Burgen am Mittelrhein

Zwischen Dornröschenschlaf und Tourismustrubel

Burg Rheinfels
Burg Rheinfels zählt zu dem schönsten und markantesten Burgen des Mittelrheins und ist das Wahrzeichen von St. Goar. © picture alliance / dpa / Foto: Hans-Joachim Rech
Von Alexander Musik · 11.09.2015
Am Mittelrhein, zwischen Bingen und Koblenz, stehen die meisten Burgen Europas. Einige davon werden von Touristen überrannt, andere liegen im Dornröschenschlaf oder sind im Privatbesitz. Viele aber eint, dass sie einst von den Nazis für ihre Zwecke genutzt wurden.
Kapitän Jürgen Brilmayer, Schiffsführer auf der MS "Rhenus" und Veteran auf der Strecke zwischen Bingen und Rüdesheim, startet auf Höhe St. Goar den CD-Player, und das alte Lied erklingt wieder an Deck, wo die Fahrgäste sich, dicht gedrängt, bei Kaffee und Kuchen, Bockwurst und Bier amüsieren. Dreimal täglich, stromaufwärts, stromabwärts.
"Man nimmt das schon noch wahr, man überlegt sich aber auch: Wann hat man das letzte Mal so ne Burg besichtigt? Wenn man sich zurück erinnert: in der Kindheit vielleicht, dann denkt man immer wieder, wie schön man's in der Gegend eigentlich hat, wie schön man wohnt, der Ausblick ins Tal runter!"
Aus seiner rundumverglasten, komfortablen Kabine schaut Brilmayer konzentriert auf den Fluss, die 120 Meter breite Fahrrinne des Rheins ist mit roten und grünen Tonnen markiert. Schiffe auf Talfahrt werden per Funk Schiffen auf Bergfahrt angekündigt. Es geht dicht zu auf dem Rhein, hinzu kommt der Querverkehr durch die Fähren. Auf beiden Rheinufern sausen Tag und Nacht Hunderte von Personenzügen vorbei, dazwischen dröhnen endlose Güterzüge.
Das Dröhnen hallt im Rheintal wider, in den verträumten und verlärmten Häuserzeilen aus Fachwerk. Teilweise sind die Gleise zum Greifen nah. In Boppard, St. Goar, Lorch, Kaub, Bacharach oder Oberwesel. Daneben die Uferstraßen: PKW, Wohnmobile, Motorräder ziehen vorbei. Parallel laufende, teils bis zum Anschlag genutzte Verkehrsadern. Als statischer Kontrapunkt dazu thronen auf Plattformen in luftiger Höhe, dem Rheinischen Schiefergebirge abgerungen, die Burgen: Rheinfels, Rheinstein, Sooneck, Stahleck, Lahneck, Pfalzgrafenstein, Burg Katz, Burg Maus. Und all die anderen.
"Rheinromantik? Tja... Also, ich sach mal, wir haben hier 'n Job, man muss ständig konzentriert und achtsam sein, aber man hat trotzdem immer noch die Möglichkeit nach außen zu gucken, das Ufer links und rechts, das Gebirge hier, je nachdem wenn man morgens fährt, man sieht Tiere, oder auch in der Lesezeit, die Menschen, die dann in den Weinbergen arbeiten, es ist schon interessant."
Auf der Serpentine zur Burg Rheinstein
Auf dem Rückweg wird die MS "Rhenus" auch in Trechtingshausen anlegen, gut 20 Kilometer flussaufwärts. Ein Schild weist vom Anleger zur Burg Rheinstein, die fast über dem Fluss zu hängen scheint. Rheinstein ist ein Kleinod. Jeder Giebel, jedes Türmchen, jede Terrasse strahlt die Vorstellung aus, die sich ihre Besitzer aus dem 19. Jahrhundert vom Mittelalter machten. Heute gehört Rheinstein Markus Hecher und seiner Familie.
