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Wo bitte ist das Endlager?

Stromerzeuger fordern in der Schweiz gleich drei neue Atomkraftwerke. Gleichzeitig werden die Laufzeiten der bestehenden AKWs verlängert. Das treibt auch in der Schweiz und an der deutschen Grenze die Menschen auf die Straße.

Von Thomas Wagner | 25.05.2010
    "Deutschland hat 150 Mal mehr Solarstrom als die Schweiz: Ist das vielleicht deshalb, weil wir eine Atomlobby haben, die mit käuflichen Politikern seit 30 Jahren jeden Fortschritt zu blockieren versucht?"

    Hemdsärmelig steht er vor seinen Zuhörerinnen und Zuhörern. Rudolf Rechsteiner, für die Schweizer Sozialdemokraten Mitglied im Bundesparlament und seit 35 Jahren einer der führenden Köpfe der Schweizerischen Anti-Atomkraft-Bewegung.

    "Leute lass das Klotzen sein. Reiht euch in den Menschenstrom ein."

    Und die ist seit kurzem zu neuem Leben erwacht. Jüngstes Beispiel: Die Anti-Atomkraft-Demo gestern Nachmittag. Von dem am Hochrhein gelegenen Gösgen, einem von fünf Schweizer Atomkraftwerken, zogen rund 5000 Demonstranten nach Olten im Kanton Solothurn.

    "Sie wollen drei neue AKWs bauen. Und wir wollen das auf keinen Fall. Und wir wollen auch keine unnötigen Verlängerungen. Bei Gösgen hat es geheißen: 30 Jahre. Jetzt sind es schon 35 Jahre. Und sie wollen das verlängern. Das wollen wir nicht."

    Katharina Hirzeler, Sozialdemokratin aus Grätzenbach bei Gösgen, ist erbost über die Pläne der Schweizer Energiewirtschaft. Die nämlich hat den Antrag zum Bau drei neuer Kernkraftwerke gestellt. Das ruft auch deutsche Umweltaktivisten auf den Plan. Denn mit den Standorten Betznau I und II, Gösgen und Leibstadt liegen bereits jetzt vier der fünf Schweizer Kernkraftwerke in der Grenzregion zu Süddeutschland.

    "Ich komme aus Waldshut-Tiengen, direkt an der Schweizer Grenze, wunderschön gelegen. Aber: Gegenüber ist Leibstadt, gegenüber ist Betznau….wir sind also mit einer großen Reihe kerntechnischer Anlagen von Seiten der Schweiz belastet. Wir setzen uns natürlich dafür ein, dass man aus der Kernenergie aussteigt und sind schon mal ganz dagegen, dass man neu hinzu baut. Denn die Endlagerproblematik ist ja vorhanden."

    Und genau die Schweizer Endlager-Frage liegt süddeutschen Umweltaktivisten wie Hans-Jürgen Banasch, Vorsitzender der BUND-Ortsgruppe Waldshut, schwer auf der Leber. Mittelfristig möchte die Schweiz ein Endlager für radioaktive Abfälle einrichten. Fünf von sechs möglichen Standorten, die die Behörden ausgeguckt haben, liegen ebenfalls nicht weit von der Grenze zu Süddeutschland entfernt. Rita Schwarzlühr-Stutter, ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete aus Lauchringen im baden-württembergischen Landkreis Waldshut:

    "Es ist uns nicht mehr zumutbar hier an der Grenze. Wir haben schon so eine Menge an Atomanlagen, dass das eigentlich ausreicht. Und vor dem Hintergrund, dass auch kein Ausstieg geplant wird, sondern immer weiter Müll produziert wird, ist es zumal überhaupt nicht hinnehmbar."

    Jazz-Musik während der Kundgebung, dazwischen Tausende von jungen und alten Teilnehmern, die mit den klassischen Anti-AKW-Fähnchen wedeln, wie man sie aus den 70er-Jahren kennt: Rote Sonne auf gelbem Grund, darunter die Aufschrift: "Atomkraft nein danke." Zumindest für die Verhinderung neuer Atomkraftwerke in der Schweiz sieht der sozialdemokratische Nationalrat Rudolf Rechsteiner gute Chancen.

    "Alle Atomanlagen müssen in der Schweiz durch eine Volksabstimmung. Und wir können da mit einer 'Nein’ Parole wahrscheinlich durchsetzen. Aber das ist nur eine Voraussetzung: Das Endlager muss auch rückholbar gestaltet werden. Und es sollte so geplant werden, dass die Bevölkerung einverstanden ist, dass sie mitreden kann bei der Sicherheit."

    Will heißen: Ein Endlager könnte Umweltaktivisten wie Rudolf Rechsteiner unter bestimmten Umständen hinnehmen. Denn irgendwo, sagen sie, müsse der Müll der bestehenden Atomkraftwerke ja untergebracht werden; Atommüll-Tourismus sei auch keine Lösung. Die Zustimmung zu einem solchen Endlager und der Verzicht auf eine Volksabstimmung darüber machen sie jedoch von einem verbindlichen "Nein" zu weiteren Kernkraftwerken abhängig. Ob die Energiewirtschaft da mitmacht, ist eher fraglich. Mit einer möglichen Volksabstimmung zur Atomkraft rechnen die Schweizer frühestens in drei Jahren.