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Aufstand der Maoisten

Seit mehr als 40 Jahren zieht sich eine Rebellion durch die Dschungelgebiete im Osten des Subkontinents, der Aufstand hat inzwischen ein Drittel der rund 600 Bezirke Indiens erfasst, die maoistische Guerilla ist gut ausgerüstet und straff organisiert.

Von Sabina Matthay | 15.05.2010
    Trauerfeier für vier Polizisten einer indischen Spezialeinheit. Die Männer waren bei einem Anschlag maoistischer Rebellen im Bundesstaat Chattisgar gestorben. Mitte April hatten die Aufständischen in derselben Region 76 Angehörige der "Central Reserve Police Force" getötet, der schwerste Angriff seit Beginn der Rebellion vor über 40 Jahren.

    Indiens Innenminister Chidambaram beurteilt die Naxaliten, benannt nach dem Ursprungsort des Konflikts, als größte Bedrohung für die innere Sicherheit seines Landes. Der Aufstand hat inzwischen ein Drittel der rund 600 Bezirke Indiens erfasst. Die Rebellen sind gut ausgerüstet und straff organisiert und sie haben Geld.

    "Wir wollen eine demokratische Revolution", sagt ein Mitglied des Führungskaders. "Erst müssen wir die Macht ergreifen, dann ist eine gründliche gesellschaftliche Transformation möglich."

    Weite Teile des indischen Dschungelgebiets von der Grenze zu Nepal bis ins südliche Andra Pradesh kontrollieren die Naxaliten schon. Eine Region, die reich ist an Bodenschätzen: Uran, Bauxit, Eisenerz, Kohle.

    Doch die Adivasi, also die indischen Ureinwohner, und die Landlosen der unteren Kasten, die dort leben, haben von dem Reichtum nicht profitiert. Die meisten vegetieren unterhalb der Armutsgrenze. Sie haben weder Arbeit noch sauberes Wasser, die Schulen sind ohne Lehrer, Krankenhäuser ohne Ärzte. Innenstaatssekretär GK Pillai bestreitet die Missstände nicht.

    "Es gibt Bereiche, die sind unterentwickelt, kein Zweifel. Sonst hätten die Maoisten da überhaupt nicht Fuß fassen können. Aber ein Aufstand gegen den Staat ist nicht die Antwort darauf. Das führt doch nur zu noch mehr Schwierigkeiten für die Menschen."

    Doch die Naxaliten wollen keine Kompromisse. Nur mit Gewalt seien die Rechte der vernachlässigten Bevölkerungsgruppen durchzusetzen, sagt das maoistische Kadermitglied.

    "Wir wollen Indien frei machen von Korruption. Wir wollen ein Indien, in dem Ehrlichkeit, Arbeit und Wahrheit belohnt werden, wo Korruption, Unehrlichkeit und Lügen keinen Platz haben."

    Das Wasser fließt spärlich aus der einzigen Pumpe in Kergadi. Das Dorf liegt in einem Tiger Reservat im Bundesstaat Jharkhand. Von der Landwirtschaft allein werden die 30 Familien hier nicht satt. Nur wegen der staatlich subventionierten Lebensmittel könnten sie, die als Dalits am Rande der indischen Gesellschaft stehen, überleben, sagt ein alter Mann. Ansonsten lasse der Staat sie jedoch allein.

    "Wir brauchen Bewässerungssysteme für die Felder. Ständig zerstören Elefanten die Ernte, aber die Entschädigung kommt nicht. Und für die Bezugsscheine, für die subventionierten Lebensmittel müssen wir Mittelsmännern noch Schmiergeld zahlen","

    … berichtet der Alte. Gleiches gilt für die, die am staatlichen Beschäftigungsprogramm für die Landbevölkerung teilhaben wollen. Der Staat ist unbeliebt bei den Dörflern, die maoistischen Rebellen aber fürchten sie.

    ""Die Tiger hier tun uns nichts, solange wir uns von ihnen fern halten. Aber die Naxaliten, die töten uns, wenn wir ihnen nicht gehorchen."

    Meist verlangen die Aufständischen nur etwas zu essen, manchmal zwangsrekrutieren sie aber auch Kämpfer für ihre Truppen aus der Landbevölkerung. "Die Naxaliten glauben an Gewalt", sagt Dayamani Barla, "wir dagegen an Gewaltlosigkeit".

    Die energische Frau engagiert sich gegen die staatliche Enteignungspolitik zur Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen. Gegen ein Eisenerzprojekt des Arcelor-Mittal-Konzerns in Jharkhand hat sie eine Volksbewegung mobilisiert.

    Die Adivasi, zu denen sie gehört, wollen ihr Land nicht aufgeben, auch nicht gegen Entschädigung. Der Dschungel sei die Lebensgrundlage der Ureinwohner und ihre Identität, sagt Barla. Die Unternehmen aber würden die Menschen mit Hilfe von Staat, Militär und Polizei um ihr Land betrügen. Dass allerdings die maoistischen Rebellen ihre Interessen verfechten würden, bestreitet Barla vehement.

    "Die Naxaliten sind doch nicht dagegen, dass die Stahlkonzerne hier Werke errichten. Die wollen doch nur Geld, deshalb haben sie zur Waffe gegriffen.§"

    Die Rebellen erpressten Schutzgelder von Unternehmen, sagen auch Geschäftsleute, die aus Angst vor Repressalien nicht ins Mikrofon sprechen, geschweige denn ihren Namen nennen wollen. Der Rest der Bevölkerung muss sich ebenfalls mit den Naxaliten arrangieren.

    Als der Ureinwohner Philip Kurju nach dem Schulabschluss in sein Dorf zurückkehrte, um mit einigen Gleichgesinnten die Entwicklung dort voranzutreiben, hatte er nicht mit den Aufständischen gerechnet.

    ""Die Naxaliten störten Dorfversammlungen mit Gewalt und verbreiteten Gerüchte, Kurju gehe es gar nicht um das Wohlergehen der Bewohner, sondern wolle die zum Christentum bekehren."

    Vermutlich wollten die Guerillas das Versiegen einer Geldquelle verhindern. Mittelsmänner schoben ihnen einen Teil der Gelder aus dem staatlichen Stützungsprogramm für die Landbevölkerung zu. Damit wollte die Gruppe um Kurju Schluss machen.

    Als die Naxaliten schließlich vier seiner Freunde verprügelten und am helllichten Tage als Warnung an die Bewohner durch das Dorf schleppten, gab Philip Kurju auf. Bis zu 20.000 maoistische Kämpfer stehen unter Waffen, Zehntausende können angeblich schnell für größere Aktionen aktiviert werden. Dem stehen 75.000 Polizisten der Sonderheit Central Reserve Police Force gegenüber, oft schlechter geschult und ausgerüstet als die Naxaliten.

    "Der indische Staat hat den Maoisten Gesprächsangebote gemacht", sagt Innenstaatssekretär Pillai, "die müssen vorher nicht mal die Waffen abgeben oder ihrer Ideologie abschwören, doch die Rebellen wollten nicht".

    In zwei bis drei Jahren soll der Aufstand im Roten Gürtel Indiens nun niedergeschlagen werden. Doch um den Konflikt wirklich auszuräumen, müssen seine wirtschaftlichen und sozialen Wurzeln beseitigt, müssen Armut und Vernachlässigung ausgerottet werden.