"Wir nähern uns hier der Burg, und damit kommen wir immer mehr in die Natur hinein. Das ist ja auch eine der Besonderheiten der Burg Rheinstein, dass man keine direkte Zufahrt zur Burg hat. Das heißt, wir kommen nicht mit dem Auto an die Burg ran, sondern wir müssen diese Serpentine hier rauflaufen zur Burg, die 360 Meter hat, aber immerhin 45 Höhenmeter überwindet. Für den Transport haben wir so'n Schmalspurtraktor oder wir haben so'ne Monorack-Bahn, so 'ne Einschienenbahn, da wissen wir uns schon zu helfen."
Das Gleis der Einspurbahn windet sich unauffällig zwischen den Weinreben unterhalb der Burg empor. Markus Hecher freut sich über das Postkartenwetter an diesem Tag, das sicher viele Besucher bringen wird. Er selbst managt die Burg, sein Sohn führt das Burgrestaurant. Beide Generationen wohnen auf der Burg. Markus Hechers Vater, einst Opernsänger in Tirol, hat Rheinfels im November 1975 gekauft. Er war fasziniert von der Idee, ein Burgherr zu sein. Ein Idealist, sagt der Sohn über ihn, der keine Ahnung davon hatte, was es bedeutete, eine Burg zu erhalten. Auch wenn er zuvor bereits Pächter der benachbarten Burg Reichenstein war.
"Hier diese Burg Rheinstein sollte verkauft werden, sie war bis dato noch in Adelsbesitz, durch Erbfolge noch im preußischen Haus integriert. Die letzte adelige Eigentümerin aus dem Preußenhaus wollte es verkaufen. Dann wurde es spannend, als sich hierfür eine Sekte interessierte, und zwar die Hare-Krishna-Mönche. Das waren so Bettelmönche, die waren in den 70er-Jahren sehr aktiv, das war so die auslaufende Hippie-Zeit, also im kriminellen Milieu etwas behaftet durch dubiose Geschäftsgebaren. Da war man nervös hier in der Region, dass eine solche Gruppe ein Kulturgut kriegen sollte; man versuchte, das zu unterbinden. Da ist damals mein Vater eingesprungen, hat die Burg gekauft. War zu dem Zeitpunkt schon in ´nem sehr desolaten Zustand, war schon sehr runtergekommen, sehr verwirtschaftet, von dem Inventar war sehr viel veräußert – es sah schlimm aus!"
1,3 Millionen Euro Zuschuss gab es von Bund und Land für die Sanierung seiner Burg. Im Rahmen eines Zehnjahresplans von 1996 bis 2007 wurden damit immer neue Baustellen angegangen. Die Bewerbung um den Welterbe-Status half, das Geld lockerzumachen. Es gilt dennoch, immer neue Geldquellen anzuzapfen und Partner zu gewinnen, denn die Arbeit an der Burg hört nie auf, sagt der Burgherr.
"Wenn jemand zu mir sagt: Oh, Sie sind Burgherr, sage ich immer. Ich bin mehr Knecht als Herr eines solches Objektes, ja. Das ist natürlich ein bisschen ironisch gemeint, aber es liegt auch ein Stück Wahrheit drin, weil man hier als reiner Familienbetrieb natürlich auch selber immer ran muss und Hand anlegen muss und auch die komplette Verantwortung dafür hat und somit knechtet einen dieses Objekt schon ab und zu mal."
Prunkzimmer und Rittersaal
Die Hechers wohnen im ehemaligen Gesindehaus von 1830 auf dem Burghof. Rheinstein ist ihr Lebensmittelpunkt, so, wie es die Burg für ihre Bewohner von einst war: ein unangreifbarer Platz mit Wehr- und Wohnturm, Rittersaal und Kemenate, ein Platz mit Panoramablick, ein Fluchtpunkt. In den vergangenen Jahrzehnten haben der Österreicher Markus Hecher und seine Familie die Burg in ein Schmuckstück verwandelt. Haben Originalmobiliar zurückgekauft, die Burgküche so ausgestattet, wie sie im 19. Jahrhundert benutzt wurde, haben die großen Prunkzimmer und die kleinen Kemenaten mit alten Musikinstrumenten, Stichen und Wandbespannungen liebevoll dekoriert.
