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Olympia-Bewerbung
Die skeptischen Bürger Bostons

Boston gilt als Favorit. Doch die Opposition gegen die Olympischen Spiele 2024 ist auch in der US-Stadt laut und stark und hat einen ersten Erfolg errungen: Ende 2016 wird eine Volksabstimmung über die Bewerbung entscheiden.

Von Jürgen Kalwa | 05.04.2015
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    Die Skyline von Boston. (picture alliance/ZB/Nico Esch)
    Das alte Foto ist schon etwas vergilbt. Aber man kann noch gut entziffern, was auf den Trikots der drei Eishockeyspieler steht, die sich in voller Montur vor der Kamera aufgebaut haben. "Boston Olympics". Haben die Olympischen Spiele schon mal in Boston stattgefunden? Nein. Das wäre, wenn, im Sommer 2024 das allererste Mal. Und ohne Eishockey. Die Olympics von einst waren eine Zweitliga-Mannschaft, die Anfang der fünfziger Jahre ihr kurzes Leben aushauchte. Der Betrieb des Teams kostete weit mehr, als er einspielte.
    Weshalb diese "Boston Olympics" durchaus als Sinnbild für die Gegenwart taugen. Zumindest seit Januar, seit das amerikanische NOK die Metropole an der Ostküste offiziell ins Rennen schickte.
    CBS Nachrichten: "Game on. US Olympic Committee choses Boston as the American boid to host the summer 2024 Olympics."
    Wirtschaftswissenschaftler Teil der Opposition
    Es dauerte jedoch nicht lange, bis sich in der Stadt und der Region eine ernstzunehmende Opposition besorgter Bürger herauskristallisiert hatte. "No Boston Olympics" nennen sie sich und bekommen Unterstützung unter anderem von Wirtschaftswissenschaftlern wie Professor Andrew Zimbalist –einer der profiliertesten Akademiker in diesem Themenbereich, Autor des vor wenigen Monaten erschienenen Buches "Circus Maximus", das mit einem Mythos abrechnet – den ertragreichen Sportgroßveranstaltungen.
    "Man hört immer wieder, der Tourismus wird gefördert, der Handel wächst, es wird mehr Geld aus dem Ausland investiert. Die akademische Literatur kommt zu dem Ergebnis, dass dies keineswegs der Fall ist. Wir können keine signifikanten Erträge ermitteln."
    Das sagte Zimbalist neulich auf einer Veranstaltung von "No Olympics Boston", nachdem er die Quintessenz bereits mit einem Meinungsbeitrag für das wirtschaftsnahe "Wall Street Journal" formuliert hatte.
    Sachverstand statt Emotionen, Argumente statt hitzköpfiger Protest – das trifft gerade in Boston auf offene Ohren. Eine Stadt mit mehreren Millionen Einwohnern und einem Speckgürtel aus wohlhabenden kleinen Städten. Eine Region mit mehr als hundert privaten und öffentlichen Hochschulen – Heimat reicher Investoren und Sitz innovativer Firmen etwa im Biotech-Sektor. Gewiss, auch Bostoner verspüren Lokalpatriotismus. Seit Generationen pflegt man hier – kein Witz – das Selbstbild vom "hub of the universe" - dem Dreh- und Angelpunkt der Welt. Weshalb man den Menschen hier mit Thomas Bachs Olympischen Spielen kaum schmeicheln kann.
    Politik hat Mobilisierung versäumt
    "Im Moment", sagt Ed Hula, einer der besten Kenner der Verhältnisse rund um die Olympische Bewegung und Herausgeber des Newsletters "Around the Rings", "gibt es nur einen Fürsprecher, Bürgermeister Marty Walsh. Jeder hat Fragen. Jeder macht sich Sorgen, selbst die, die gar nicht total gegen die Bewerbung sind. Es fehlte von Anfang an die Unterstützung aus der Politik. Die hätte die Öffentlichkeit mobilisieren können."
    Die Opposition hingegen besteht aus bestens vernetzten, jungen, energiegeladenen Männern und Frauen, die sich in der kommunalen und bundesstaatlichen Politikerszene auskennen und die ruhig und entspannt immer wieder auf ein simples demokratisches Prinzip pochen. Der Steuerzahler habe ein Wort mitzureden, wenn er am Ende garantieren soll, dass das Milliardenprojekt auch tatsächlich stattfindet. Jemand wie Chris Dempsey, einer der drei Organisatoren von "No Boston Olympics". Ein Mann von 32 Jahren.
    "Unsere politische Führung sollte sich auf die richtigen Prioritäten konzentrieren. Dazu gehören die Olympischen Spiele aus unserer Sicht nicht. Wir müssen uns um unser Bildungswesen, unser Gesundheitssystem, kümmern. Wir brauchen kein Stadion, keine Schwimmhalle und kein Velodrom."
    Angesichts solch beharrlich vorgetragener Bedenken, die in den Medien viel Widerhall finden, und schlechter Umfragewerte, blieb dem Bewerbungskomitee nicht viel übrig, als einem Referendum zuzustimmen. Nun dürfen und sollen die Wähler des gesamten Bundesstaats Massachusetts entscheiden. Nicht ein exklusiver Kreis von Unternehmern, Funktionären und Politikern.
    Mitsprachemöglichkeit signalisieren
    Der angepeilte Termin: November 2016. Knapp ein Jahr, ehe der IOC Kongress in Lima den Zuschlag erteilt. Richard Davey, der Geschäftsführer des Bewerbungskomitees, sagt, man werde die Zeit nutzen und mit öffentlichen Veranstaltungen signalisieren, dass die Menschen in der Region durchaus eine Mitsprachemöglichkeit haben. Arbeitsziel: das Bewerbungskonzept weiter zu verbessern. Denn schließlich hat man Konkurrenz.
    "Hamburg und die anderen Städte werden dafür sorgen, dass wir härter arbeiten und schlauer und innovativer sein werden. Deshalb wird das IOC wird von Boston eine noch bessere Bewerbung bekommen."
    Vorausgesetzt, die Wähler wollen das auch.