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Beckstein: Das Konservative ist leiser geworden

CDU-Politiker diskutieren die konservative Position der Union. Günther Beckstein (CSU) findet die Wertedebatte berechtigt, da das konservative Element in seiner Partei an Bedeutung verloren hat. Er sieht jedoch keine Persönlichkeit, die eine Partei rechts von der Union zu Wahlerfolgen führen könnte.

Günther Beckstein im Gespräch mit Dirk Müller | 14.09.2010
    Dirk Müller: Die FDP hat ihre Westerwelle-Diskussion, die CDU/CSU in diesen Tagen mal keine Angela-Merkel-Diskussion, dafür aber eine heftige Wertedebatte. Wie konservativ ist die Union noch? Hat sie noch ein konservatives Profil? Finden Konservative in beiden Schwesterparteien noch eine politische Heimat? Wie ist das mit dem ungeborenen Leben, wie ist das mit der Sterbehilfe, mit homosexuellen Partnerschaften, mit der Familienpolitik, mit der Wehrpflicht? Roland Koch beispielsweise warnt, Erika Steinbach warnt, auch Wolfgang Bosbach tut das, damit verbunden die Befürchtung, dass sich rechts der Union eine neue Partei der Unzufriedenen bilden könnte, nach dem Vorbild Geert Wilders in den Niederlanden. Denn gerade in der Integrations- und Islam-Debatte gehen die Meinungen in der Union heftig auseinander. – Am Telefon ist nun der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein. Guten Morgen!

    Günther Beckstein: Einen schönen guten Morgen!

    Müller: Herr Beckstein, ist Angela Merkel die Weichspülerin der Union?

    Beckstein: Nein, so kann man das natürlich nicht sagen. Aber die Diskussion halte ich für berechtigt, denn es gibt eine ganze Menge von Menschen, jedenfalls habe ich das Gespür, wenn ich quer durch das Land gehe, die den Eindruck haben, dass das konservative Element in der Union nicht mehr die Bedeutung hat wie früher, und es war immer das Entscheidende, dass die Union, CDU und CSU, drei Wurzeln haben. Das ist einmal das Christlich-soziale, das zweite ist das Liberale und das dritte Element ist das Konservative, und das ist natürlich leiser geworden, auch nachdem Roland Koch aus der Politik jetzt ausgeschieden ist.

    Müller: Also wenn einer geht, ist die Union nicht mehr konservativ?

    Beckstein: Nein, das natürlich nicht. Das muss eine breite Bestrebung sein. Aber es hat sehr viele Veränderungen gegeben, beispielsweise in der Familienpolitik, beispielsweise auch in der Zuwanderungspolitik, und manchem – ich gestehe, auch mir – ist da das konservative Element etwas zu kurz geraten. Jedenfalls habe ich selber auch die von vornherein absoluten Verurteilungen von Sarrazin für falsch gehalten.

    Müller: Wo sehen Sie denn noch Konservative in der Union, die entsprechend in der Öffentlichkeit stehen?

    Beckstein: Ja, da gibt es natürlich eine ganze Menge. Ich rede jetzt mal nur von der CDU. Da ist sicher Volker Kauder, da ist Wolfgang Schäuble, da ist Bosbach etwas, und Mappus wird sicher auch eine Rolle in der Diskussion spielen. Aber es wird auch eine gewisse Zeit dauern, bis sie so in die erste Linie der Diskussion kommen, wie das zum Beispiel bei Roland Koch ganz eindeutig über ein Jahrzehnt gewesen ist.

    Müller: Wenn wir mal, Herr Beckstein, auf das Bundeskabinett schauen, Norbert Röttgen, Ursula von der Leyen, Kristina Schröder, da fragt man sich schon aus Ihrer Sicht dann, wo ist das Konservative.

    Beckstein: Es bestreitet aber, glaube ich, niemand, auch gerade bei den Konservativen, dass eine Menge von Neuerungen sein muss. Franz-Josef Strauß hat Konservativ sein definiert, an der Spitze des echten Fortschritts stehen, und das halte ich auch für richtig, nicht jeder Modeströmung hinterherlaufen, aber echte Veränderungen, echten Fortschritt durchführen. Von daher würde ich also nicht einfach sagen, nur weil es Veränderungen sind, ist die Partei nicht konservativ. Es ist sorgfältig zu prüfen, was ist notwendig an Änderungen gegenüber früher, was ist sinnvoll, aber auf einer Wertebasis, die nicht jetzt, sagen wir mal, kurzfristigen Stimmungen unterworfen ist.