Burgherr Markus Hecher auf der  Burg Rheinstein
Burgherr Markus Hecher im Rittersaal der Burg Rheinstein in Trechtingshausen bei Bingen.© picture alliance / dpa / Foto: Fredrik Von Erichsen
"Das ist der Rittersaal, das ist der schönste und größte Raum der Burg. Wir haben das aufwändig in den 80er-Jahren restaurieren lassen. Hier ist auch bei den Lichtverhältnissen wunderbar zu sehen unser Bestand an Fenstern: Wir haben den größten und wertvollsten Bestand an Buntglasfenstern auf einer Mittelrheinburg. Das hängt einfach damit zusammen: Dieser Preußenprinz, der sich die Burg wieder aufbauen ließ, hat diese Fenster woanders gekauft, ersteigert, und hat sie dann hier einsetzen lassen, damit wollte er Mittelaltergefühle in seine Burg hineinbekommen."
Der Preußenprinz hatte seine eigene Kapelle und die eigene Gruft. Gegenüber der Kapelle: der mediterran anmutende Burgundergarten. Feigenbäume, Oleander, Hibiskus wachsen hier. An die Eltern Markus Hechers erinnert eine steinerne Tafel. Wegen großer Verdienste für das Land Rheinland-Pfalz durften sie ausnahmsweise auf Burg Rheinstein bestattet werden. Über steile Treppen, gerade breit genug für eine Person, geht es auf eine Terrasse mit Rundumblick. Markus Hecher kann sich nicht vorstellen, die Burg jemals wieder zu verkaufen. Er lebt mit ihr und von ihr, sagt er.
"Da fährt ein Schiff vorbei, das ist das, was man halt wunderschön vorfindet auf der Burg, weil sie halt so nah am Fluss liegt, dass man direkt mit dem Fluss in Verbindung steht. Man hat so n bisschen Titanic-Gefühl, als wenn man da oben aufm´ Schiff steht und unter einem ist das Wasser. Hier so die Lichtverhältnisse sindnatürlich wunderbar jetzt, das ist halt auch das Mittelrheintal, wenn Sie jetzt hier herunter gucken, dahinten haben wir schon gleich wieder die nächste Burg, unten im Rheintal liegt ne kleine Kapelle, die Clemens-Kapelle, der Fluss schlängelt sich hier so durch, das ist Rheinromantik pur, abzüglich der Geräusche Das ist Gegenwart pur."
Wenn ein Japaner eine Burg kauft
Die Fähre zwischen St. Goar und St. Goarshausen fährt bis Mitternacht. Die Partnerstadt von St. Goarshausen ist das japanische Inuyama. Auch Inuyama ist eine Touristenstadt mit Burg und Fluss. Von St. Goarshausen bringen Busse Touristen hinauf zum Loreley-Felsen und dem Besucherzentrum auf dem Bergplateau. Unten, am Eingang zur Altstadt, verweist ein Schild zu einem Wanderweg auf die Burg Katzenelnbogen. Sie ist der Loreley am nächsten. Vielleicht hat sie ja deshalb 1989 der japanische Millionär Satoshi Kosugi gekauft. Kosugi, ein Freund der Burgen und der Rheinromantik. Die Wanderung zur Burg Katz, so heißt sie schlicht im Volksmund, endet an einem verschlossenen rostrot gestrichenen Tor. Privatbesitz. "Eine Besichtigung der Burg ist nicht möglich", steht auf einem Schild. Auch auf das Klingeln hin öffnet niemand. Burg Katzenelnbogen steht leer. Doch, wie sich herausstellt, gehört ein ehemaliger Stadtturm von St. Goarshausen zur Burg dazu, die die Grafen aus dem Geschlecht der Katzenelnbogen ab 1360 bauen ließen.
"Die Burg war meines Erachtens gut erhalten in der damaligen Zeit. Sie wurde ja benutzt in der Zeit 'Reicharbeitsdienst' dann nach dem Krieg war es Internat von dem Institut Hoffmann, das jetzige Gymnasium, war oben Internat in der Burg. Dann lange Jahre bis 1985 war es, dass sie dort in die Bundesvermögensverwaltung in Bonn gehörte. Dann ist sie meistbietend ausgeschrieben worden, da hat sie der Japaner für 4,3 Mio. Mark erworben. Der wollte sie natürlich ausbauen, der wollte noch ´nen Anbau machen, um sie als Hotel zu nutzen, aber das hat man ihm versagt, das ging dann bis zum Oberverwaltungsgericht, wurde abgelehnt: Denkmalschutz!"
