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Hedgefondmanager befürchtet Komplett-Insolvenz der US-Banken

Der US-Hedgefondmanager George Soros begrüßt die Veröffentlichung der Ergebnisse des sogenannten Stress-Tests für US-Großbanken. "Es ist wichtig, dies transparent zu machen", so Soros. Allerdings sage der Test nichts über die gegenwärtige Verfassung der Banken aus. Soros befürchtet, dass das gesamte Bankensystem insolvent ist.

George Soros im Gespräch mit Sabine Adler | 08.05.2009
    Christoph Heinemann: Wir wissen nicht, ob Franz Müntefering an George Soros gedacht hat, als er im April 2005 sagte:

    Franz Müntefering: "Das ist wie ein Heuschreckenschwarm, der über die Welt zieht und die Länder und die Äcker leer frisst und eigentlich sich keine Gedanken darüber macht, wie es weitergehen kann."

    Heinemann: SPD-Chef Franz Müntefering, den Sie übrigens gegen 7:15 Uhr hier im Deutschlandfunk hören können.

    George Soros' Vermögen wird auf neun Milliarden Dollar geschätzt, die er sich als Manager eines Hedgefonds erworben hat; berühmt, berüchtigt durch seine Währungsspekulationen, die das britische Pfund ins Trudeln brachten. Soros hat aber nicht nur genommen; er gibt auch jährlich rund 500 Millionen Dollar an wohltätige Stiftungen. Er gilt als Kritiker des Finanzsystems, das er zugleich selbst gut zu nutzen wusste.

    Unsere Kollegin Sabine Adler hat George Soros in Berlin getroffen, wo er sich auf Einladung des European Council on Foreign Relations und der Bertelsmann Stiftung aufhielt.

    Sabine Adler: Fühlen Sie als Banker, der Teil des Systems ist, das die Krise ausgelöst hat, so etwas wie eine Mitschuld daran, dass um uns herum Unternehmen sterben, Millionen ihre Arbeit, ihr Vermögen verlieren? Sind Sie mit schuld?

    George Soros: Zuallererst einmal bin ich kein Banker. Ich bin Hedgefondmanager. Ich persönlich habe keinerlei Schuldgefühle, denn ich habe mich immer an die Regeln gehalten. Außerdem habe ich den Kollaps dieses Systems vorhergesagt. Ich habe es die ganze Zeit kritisiert, weil es von völlig falschen Prämissen ausgeht.

    Adler: Fürchten Sie sich mitunter, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, wo doch in Frankreich zum Beispiel Manager gekidnappt wurden?

    Soros: Manchmal fürchte ich mich durchaus, denn wenn ich mich dem aussetzen würde, würde das nicht gut für mich ausgehen. Andererseits ist der Ärger über das Finanzsystem nur zu verständlich.

    Adler: Die G20 haben bei ihrem Treffen in London vor einem Monat beschlossen, dass künftig kein Produkt, kein Akteur, kein Ort des Finanzmarktes mehr ohne Kontrolle bleiben darf. Ist das die richtige Herangehensweise?

    Soros: Die verbreitete Sichtweise ist, dass der Markt sich selbst ausbalanciert. Aber in Wirklichkeit ist das System von seinem eigenen Gewicht erdrückt worden, nicht von irgendeiner Kraft von außerhalb. Das System selbst ist fehlerhaft und der Fehler bestand darin, dass sich der Finanzmarkt eben nicht selbst reguliert und kontrolliert.

    Ich bin der Meinung, dass die Finanzmärkte anfällig sind für solche Blasen, solche Blasen geradezu produzieren. Es ist eben keine Ausnahmeerscheinung. Und diejenigen, die den Markt hätten regulieren müssen, taten dies nicht. Seit den 1980er-Jahren unter Reagan in den USA und Thatcher in Großbritannien entstand aus diesem Marktfundamentalismus und seiner Gier die Globalisierung.

    Die Idee der Globalisierung der Finanzmärkte wiederum bestand darin, dass sich das Kapital jeder Regulierung und Besteuerung entziehen konnte, weil es quasi um die Welt flüchten konnte. Die Regulatoren heute müssen den Markt gewissermaßen manipulieren, um ihn zu stabilisieren, denn er bleibt nicht aus sich heraus stabil.

