Boom der Sportabzeichen in Russland

Gesund und patriotisch

Von Gesine Dornblüth · 27.08.2017
"Bereit zur Arbeit und zur Verteidigung" steht auf dem Sportabzeichen. Präsident Putin hat das Relikt aus der Sowjetzeit wieder eingeführt. Immer mehr vor allem junge Leute machen das Sportabzeichen. Nicht ohne pragmatische Hintergedanken.
Die ersten zwei Dutzend Sit-ups gehen wie von selbst. Scheinbar mühelos hebt Annamaria den Oberkörper, berührt mit den Ellbogen leicht die Knie, legt sich wieder ab. Das dritte Dutzend gelingt schon etwas langsamer. Die Assistentin blickt auf die Stoppuhr. Annamaria verzerrt das Gesicht. Eine Minute ist um. Sie hat das Ziel verfehlt, knapper geht es nicht. Statt der für das Sportabzeichen erforderlichen 40 Sit-ups hat sie 39 geschafft.
"Ich werde heute alles ausprobieren: Liegestütze, Dehnübungen, Sprint und den 3-Kilometer-Lauf. Das sind die obligatorischen Disziplinen."
Die Moskauer Stadtverwaltung hat das Sportfest im neu eröffneten Luschniki-Park organisiert. Die Teilnehmer können hier Prüfungen für das Sportabzeichen, GTO, ablegen. Weil am Tag darauf in Russland der "Tag des Bauarbeiters" ist, nehmen die Belegschaften diverser Bauunternehmen teil. Aus Annamarias Firma sind 200 Leute da. "Das Sportabzeichen nimmt Fahrt auf. Wir haben einen sehr sportlichen Chef. Deshalb sind so viele von uns hier."
Ein Stück weiter stemmt ein junger Mann ein 16-Kilo-Gewicht. Dmtrij hebt die Kugel an, streckt den Arm hoch über den Kopf, setzt das Gewicht wieder ab. 40 mal rechts, 40 mal links. Sein nackter Oberkörper glänzt. "Ich treibe viel Sport, und mir gefallen solche Feste. Mal sehen, in welcher Disziplin ich noch ein bisschen trainieren muss."

Erziehung zum Patriotismus zwecks Gesundung der Nation

In der Sowjetunion stand GTO für "Gotow k trudu i oborone", "Bereit zur Arbeit und Verteidigung". Als Russland das Sportabzeichen 2014 wieder einführte, gab es den Vorschlag, die drei Buchstaben anders zu entschlüsseln, nämlich: "Gorschus toboj otechestvo", "Ich bin stolz auf dich, Vaterland." Die Verantwortlichen blieben dann aber doch lieber bei dem aus Sowjetzeiten bekannten Namen, bei "Arbeit und Verteidigung". Wie früher ist auch das Schießen mit einem Sportgewehr unter den Disziplinen. Überhaupt habe sich am GTO wenig geändert, erzählt Aleksej Sorokin vom Sportausschuss der Stadt Moskau.
"Die Idee ist die gleiche geblieben: Es geht um die Erziehung zum Patriotismus. Und um die Gesundung der Nation."
Klimmzüge auf einem Sportfest in Russland.
Klimmzüge auf einem Sportfest in Russland.© Gesine Dornblüth
In der Sowjetunion machten zeitweise Millionen Menschen das Sportabzeichen. Davon ist Russland noch weit entfernt. In Moskau seien in den vergangenen drei Jahren aber immerhin schon gut 40.000 Abzeichen verliehen worden, erzählt Sorokin. "Für Abiturienten hat das Abzeichen besondere Bedeutung. Denn laut einem Beschluss des Bildungsministeriums werden Träger des goldenen Sportabzeichens bei der Vergabe von Studienplätzen bevorzugt."
Außerdem empfehle die Regierung Arbeitgebern, ihre Angestellten zu belohnen, wenn sie das Sportabzeichen machen. "Sie können ihnen zusätzliche Urlaubstage geben. Oder ihnen ein Abo fürs Fitness-Zentrum bezahlen." Kinder können das russische Sportabzeichen bereits mit sechs Jahren machen. Eine Altersbeschränkung nach oben gibt es nicht.

Dehnungstest bestanden

Wjatscheslaw Kuranow ist 78 und trägt das Sportabzeichen in Gold. Früher war er Sportlehrer, hat seit 1955 an Moskauer Schulen unterrichtet. Jetzt trainiert er seine Frau. Die steht gerade mit durchgedrückten Beinen auf einer Bank, beugt sich herunter und schiebt die ausgestreckten Finger mehrere Zentimeter an ihren Fußspitzen vorbei nach unten - Dehnungstest bestanden. Ihr Mann nickt kurz: "Ich finde, unser Präsident, Wladimir Wladimirowitsch Putin, zeigt mit seiner Einstellung zum Sport und mit seiner Fitness, dass der Mensch in jedem Alter und in jedem Beruf auf seine körperliche Form achten muss. Er hat ja vorgeschlagen, das GTO wieder einzuführen. Ich denke, es ist ein guter Ansporn für Kinder und für Erwachsene."
Dehnen fürs Vaterland: In Russland boomen die Sportabzeichen.
Dehnen fürs Vaterland: In Russland boomen die Sportabzeichen.© Gesine Dornblüth
Neben ihm steht Olga Chrebtowa. Sie ist Ärztin, mit einer Kollegin da und will jetzt unbedingt auch etwas sagen. "Wir beide haben hier alle Übungen ausprobiert und begriffen, dass unsere Fitness auf einem niedrigen Niveau ist. Wir müssen dringend Sport treiben. Ich habe das fest vor. Ich habe allerdings keine Zeit. Ich arbeite sehr viel."
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