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TV-Serie "Shtisel"
Der echte Rabbi Akiva lebt in Dresden

Akiva Weingarten ist der neue Rabbiner von Dresden. Zuvor hat er unter anderem die erfolgreiche TV-Serie "Shtisel" beraten. Wohl deshalb ist die Hauptfigur, Akiva Shtisel, dem Rabbiner sehr ähnlich. Doch anders als der fiktive Akiva ist der echte Akiva aus der Ultraorthodoxie ausgestiegen.

Von Christian Röther | 09.12.2019
Akiva Weingarten vor der Dresdener Synagoge
Akiva Weingarten hat als religiöser Berater am Set von "Shtisel" mitgewirkt (Deutschlandradio / Christian Röther)
"Shalom Akiva!"
"Shalom Shalom!"
Das ist Akiva Shtisel. Die Hauptfigur der israelischen Fernsehserie "Shtisel". Ein junger Mann, ultraorthodoxer Jude. Und das ist sein Namensvetter:
"Ich bin Akiva Weingarten, 34 Jahre alt. Bin in New York geboren und bin seit fünf Jahren in Deutschland."
Anzug mit Weste und Krawatte, modische Brille: Akiva Weingarten ist der neue Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Dresden. Außerdem betreut er eine Gemeinde in Basel. Dass Akiva Weingarten denselben Vornamen hat wie Akiva Shtisel, die Serien-Figur, die weltweit Millionen Menschen fasziniert hat – das ist kein Zufall.
"Ich war einer von den religiösen Beratern auf dem Set. Weil alle Schauspieler nicht religiös sind, brauchten sie jemanden, der ultraorthodox ist, um zu sehen, dass alles genau rauskommt, wie es sein sollte."
"Betten getrennt"
Bevor er also in Deutschland Rabbiner wurde, hat Akiva Weingarten in Israel bei einer sehr erfolgreichen Fernsehserie mitgewirkt:
"Zu sehen, dass die Haare richtig sind und dass das Setting von einer Wohnung richtig ist: Schlafzimmer - Betten getrennt. Und es gibt auch viele Sätze auf Jiddisch, die sie sagen. Das musste man mit den Schauspielern auch üben, weil die sprechen ja kein Jiddisch."
Akiva Weingarten, der junge ultraorthodoxe Jude aus New York, war am Filmset in Israel also nicht nur als eine Art theologischer Berater im Einsatz, sondern auch als Sprachlehrer. Denn Jiddisch ist seine Muttersprache. Auch ältere Ultraorthodoxe in Israel sprechen oft noch Jiddisch – so auch in "Shtisel", obwohl die Schauspieler selbst alle keine Ultraorthodoxen sind.
"Am Anfang hatte er einen anderen Namen"
Akiva Weingarten hat sogar einen kleinen Gastauftritt in der Serie. Er holt sein Tablet heraus und macht Staffel 1, Folge 9 an. Shulem Shtisel, Akivas Vater, muss vor ein religiöses Gericht, und Akiva Weingarten übernimmt die Rolle eines Gerichtsmitarbeiters.
Akiva Weingarten sieht sich seinen Gastauftritt in der TV-Serie "Shtisel" an
Akiva Weingarten in doppelter Ausführung (Deutschlandradio / Christian Röther)
Und offenbar benannten die Serienmacher auch die Hauptfigur nach Akiva Weingarten:
"Am Anfang hatte er einen anderen Namen. Ich kann mich nicht erinnern, was es war. Und danach haben sie es geändert."
Der Vorname Akiva wird im Judentum heute eigentlich nur in ultraorthodoxen Familien vergeben. Er erinnert an Rabbi Akiva. Der lebte vor rund 1900 Jahren und zählt zu den Vätern des rabbinischen Judentums.