Die Stadt St. Goarshausen wollte oder konnte damals nicht mit dem reichen Mann aus Japan mithalten, was in der Presse für viel Spott und Häme sorgte: Eine Burg an einem mythenbeladenen Ort, wo Deutschland am deutschesten ist, an einen Japaner verscherbeln, der sie zu einem Luxus-Hotel speziell für Japaner umbauen will? Die Stadt behielt nur den Stadtturm in ihrem Besitz. Mittlerweile gehört er Otto Schamari. Der Weinbauingenieur hat den Wohn- und Wehrturm aus dem 14. Jahrhundert zu einem Weinlokal umgebaut, inklusive Loreley-Museum.
"Ich denke heute, wo wir Weltkulturerbe sind, würd das wahrscheinlich nicht mehr passieren. Da würd man eher sagen: Wir nehmen sie doch in Landesbesitz und versuchen sie touristisch zu öffnen und zu nutzen."
Die Burg Katz ist eine der mächtigen erhaltenen Burgen am Mittelrhein und ein Touristenmagnet, leider nur von außen zu bestaunen, da Privatbesitz. Aufnahme vom 01.07.2014
Die Burg Katz ist eine der mächtigen erhaltenen Burgen am Mittelrhein und ein Touristenmagnet.© picture alliance / Hans-Joachim Rech
Die Grafen von Katzenelnbogen, die in Raubrittermanier Zölle kassierten, hatten in ihren Turm auch gleich ein neun Meter tiefes Verlies eingelassen. Für zahlungsunwillige Schiffsbesatzungen. Wieder hat ein amerikanisches Kreuzfahrtschiff unterhalb der Marksburg angelegt. Die Marksburg, ebenfalls rechtsrheinisch in der Nähe von Koblenz gelegen, ist die "einzige unzerstörte Höhenburg" am Rhein, so locken die Werbebroschüren. Und es ist die Burg mit den meisten Parkplätzen! Auch das, ein unschlagbares Argument für die Gäste, wie sich zeigt. 165.000 Besucher pro Jahr, die Hälfte von ihnen kommt in Bussen, die sich den engen Fahrweg zur Burg hinauf quälen. Im Burghof wartet eine Traube Touristen auf den Beginn der nächsten Führung. Am Besuch des Burg-Souvenirshops führt für viele kein Weg vorbei. Kinder äußern Wünsche, die die Eltern kaum ablehnen können. Und Anja Sturm, die hier arbeitet, hat alle Hände voll zu tun.
"Wir führen Kettenhemden, die extra angefertigt werden. Wir haben hier auch die Schwerter aus Toledo. Die werden in Spanien gefertigt, die gehen auch sehr gut. Dann richtet man sich 'nen Germany Rittersaal ein."
Teure Angelegenheit
Auf der Burgterrasse nebenan ist mittlerweile Gerd Wagner eingetroffen. Er wohnt auf der Marksburg, verwaltet sie und ist auch Vorsitzender der Deutschen Burgenvereinigung, die hier seit 1899 ihren Sitz hat. Wagner, ausgebildeter Lehrer, legt einen riesigen eisernen Schlüssel vor sich auf den Tisch.
"Große Tore, große Schlüssel, sag ich immer, das ist ein ziemliches Monster, weil, das ist tatsächlich das Eingangstor zur Burg, das sehr dick ist, der Schlüsselkasten ist auf der Rückseite angeschraubt, also muss man die Tür erstmal durchstechen, um sie öffnen zu können. Ich muss aber zugeben, dass wir das auch deswegen beibehalten, weil es auch ´nen bisschen Show ist für die Touristen, wenn die so ´nen großen Burgschlüssel sehen."