    Müller: Jetzt gibt es, Herr Beckstein, das Schlagwort von der Sozialdemokratisierung der Union. Ist da was dran?

    Beckstein: Es ist jedenfalls im Eindruck der Öffentlichkeit etwas dran und der Wähler wählt ja nicht wie ein wissenschaftlicher Mann, der analysiert, sondern nach seinen Stimmungen, und ein Stück bei den Stimmungen ist ganz eindeutig da. Ich selber bin nicht in der Lage, das jetzt unmittelbar mit einzelnen Punkten zwingend zu hinterlegen, aber jedenfalls der Eindruck, dass man sich um Konservative zu wenig kümmert, ist weit verbreitet. Da muss die Union insgesamt aufpassen, denn in der Tat gilt der Satz, den Franz-Josef Strauß aufgestellt hat, dass rechts von der Union keine demokratisch legitimierte Partei entstehen darf. Und nicht nur in den Niederlanden, sondern auch beispielsweise in Österreich oder in der Schweiz sind derartige Parteien entstanden; das darf bei uns nicht passieren.

    Müller: Könnte so etwas kommen in Deutschland mit Friedrich Merz, mit Roland Koch?

    Beckstein: Ich glaube, dass das größte Glück da für uns in der Union ist, dass keine profilierte Persönlichkeit in Sicht ist, die charismatisch genug ist, eine Partei zu hohen Prozentzahlen zu führen. Wir hatten ja erlebt bei Schönhuber, bei Schill, auch bei Gabriele Pauli, dass die Attraktivität für Spinner höher ist als für seriöse Menschen, und deswegen sehe ich nicht die unmittelbare Gefahr, aber ich halte es für eindeutig, dass die Union da sehr aufpassen muss.

    Müller: Sie haben, Herr Beckstein, selbst eben gleich zu Beginn des Interviews das Stichwort genannt, die Islam-Diskussion, auch um Thilo Sarrazin. Sie sehen das anders?

    Beckstein: Ich unterscheide ganz klar. Einerseits hat Sarrazin Thesen aufgestellt zur Frage, dass Intelligenz überwiegend vererbbar ist und dass jetzt – ich übersteigere noch mal – die Dummen mehr Kinder kriegen. Von diesen erbmäßigen und erbgesetzmäßig begründeten Thesen halte ich gar nichts. Aber seine Analyse im Bereich der Migrationsdebatte, der Integrationsdebatte halte ich ganz überwiegend für zutreffend und er rührt da natürlich an Tabus, wenn er sagt, wir haben ja nicht generell ein Integrationsproblem mit Migranten, wir haben überwiegend bestens integrierte Ostasiaten, aber wir haben gerade bei einem Teil der Türken und bei überwiegend fundamentalistisch-islamischen Menschen ein Problem, und ich sage das auch. Wenn ein großer Nationalismus wie bei vielen arabischen Migranten zusammentrifft mit einem religiösen Fundamentalismus des Islam und einer geringen Vorbildung, weil man aus bildungsfernen Schichten kommt, dann ist die Integration oft sehr, sehr schwer, und das muss angesprochen werden, nicht um Menschen zu diskriminieren, sondern um die Probleme zu lösen, und da haben wir noch Nachholbedarf, trotz größter Anstrengungen der Integration der letzten Jahre.

    Müller: Aber nun haben viele, Herr Beckstein, viele Politiker aus der CDU und aus der CSU, auf Sarrazin genauso draufgeschlagen, wie das die Sozialdemokraten getan haben.