Akiva Shtisel ist ein Träumer
Der fiktive Akiva Shtisel und der echte Akiva Weingarten haben aber noch mehr Gemeinsamkeiten, nicht nur den Vornamen: Beide stammen aus ultraorthodoxen Familien, sind Rabbiner, etwa gleich alt – und beide malen und zeichnen gerne. War der echte Akiva also Vorbild der Serienfigur?
"Ich habe damals das Gefühl bekommen, dass es nicht auf mir basiert ist, aber dass es doch beeinflusst worden ist."
Es gibt aber auch große Unterschiede zwischen den beiden Akivas. Der fiktive Akiva hadert zwar mit der Ultraorthodoxie. Er lotet die Grenzen der strengen Regeln aus und probt den Aufstand gegen seinen Vater. Trotzdem scheint er nie zu erwägen, die Ultraorthodoxie zu verlassen. Er ist ein Träumer. Der echte Akiva hingegen ist aus der Ultraorthodoxie ausgestiegen, ein paar Jahre, nachdem er die Serienmacher beraten hatte – auch zu seinem fiktiven Namensvetter.
"Ich glaube, dass der Hauptunterschied ist, dass bei ihm - er hat nicht wirklich Fragen, auf die er Antworten sucht. Er hat keine theologischen Fragen, er hat keine historischen Fragen. Er hat sich nicht mit seiner Religion genug beschäftigt, um in diese Situation zu kommen, Fragen zu haben."
Akiva Weingarten verlässt die Ultraorthodoxie
Ganz anders ist es bei Akiva Weingarten: "Weil ich viele Fragen hatte und innerhalb von der ultraorthodoxen Welt Antworten auf diese Fragen nicht gefunden habe."
Über Jahre wuchsen die Fragen und Zweifel in Akiva Weingarten - und mit ihnen wuchs die Distanz zum ultraorthodoxen Judentum. Das führte auch zur Trennung von seiner Familie: Akiva Weingarten ging von Jerusalem nach Berlin - ohne seine Frau und seine drei Kinder. Am Abraham Geiger Kolleg in Potsdam ließ er sich zum Rabbiner ausbilden – und trat damit über ins liberale Judentum. "Persönlich habe ich noch einen sehr guten Kontakt mit fast allen meinen Freunden, Familie, Rabbinern aus der ultraorthodoxen Welt."
"Unsere Freundschaft ist viel mehr als religiöse Fragen"
Oft brechen Menschen, die aus der Ultraorthodoxie aussteigen, alle Verbindungen zu früher ab - oder die andere Seite zieht den Schlussstrich. Bei Akiva Weingarten ist das also nicht so. Seine Mutter aus New York hat ihn schon mehrfach in Deutschland besucht, und auch aus Israel kommen ultraorthodoxe Freunde nach Dresden.
"Ich habe einen Freund aus Israel, der gerade jetzt bei mir zu Hause ist hier in Dresden. Wir besprechen nicht viele theologische Fragen. Es ist uns beiden klar, was unsere Position ist. Was ich glaube, was die glauben. Und unsere Freundschaft ist viel mehr als theologische und religiöse Fragen."
So stehen die beiden Akivas gewissermaßen für zwei mögliche Lebenswege eines jungen ultraorthodoxen Juden. Der eine Akiva, der fiktive, stellt keine großen Fragen, reibt sich zwar an seinem Alltag, will ihm hier und dort entfliehen, weiß aber, wo in der Welt sein Platz ist.
Der echte Akiva hingegen stellte all die großen Fragen und musste deshalb seinen Platz in der Welt neu suchen. Jetzt hat er ihn gefunden: aus New York kam er über Jerusalem und Berlin in die Jüdische Gemeinde Dresden.
"Ich glaube, es gibt keinen richtigen Unterschied zwischen Rabbiner in Dresden oder Rabbiner irgendwo anders zu sein. Die Gemeinde hier finde ich sehr toll. Dresden ist eine wunderschöne Stadt, eine wirklich wunderschöne Stadt. Die Leute sind auch generell sehr sehr nett in Dresden. Ich hatte bisher nur positive Erfahrungen hier."