Wagner hat volles Verständnis dafür, wenn ein Burgbesitzer sein Eigentum für sich nutzen will, weil es durch zu viele Besucher beschädigt werden könnte. Andererseits sind er und seine Burgenvereinigung schon neugierig, Burgen auch von innen zu sehen. Bis 1500 gab es 25.000 Burgen in Deutschland, sagt Wagner, fast jedes Dorf hatte eine. Heute sind die meisten überwachsen, verfallen, auch weil der Eigentümer sich den Erhalt nicht mehr leisten kann. Oder sie stehen zum Verkauf.
"Das ist ein ganz schwieriges Geschäft, und ich kann wirklich Privatleuten nur abraten, sich eine Burg zuzulegen, weil, das ist ein Trauerspiel, das kostet viel Geld."
Wagner deutet auf eine Mauer nahe dem Burgtor, die statisch gesichert werden musste. 80.000 Euro habe das gekostet, ärgert er sich. Oder der Bergfried der Marksburg: 39 Meter hoch, der untere Teil stammt von 1239, der obere von 1460. 800.000 Euro allein fürdie statische Sicherung! Für das Gerüst, das Verputzen und das eingezogene Stahlkorsett. Und so was komme öfter vor! Für den Burgenerhalt in Deutschland werden 150 Millionen Euro jährlich ausgegeben. Viel zu wenig, findet Wagner.
"Wenn ich dran denke, dass die Deutsche Oper in Berlin ist mit 350 Millionen saniert worden, dann relativiert sich diese Zahl für ein ganzes Land, für die ganze BRD, da relativieren sich 150 Millionen ganz erheblich lacht."
1890 waren fast alle Burgen, die heute das Rheintal säumen und der Landschaft das romantische Gepräge geben, Ruinen. Als sie wiederaufgebaut wurden, hat niemand den Denkmalschutz gefragt, denn es gab ihn nicht. Die Bauherren ließen ihrem Mittelalter-Spleen freien Lauf, und so entsteht die Irritation, dass die nie zerstörte Marksburg wie eine Fantasieburg aus dem 19. Jahrhundert aussieht und andere um Jahrhunderte älter wirken und es doch nicht sind. Spielte diese Irritation eine Rolle, als 1988 eine japanische Delegation an die Deutsche Burgenvereinigung herantrat mit dem Wunsch, die Marksburg abzutragen und in Japan wieder aufzubauen?
"Da wir die Gesellschaft zur Erhaltung deutscher Burgen und nicht zum Abbau deutscher Burgen sind, haben wir uns natürlich geweigert, die Marksburg herzugeben, haben aber die Erlaubnis gegeben, sie zu kopieren. Und sie steht also tatsächlich im Maßstab 1:1 dort, auf einem kleinen Hügel am Pazifischen Ozean, strange anzusehen vor türkisblauem Wasser, allerdings nur die Kernburg, Zwingermauern und Tore sind nicht dort, nur die Kernburg."
Inszeniertes Idyll während der Nazizeit
Mit der Fähre auf Höhe Kaub zurück ans linksrheinische Ufer. Die Grafen von Katzenelnbogen waren auch hier, linksrheinisch, aktiv. Ab 1245 ließ man ebenfalls als Zollburg Rheinfels bauen, eine lang auf den Felsen hingestreckte Burganlage mit vielfachen Um- und Zubauten; mit Minen- und Wehrgängen, Wallgraben, mehreren Höfen und einem Luxushotel. Im Vorhof zur Burg, hoch über St. Goar, parken unter einem Baldachin die entsprechenden Limousinen dazu. Der junge Schweizer Historiker Fabian Link, der in Frankfurt lehrt, nennt das, was er hier auf Burg Rheinfels sieht "Verrummelung".
"Allerdings ist die ´Verrummelung` der Burgen, das war schon ein Thema in den 20er- und 30er-Jahren. Im Nationalsozialismus, gab's von der KdF, also von Robert Lay inszeniert oder organisiert, gabs Burgenfahren für Arbeiter z.B. mit Schiffen, da steuerte man jede Burg an und hatte vielleicht ´ne halbe Stunde Zeit und wurde dann durch die Burg geschleust, hat viel Dreck hinterlassen und auch das war etwas, wo sich ältere Burgenforscher nicht identifizieren konnten: Repräsentation ist gut, Förderung durch Nationalsozialisten ist auch perfekt! Aber die Verrummelung im Sinne eines Massenstaates, das war etwas, wo die Leute nicht kongruent gingen."