    Adler: Die US-Administration will heute die Ergebnisse eines sogenannten Stress-Tests bekanntgeben, dem sich die Banken in den letzten drei Monaten unterziehen mussten, damit die Öffentlichkeit erfährt, welche Bank immer noch mehr Geld braucht und welche nicht. Ist es richtig, dass das so öffentlich geschieht?

    Soros: Es ist wichtig, das so transparent zu machen, und ich bin sehr gespannt, was dabei herauskommt. Die Regierung beabsichtigt damit eine Beruhigung. Der Stress-Test soll herausfinden, wie die Banken heute ihren Finanzbedarf künftig einschätzen, was dann ja nicht zwangsläufig eintreten muss. Er sagt allerdings nichts Konkretes über ihre gegenwärtige Verfassung aus. Ich bin sehr gespannt, wie das ausgeht.

    Adler: Was wir schon jetzt wissen, ist, dass zehn von 19 US-Banken mehr Geld benötigen. Was sagt das über den Zustand amerikanischer Banken aus?

    Soros: Die Angst ist - und ich teile diese Angst -, dass das gesamte Bankensystem insolvent ist. Eine Reihe von Banken muss rekapitalisiert oder aber liquidiert werden. Die Immobilien werden mindestens 30 Prozent an Wert verlieren. Die Schulden sind aber für Immobilien aufgenommen worden, die viel mehr wert waren. Was mit den Wohnimmobilien anfing, geht jetzt bei den Gewerbeimmobilien weiter.

    Adler: Sehen Sie Licht am Ende des Tunnels?

    Soros: Aber ja. Wir gehen an die Lösung eines Problems, das sich im Laufe von 25 Jahren aufgetürmt hat. Ich bin ein großer Bewunderer von Präsident Obama und hoffe, dass er uns aus diesen Schwierigkeiten herausführt. Aber die Realität sieht gegenwärtig in Amerika düster aus.

    Adler: Wie schätzen Sie die ersten hundert Tage von Präsident Obama ein? Geht er in die richtige Richtung?

    Soros: Ich denke ja. Außer, was die Kapitalisierung der Banken angeht, da würde ich gern abwarten, wie sich das entwickelt. In der Außenpolitik unternimmt er ausschließlich richtige Schritte.

    Die Probleme zum Beispiel in Pakistan sind riesig, aber die Energie, sie anzupacken, ist vorhanden. Und was mir besonders gefällt, ist, dass er sich seine positive Agenda nicht von der Finanzkrise kaputt machen lässt, was zum Beispiel das Gesundheitswesen, die Bildung oder den Klimawandel betrifft.

    Adler: Ich hatte Sie gefragt, ob Sie sich wegen der Krise mitschuldig fühlen. Ist Moral überhaupt eine Kategorie in der Wirtschaftswelt, oder ist das naives Denken?

    Soros: Die Finanzwelt hat eine Verantwortung. Sie ist schuld, weil sie diese Krise entstehen ließ. Die Banker hielten sich nicht an die Regeln, sie schrieben sie und änderten sie. Ich sehe meine Verantwortung und die Möglichkeit, den Markt zu beeinflussen, darin, vor solchen Exzessen zu warnen.

    Adler: Haben Sie Geld verloren in der Krise?

    Soros: Wir haben kein Geld verloren, allerdings aber auch nur wenig verdient. Im vergangenen Jahr waren es acht Prozent, das Jahr zuvor 28.

    Adler: Sind Sie auf irgendetwas in Ihrem Leben besonders stolz?

    Soros: Ich war ein erfolgreicher Geschäftsmann, ein erfolgreicher Philanthrop, habe allein nach Russland eine Milliarde Dollar gegeben. Was mich aber am meisten interessierte und mich in meinem Leben leitete, war meine Philosophie. Die anderen zu erklären, habe ich nicht besonders erfolgreich gemacht, weshalb mir die Anerkennung als Philosoph verwehrt blieb.

    Heinemann: Der Hedgefondmanager George Soros im Gespräch mit unserer Kollegin Sabine Adler.