden Hexe, die ein Gefäß in der linkend Hand hochhält, guckt eine Putte mit einer Fackel hervor.
Hexen waren ein großes Thema von Hans Baldung Grien, einem Schüler Albrecht Dürers. © Städel Museum / U. Edelmann (Ausschnitt)
Von Johannes Halder · 30.11.2019
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Hans Baldung Grien war einer der eigenwilligsten Künstler des 16. Jahrhunderts. Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe widmet seinem epochalen Werk eine große Ausstellung, die auch eine Illustration der Religions- und Kulturgeschichte jener Zeit ist.
Für zwei Hexen sind die beiden Frauen ziemlich hübsch. Nackt und mit frivolen Blicken posieren sie vor einem Höllenfeuer mit schwefelgelben Rauchschwaden. Die eine hält in der erhobenen Hand einen Glaskolben mit Quecksilber – damit heilte man im Mittelalter die Syphilis. Und also ist klar: die beiden Hexen sind zwei Huren, die sexuelle Lust ohne Risiko versprechen.
1523 hat Hans Baldung das kleine Bild gemalt. Und dass die Karlsruher Kunsthalle das verlockende Motiv im Riesenformat an der Fassade plakatiert, hat natürlich seine Gründe, denn mit Baldungs frommen Andachtsbildern fängt man nicht das breite Publikum. Kurator Holger Jacob-Friesen:
"Wir zeigen hier in der Kunsthalle die gesamte Gruppe der Hexen. Da sind wir sehr stolz darauf, weil Baldung ein Meister der Sinnlichkeit ist, der Erotik auch in anderen Bildthemen sehr zur Geltung bringt, und auf verschiedene Weise auch reflektiert. Es geht um Sexualität, um die Vorzüge und Nachteile der Sinnlichkeit."

Religiös geprägte Klischees infrage gestellt

Ein ganzer Raum ist dem Hexenthema gewidmet, denn kein anderer Künstler seiner Zeit hat Triebe und Begierden so drastisch ins Bild gesetzt wie Hans Baldung. Sex ist Hexenwerk, die Frau bringt die Sünde in die Welt, und Baldung stellt das religiös geprägte Klischee augenzwinkernd in Frage. Doch das ist nur die eine Seite des Hans Baldung, die sündige, die unheilige, und in der Ausstellung spielt sie nicht die größte Rolle.
Sie setzt ein mit einem zart gepinselten und erstaunlich androgynen Selbstbildnis des jungen Künstlers kurz nach 1500, bevor er bei Dürer in die Lehre ging. Direkte Gegenüberstellungen mit Dürers Werken ziehen sich durch die gesamte Schau, und hier wird deutlich: der feinlinige Kupferstich war nicht Baldungs Ding. Er bevorzugte den Holzschnitt, im Ausdruck kraftvoll, kantig, expressiv.

Glaubensinhalte neu dargestellt

Wir sehen eine imposante Reihe wunderbar leuchtender Glasgemälde. Ein ganzer Raum ist gefüllt mit Porträts, ein anderer mit Madonnen, und dann sind da die sakralen Auftragswerke: Altartafeln, himmlische Allegorien, biblische Geschichten, die Baldung völlig neu interpretiert, so Kurator Holger Jacob-Friesen:
"Baldung stellt alte Glaubensinhalte und Bildmuster auf eine neue Weise dar. Er gibt ihnen auch neuen Sinn. Also es kommt immer darauf an, zu sehen, wie hebt er sich ab von den Darstellungskonventionen seiner Zeit, und das ist ganz erheblich."
In seiner "Geburt Christi" von 1539 zum Beispiel rückt Baldung die Heilige Familie lebensgroß und ganz nah an den Betrachter heran. Das Jesuskind, mit missmutiger Miene und blass wie ein Leichnam, wird von Engeln gestützt – als wisse es bereits, dass es für das qualvolle Sterben geboren ist.

Reinste Horrormalerei

Und in der "Sintflut" von 1516 schildert Baldung in atemberaubenden Details, wie zahllose verzweifelte Kreaturen in den von Gott gesandten Fluten ertrinken; selbst unschuldige Säuglinge entgehen der göttlichen Kollektivstrafe nicht, weil sie die Erbsünde in sich tragen. Es ist die Hölle auf Erden, reinste Horrormalerei.
Auch ein neues Baldung-Werk ist aufgetaucht. Im diesem Frühjahr konnte die Kunsthalle drei Fragmente eines bislang unbekannten Gemäldes erwerben, den fehlenden vierten Teil hofft man noch aufzufinden. Es zeigt eine Szene aus dem Alten Testament: "Lot und seine Töchter" – die Geschichte jenes Mannes, den Gott wegen seines tadellosen Lebens vor dem Brand Sodoms verschont, der jedoch unmittelbar darauf zum Sünder wird, indem er seine Töchter schwängert.
"Und da haben Sie es wieder: diese Polarität des Heiligen und des Unheiligen, die in einem Bild hier zusammenkommen", erklärt Holger Jacob-Friesen. Die Sünde lauert überall. Thematische Räume befassen sich mit Versuchung und Vergänglichkeit, mit Aberglauben, Wollust und sogenannten "Weiberlisten", mit Zeichnungen und illustrierten Büchern, wie überhaupt die ganze Schau eine packende Illustration ist der Religions- und Kulturgeschichte jener Zeit.

Voller Überzeugung des eigenen Könnens

Selbst den Hochaltar aus dem Freiburger Münster hat man mit digitaler Technik ins Museum geholt. Auf Riesenbildschirmen kann man sich jedes Detail direkt vors Auge zoomen, optimal ausgeleuchtet, und so viel besser zu betrachten als im entrückten Original vor Ort.
Nach der Reformation, als die sakralen Aufträge ausbleiben, wendet sich Baldung Themen der antiken Mythologie zu. Sein Spätwerk gilt als exzentrisch, und manchmal scheint es, als berausche er sich an seinem eigenen Können. Ein selbstbewusster Mann, sagt der Kurator: "Auf dem Freiburger Hochaltar schreibt er: 'Hans Baldung mit Beinamen Grien aus Gmünd schuf es mit Hilfe Gottes und eigener Kraft'."
Baldung, das Genie. Man muss nicht religiös gestimmt sein, um diese hinreißend inszenierte Schau zu genießen. Und wer viel Zeit mitbringt, um das alles zu studieren, wird dafür reich belohnt.

Die Ausstellung "Hans Baldung Grien – heilig | unheilig" ist bis zum 8. März 2020 in der Kunsthalle in Karlsruhe zu sehen.

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