Link hat über Burgen zu Zeiten des Nationalsozialismus geforscht. Burgen wurden als Kulisse eines künstlichen Idylls inszeniert, sagt er.
"Es gibt leider keine Quellen über die Verwendungszwecke der Burg Rheinfels, was hier genau passiert ist, ist ganz schwer ausfindig zu machen, weil vieles einfach nicht mehr da ist. Entweder durch den Bombenabwurf der Alliierten zerstört oder selber zerstört. Aber hier könnte man sich natürlich sehr gut vorstellen – das erinnert jetzt wieder an die Wewelsburg von Heinrich Himmler, dass hier tatsächlich kultische Feiern abgehalten wurden."
Burgen als betont offen stehender Erholungsort für die Bevölkerung und als abgeschotteter Rückzugsort für die SS. Die seltsame Ambivalenz, die Burgen im Dritten Reich ausmachte, blieb bis 1945 ungelöst, sagt der Historiker. Unabhängig davon war die wieder aufgebaute Burg stets auch ein martialisches Symbol.
"Nationalsozialismus ist nicht denkbar ohne das Moment des Krieges, des Kampfes, des sich Bewährens, dass die Nationalsozialisten sich bewähren müssen im Kampf! Und auch da waren Burgen als Symbol genutzt eines Abwehrwillens, eines Kampfwillens, sich nicht zu ergeben."
Eine imaginierte Erinnerungslandschaft nennt es Fabian Link. Die nach 1945 mehr oder weniger bruchlos weitergeführt wurde, indem man sie einfach semantisch umfunktionierte und die NS-Ideologie aus der Erinnerung tilgte: der Fluss, das alte Gemäuer, der Wein, das Mittelalter, wunderschöne Requisiten für ein neues Kapitel Rheinromantik.
Burg Stahleck – von Lager zur Jugendherberge
Die Requisiten haben sich bis heute nicht geändert. Und sie funktionieren, jedenfalls auf Burg Stahleck, auf Höhe Flusskilometer 543 gelegen, genau in der Mitte des Welterbe-Gebiets, in Bacharach. Seit 1925 ist Burg Stahleck als Jugendherberge hergerichtet, eine der ältesten Deutschlands. 168 Betten, 46.000 Übernachtungen. Ohne Vorbestellung läuft hier kaum etwas.
"Wir haben die Gäste, die Null Ahnung haben, die hier buchen und noch nicht mal wissen, dass sie in 'ner Burg gebucht haben. Und dann haben wir die geschichtlich extrem interessierten Gäste, die alles wissen. Und die sich das dann angucken wollen. Und wir haben, das hab ich erst vor ein paar Tagen gehabt, den 85-jährigen Herrn, der 1944 hier war: Es war hier Straflager während der Kriegszeiten, und er, der als Gefangener und Jugendlicher hier war, wollte sich das nochmal angucken wollte, weil er die 70 Jahre hier nicht war."
Sagt Michael Kumpfe, der umtriebige Leiter der Jugendherberge, der nur selten in seinem kleinem Büro hinter der Rezeption zu finden ist, weil er immer irgendwo in der Burg zu tun hat. Zusammen mit seiner Frau, die die Spezialprogramme von Ostern bis Silvester organisiert, führt er den Herbergs- und Restaurantbetrieb seit 2007. Mit viel Herzblut. Die Gäste haben Fragen zu allem Möglichen, und daher muss Kumpfe alles wissen. Auch dass die Monumentalität von Burg Stahleck den Nazis so gut gefiel, dass sie den Bergfried auf eine Höhe von 36 Metern aufmauern wollten, was der Kriegsbeginn allerdings verhinderte. Während des Krieges war Stahleck Lazarett, Wehrertüchtigungslager und Umerziehungslager speziell für luxemburgische Rekruten, die hier für mangelnde Linientreue bestraft wurden.
