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Album „Hyperspace“ von Beck
Auf ins immerwährende Nichts

Auf seinem 14. Studioalbum „Hyperspace“ sieht der US-amerikanische Songwriter Beck die Fluten kommen. Düstere Zukunftsahnungen und persönliche Schicksalsschläge dominieren die Songs. Zuflucht vor den Unannehmlichkeiten des Alltags sucht der Musiker in Parallelwelten.

Von Robert Rotifer | 23.11.2019
Beck Hansen, Musiker
Beck Hansen spielt auf einem Jazz Festival in New Orleans (Imago / Daniel DeSlover)
"Ich sah den Wind und den Regen, sah die Berge fallen, sah Tempel brennen und Gefängnismauern. Sah Fluten kommen und Kinder rennen, hab keine Zuflucht, keine Sonne mehr." Als Beck im April den Song "Saw Lightning" als Vorbote zu seinem neuen Album herausbrachte, wurde weitgehend überhört, wie sehr diese biblischen Weltuntergangsvisionen an die Voraussagen zur anrollenden Klimakatastrophe erinnern. Beim letzten Konzert der Amerika-Tournee des Künstlers im vergangenen Sommer traf sein Songtext dann auf die Realität der jährlichen Wirbelsturm-Saison.
"Ich war den ganz Sommer lang auf Tour, und sie endete in Miami. Als wir uns von den anderen Bands und der Crew verabschiedeten, mussten wir alle evakuieren, weil ein schwerer Wirbelsturm im Kommen war. Es gab eine Art Panik. Ich sang 'Saw Lightning' noch kurz bevor wir uns daran machen mussten, alle in Sicherheit zu bringen. Das fühlte sich das sehr passend an. Wir mussten diesen Sommer mindestens vier oder fünf Konzerte abblasen, weil es wegen Sturmwarnungen zu gefährlich gewesen wäre aufzutreten."
Beim Interview mit Beck im herbstlichen London ist die Sommer-Tournee schon lange Geschichte, und "Saw Lightning" hat als Teil des Albums "Hyperspace" einen neuen Kontext erhalten. Was die größtenteils von Alleskönner Pharrell Williams produzierten Songs in akustisch-elektronischer Singer-Songwriter-Ästhetik vereint, ist die vom Albumtitel suggerierte Möglichkeit der Flucht in eine parallele Realität.
"An einen anderen Ort zu flüchten, der nicht die Erde ist, das verstehe ich unter Hyperspace. Dieser Knopf in einem Videospiel aus den Achtzigern, den du drückst, um woanders hin zu verschwinden, bevor du stirbst. All die Zerstreuungen und Modalitäten erlauben uns, den Fängen des Lebens zu entkommen."
Der Hyperspace der Heroinsucht
Eine dieser Zerstreuungen und Modalitäten, die Beck auf seinem Album thematisiert, ist die Flucht in den Hyperspace der Heroinsucht. Wenn Beck in einem Song wie "Stratosphere" davon singt, "high as the moon" zu sein, die Nadel zum Löffel führt und ein Streichholz entzündet, dann ist das aber kein Bild aus seiner eigenen Heroin-Erfahrung, sondern ein Tribut an verlorene Gefährten, vor allem einen unbekannten Jugendfreund, der auch Teil seines musikalischen Werdegangs hätte werden können.
"Ich habe es selbst nie genommen. Aber ich habe einige Freunde daran verloren, die eine Überdosis nahmen. Sie waren an dem extremen Punkt angelangt, wo man wirklich ganz woanders ist. Ich hatte einen Freund, den ich vor Jahren verlor. Er hatte so viel Talent und Charisma. Alle liebten ihn, er sah aus wie ein junger Paul Newman. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich ihn in meiner Band gehabt. Er war ein Jazz-Gitarrist. Ich habe immer an ihn gedacht. So vieles in meinem Leben könnte ein Song sein, aber ich kann es nicht richtig artikulieren. Und dann, zwanzig Jahre später, kommt plötzlich dieser Song raus."
Klang der Melancholie
Über die letzten drei Jahrzehnte gab es zwei Arten von Beck-Alben: Die sphärisch poetischen und die verschroben funkigen. "Hyperspace" ist eine interessante Mischung aus beiden. Der in der Musik immer wieder auftretende Autotune-Effekt wird hier zum Klang der Melancholie. Er wird zum Teil der Entfremdung, der die Figuren der Songs in ihren jeweiligen Hyperspace flüchten lässt. Das ganze Album scheint allmählich aus der Rastlosigkeit der digitalen Welt in Richtung einer akustisch gefärbten inneren Ruhe zu driften, die der letzte Song schließlich als "Everlasting Nothing", als immerwährendes Nichts, benennt. Beck mag an seinem ursprünglichen Vorhaben gescheitert sein, mit Pharrell Williams eine positive Pop-Platte zu machen. Umso besser passt "Hyperspace" zum heutigen Zeitgeist.