    Beckstein: Das habe ich ehrlich gesagt nicht für richtig gehalten. Ich meine, dass man normalerweise gerade bei Büchern nicht nach dem Kritikwürdigen sucht, sondern nach dem, was sind die echten Anregungen, die eine Diskussion voranbringen. Und ich sage, die Analyse, die Sarrazin macht, ist überwiegend schon etwas, was bedrückend ist, wenn man hört, wie viele Menschen, junge Menschen von vornherein in Hartz IV oder Sozialhilfe kommen, wie wenig in bestimmten Kreisen Deutsch-Kenntnisse vorhanden sind, trotz aller Angebote, wie hoch Arbeitslosigkeit ist. Das sind Punkte, die wir ansprechen müssen. Aber noch mal: nicht um die Menschen zu diskriminieren und zu sagen, das ist unabänderbar, auch nicht etwa zu sagen, das liegt an Genen, sondern zu sagen, wie können wir fördern, aber auch fordern. Wir haben jetzt viel getan beim Fördern, bei den Fragen des Forderns sind meines Erachtens gesetzliche Änderungen notwendig, die von mir als konservativ denkendem Menschen nicht überall gesehen werden, dass wir die schon hätten.

    Müller: Sie haben ja eben gesagt, Herr Beckstein, das ist ein Tabubruch, den Sarrazin da vorgeführt hat, und die Union hat das noch nicht ganz nachvollzogen. Wer sind denn die Kräfte, die das verhindern?

    Beckstein: Es war natürlich ein breiter Aufschrei insbesondere aus den Medien, aus der Öffentlichkeit, aber Konservative hätten meines Erachtens dann schon etwas deutlicher sagen müssen, dass Sarrazin in der Grundthese der Integration Recht hat, wie das ja auch von einer breiten Öffentlichkeit gesehen wurde.

    Müller: Jetzt hatte ich, Herr Beckstein, erwartet, dass Sie auf meine Frage folgendermaßen antworten, nämlich auf die Frage, wo sind denn die Konservativen in der Union, oder auch im Bundeskabinett: Karl-Theodor zu Guttenberg. Der gilt ja nun als Wertekonservativ, als eine Leuchtfigur, als eine Leuchtsäule der Konservativen. Jetzt schafft der ausgerechnet die Wehrpflicht ab. Ist er noch konservativ?

    Beckstein: Eindeutig ja! Konservativ sein heißt ja nicht, einfach auf dem Überkommenen festzuhalten. Konservativ heißt, sich notwendigen Anpassungen auch zu öffnen, und ich halte es für ganz eindeutig, dass die Bundeswehr heute eine andere Funktion hat als zu Zeiten des Kalten Krieges. Wir haben nicht mehr den Feind an unseren Grenzen. Wie meine eigenen Kinder Wehrpflicht bei den Gebirgsjägern gemacht haben, hatte ich größte Mühe, ihnen zu erklären, dass nicht etwa Gefahr von Österreich oder der Schweiz droht, sondern wegen anderer Dinge eine Wehrpflicht notwendig ist. Aber Wehrpflichtige dürfen nicht außerhalb von Deutschland eingesetzt werden, also zum Beispiel nicht mal in Jugoslawien. Das heißt, wir haben eine völlig veränderte Sicherheitslage, und dem muss die Bundeswehr folgen. Deswegen bin ich froh, dass Karl-Theodor zu Guttenberg diese Linie eingefahren hat, und glaube, dass auch Konservative da keine Probleme mehr haben. Ich jedenfalls unterstütze ihn nachdrücklich und verhehle auch nicht, dass ich auf ihn in den nächsten Jahren, vielleicht auch Jahrzehnten große Hoffnungen setze.

    Müller: Jetzt konnten Sie an diesem Wochenende auch noch Horst Seehofer davon überzeugen, dass das richtig ist?

    Beckstein: Ja. Das ist ja in der Sache, meine ich, so überzeugend, dass die Sicherheitslage des Kalten Krieges eine andere ist als nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Wir brauchen eine starke Bundeswehr, denn Deutschland ist das größte Land in der EU, und deswegen ist es aus meiner Sicht völlig ausgeschlossen, dass wir sagen, die Engländer oder Franzosen geben militärisch in der EU den Ton an, sondern da muss Deutschland mitmachen. Aber das geht wahrscheinlich mit einer Freiwilligenarmee wesentlich besser, weil das komplizierte Waffensystem den bestens ausgebildeten und nicht jemanden, der für sechs Monate ein Praktikum macht, braucht.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Bayern.

    Beckstein: Auf Wiederhören!