"Jetzt sind die natürlich alle drin. Man hört das im Hintergrund, die haben ein Schulprogramm oder Klassenprogramm, die Schulklasse hat mittelalterliches Burgleben die ´ham Theaterstück, oben bei uns im Rittersaal."
Burg Stahleck bei Bacharach am Rhein
Burg Stahleck bei Bacharach am Rhein. Die historische Höhenburg im Mittelrheintal ist seit 1925 eine Jugendherberge. © picture alliance / dpa / Foto: Arne Dedert
Michael Kumpfe tritt in den Innenhof der Burg, wo immer Leben ist: Kinder spielen, die Eltern schauen versonnen auf den Panoramablick, der neun Kilometer weit reicht, bis der Rhein hinter der nächsten Kurve verschwindet. 40 Prozent der Gäste sind Schulklassen, 40 Prozent machen hier Familienurlaub. Im Rittersaal wird standesamtlich geheiratet und gefeiert.
"Die Logistik ist extrem schwierig, die Zufahrtstraße ist 200 Meter lang, wo hier alles reingekarrt wird mit Trolleys, der LKW fährt nicht vor die Tür ins Lager, sondern es wird hier über den Hof, die Rampe rauf, dann mit ´nem Fahrstuhl ´nen Stockwerk tiefer, abladen ins Kellerlager, also, wahnsinnsschwierig, logistisch gesehen. Wir haben hier Naturschiefer, unebene Platten. Ich bin Leiter und Herbergspapa und gleichzeitig Hausmeister."
Die Schattenseiten im Rheintal
Diesen Elan hat am Mittelrhein nicht jeder. Jahrzehntelang, zu lange, haben sich Hoteliers, Gastronomen und Touristiker auf das Konzept Rheinromantik verlassen. Jetzt wird es immer schwerer, jüngere Gäste an den Rhein zu locken. Zerklüftetes Burgengestein, ob aus dem 12. oder 19. Jahrhundert, sagenumwoben oder nicht, reicht vielen nicht mehr. Außerdem sind ab November die allermeisten Beherbergungsbetriebe geschlossen; ein geöffnetes Gasthaus zu finden ist Glückssache. Das Unesco-Welterbe-Gebiet fällt dann in den Winterschlaf, aus dem es erst zu Ostern wieder erwacht. Die Schattenseiten des Rheintals – Bahnlärm, Bevölkerungsschwund und die Wunde in der Landschaft durch den großen Steinbruch – sind immer präsent.
In den Hartsteinwerken Sooneck wird mindestens noch bis Mitte 2019 sogenannte Grauwacke aus dem Berg gebaggert. Über ein langes Förderband rumpeln die Steinblöcke vom Berg auf bereit-stehende Frachtschiffe; sie werden etwa im niederländischen Küstenschutz verbaut. Die Unesco-Kommission hatte offenbar nichts gegen die Wunde einzuwenden, als sie die Region in ihre Welterbe-Liste aufnahm. Und auch der Leiter der Generaldirektion Kulturelles Erbe, Thomas Metz, sieht den Eingriff in die Landschaft nicht als ein großes Problem an.
"Man soll einmal deutlich machen, dass das Thema Steinindustrie und Steinabbau immer ein Thema dieses Tals gewesen ist. Und es immer auch die Flussstraße war, die dazu geführt hat, dass man die Steine irgendwohin transportieren konnte. Es gab ´nen sehr intensiven und regen Schieferbergbau auch im Tal, also es gehört mit zum Tal."
Und vielleicht es ja wirklich für kaum einen Touristen, von denen diese Region lebt, ein Problem, dass die Wunde immer größer wird. Man kann sie ausblenden. Vielleicht braucht es zur Reinerhaltung der Rheinromantik noch nicht einmal Burgen – solange der Mythos lebt.
"Das Thema Mittelalter ist eine Zeitphase, die die Menschen begeistert. Daher hat es ´ne ganze Menge mit Emotion zu tun. Aber wenn man das Mittelrheintal sich ansieht und das ganze damit verbundene Emotionale, dann ist der Ort, von dem man am meisten spricht, die Loreley. Und da ist nun mal keine Burg!"
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