Dienstag, 30. April 2024

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1942 in New York eröffnet
Peggy Guggenheims Galerie „Art of This Century“

Die Kunstmäzenin Peggy Guggenheim war mehr als eine exzentrische Erbin und leidenschaftliche Kunstsammlerin. Am 20. Oktober 1942 eröffnete sie in New York den Kunstraum „Art of This Century“. Und gab damit dem US-Kunstgeschehen entscheidende Impulse.

Von Carmela Thiele | 20.10.2022
Peggy Guggenheim 1964 bei einer Ausstellung ihrer Sammlung in London mit dem Direktor der Tate Gallery, Norman Reid vor dem Gemälde "The Break of DAY von Paul Delvaux.
Peggy Guggenheim 1964 bei einer Ausstellung ihrer Kollektion in London vor dem Gemälde "The Break of DAY" von Paul Delvaux. (imago images / ZUMA / Keystone / imago stock&people via www.imago-images.de)
Wenn es um Kunst ging, konnte Peggy Guggenheim beharrlich sein. Als der Zweite Weltkrieg ihre Pläne, in London ein Museum Moderner Kunst zu gründen, unmöglich machte, startete sie in New York einen zweiten Versuch. Am 20. Oktober 1942 eröffnete sie ihre Galerie „Art of This Century“. Dort zeigte sie ihre in Paris erworbene, hochkarätige Sammlung von Meisterwerken der Moderne. Für „ihr Museum“ mietete sie zwei miteinander verbundene Lofts im siebten Stock eines Gebäudes auf der 57. Straße. Die äußere Erscheinung spielte keine Rolle, das Innere war wichtig.

Avantgardistische Ausstellungsarchitektur

Zu ihren Beratern gehörten neben den Künstlern Marcel Duchamp und André Breton auch der amerikanische Kunstagent Howard Putzel. Von ihm kam die Idee, bei dem Bühnengestalter Friedrich Kiesler eine besondere Ausstellungsarchitektur für die Sammlung in Auftrag zu geben. Peggy Guggenheim über Kiesler in ihrer Autobiografie:
„Friedrich Kiesler war der fortschrittlichste Architekt des Jahrhunderts, und so fand ich Putzels Rat gut. Aber ich ließ mir nicht träumen, dass mich die paar Ideen 7000 Dollar kosten würden. Nur knapp über eins fünfzig groß, hatte Kiesler einen Napoleonkomplex. Er war ein verkanntes Genie. Ich gab Kiesler, der bereits 15 Jahre in Amerika lebte, die Möglichkeit, etwas wirklich Sensationelles zu kreieren.“
Das Medien-Echo war beachtlich. Mehrere Zeitungen brachten Bildstrecken der verschiedenen Räume. Der in Wien ausgebildete Architekt hatte die Form und die Aufgabe der Theaterbühne wie des Ausstellungsraums neu bestimmt. Auf der Basis damals aktueller Wahrnehmungstheorien lotete er das Verhältnis von Zuschauer und Bühne, von Betrachter und Kunstwerk neu aus. Friedrich Kiesler über seinen Entwurf für Art of This Century:
„Die avancierte Auffassung des Bildes führte zu zwei Resultaten: Es wurde von seinem Hintergrund gelöst und näher an den Betrachter gerückt. Das Kunstwerk wirkte nun, als würde es frei im Raum schweben. Das Gemälde hörte auf, eine Dekoration der Wand zu sein, es wurde zu einer kleinen Insel im Raum. Das Bild ist eine Welt für sich, die der Künstler ersonnen hat, und die der Architekt neu verankert.“

Vermeintlich schwebende Max Ernsts und Magrittes

In der sogenannten Abstrakten Galerie hingen Werke von Wassily Kandinsky, Juan Gris oder Georges Braque an schmalen Stangen, die schräg oder senkrecht zwischen Boden und Decke gespannt waren. Auf multifunktionalen Sitzmöbeln standen Skulpturen von Hans Arp oder Antoine Pevsner. Die sogenannte Surrealistische Galerie hingegen konzipierte der Architekt als dunklen, nahezu leeren Raum, in dem die angestrahlten Bilder von Max Ernst, Giorgio de Chirico oder René Magritte zu schweben schienen. Peggy Guggenheim:
„In der surrealistischen Abteilung bestanden die abgerundeten Wände aus Gummibaumholz. Die ungerahmten Bilder waren auf Baseballschläger montiert, die sich verstellen ließen und etwa 30 Zentimeter aus den Wänden ragten.“

Bühne der späteren New York School

Die experimentelle Sammlungspräsentation zog pro Tag bis zu einhundert Besucher an. Die kleineren Galerieräume hingegen, in denen temporär aktuelle Kunst gezeigt wurde, entwickelten sich zum Künstlertreffpunkt - nicht nur der emigrierten europäischen Avantgarde, sondern auch der jungen New Yorker Szene. Howard Putzel, zeitweise Guggenheims Galerie-Assistent, machte die Mäzenin auf Maler aufmerksam, die Jahre später als New York School berühmt werden sollten. Neben Jackson Pollock, den sie besonders förderte, und Mark Rothko stellte auch Robert Motherwell bei Peggy Guggenheim aus:
„Wenn du als junger Künstler eine Einzelausstellung hattest, die von dieser Sammlung flankiert wurde, war das eine erstaunliche Erfahrung.“
Peggy Guggenheim vermittelte Kunstwerke an Museen und organisierte Ausstellungsübernahmen. Aus Erschöpfung, aber vielleicht auch aufgrund des Echos auf ihre schonungslos ehrliche Autobiografie, verließ sie im Sommer 1947 New York, um in Venedig zu leben. Am Canal Grande fand sie einen unvollendeten, ebenerdigen Palazzo, in dem seit 1951 jene Meisterwerke der Moderne gezeigt werden, die damals in ihrer New Yorker Galerie „Art of This Century“ für Furore sorgten.