Uraufführung an der Berliner Schaubühne

Wenn der Mensch zum Affen wird

07:40 Minuten
In einer Bildmontage ist die Rückentwicklung eines Menschen zum Affen in fünf Schritten zu sehen. Zu Anfang geht ein mittelalter Mann mit kurzen grauen Haaren, rotem Rollkragenpulli und Anzug aufrecht, im zweiten Schritt trägt er kein Sakko mehr, dann nur noch ein schwarzes Unterhemd. Sein Rücken krümmt sich und im vierten Schritt hat er bereits einen nackten Oberkörper und lange Haare. Im letzten Bild geht er auf Händen und Füßen und blickt aggressiv-animalisch in die Kamera.
Im Stück "Die Affen" entwickelt sich die Hauptfigur Rupp evolutionär zurück und wird wieder zum Tier. © Arno Declair
Marius von Mayenburg im Gespräch mit Ute Welty  · 11.03.2020
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Trotz der Berliner Theaterschließungen feiert die dortige Schaubühne heute eine Premiere: Das Stück "Die Affen" spielt mit der Frage, was passiert, wenn die Evolution umkehrbar wäre.
Ute Welty: Das Festival internationale neue Dramatik (FIND) in Berlin ist abgesagt. Es hätte heute beginnen sollen mit der Uraufführung von "Die Affen". Die allerdings findet statt, und darüber dürfte sich Autor und Regisseur Marius von Mayenburg besonders freuen. Er erzählt die Geschichte von Rupp, der sich mehr und mehr in einen Affen verwandelt, und es kommt bei seiner Familie und dem Umfeld eher so semi an. Aber nach und nach tun es ihm andere gleich, und das hat Gründe, sagt Marius von Mayenburg.
Marius von Mayenburg: Am Anfang steht die Frustration über das Verhalten des Menschen auf der Erde, seinen Umgang mit der Umwelt, dass er sich selbst die Lebensgrundlage zerstört, die Frustration darüber mündet in eine sehr generelle Absage an die Evolution und den Wunsch, sich zurück zu entwickeln, zu sagen, wir gehen zurück auf eine Stufe, wo der Mensch diesen Schritt gegen die Natur noch nicht eingeleitet hat.
Es ist eine Sehnsucht nach einem Einklang mit der Natur. Wie das technisch, biologisch, zoologisch geht, lasse ich offen, im Theater können wir ja zaubern, und dieser Mensch entwickelt sich zurück. Und er ist tatsächlich dann eben auch der erste einer Reihe von Menschen aus seinem Umfeld, die den gleichen Weg gehen, aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Welty: Apropos zaubern, über einen überzeugenden Affen zu geben, braucht es ja mehr als ein bisschen Grunzen und ein Gorilla-Plüschkostüm aus dem Karnevalsbedarf. Was haben Sie alles unternommen, um so etwas wie Authentizität herzustellen?

Schauspieler mit Ganzkörperperücken

von Mayenburg: Das erste, was jetzt das Äußerliche angeht, was mir aufgefallen ist, dass das Problem mit den meisten Affenkostümen ist, dass das im Grunde wie so ein Pyjama ist, wo man reinsteigt, und letzten Endes merkt man immer, dass die Haare nicht aus der Haut kommen, sondern dass das eben wie eine Jacke ist, die man drüber wirft. Ich wollte also ein Kostüm, wo die Haare tatsächlich wie aus dem Körper kommen, und letzten Endes tragen die Schauspieler so was wie Ganzkörperperücken. Unsere Maskenabteilung hat die ganzen letzten Wochen und Monate daran gearbeitet, das zu knüpfen. Da wird tatsächlich jedes Haar einzeln in eine ganz dünne Gaze reingeknüpft, reingeknotet und festgezogen.
Zu sehen ist ein Schwarz/Weiß-Bild: Der Protagonist Rupp schaut nachdenklich in den Spiegel. Über seine Brust sind lange Haare aufgeklebt, eine Hand steckt eine spitzere Form auf sein Ohr.
Die Ganzkörperperücken helfen bei der Verwandlung zum Affen und sind mehr als ein Kostüm. © Arno Declair
Welty: Juckt das nicht furchtbar?
von Mayenburg: Das juckt am Anfang ein bisschen, wenn über dieses Affenkostüm noch Dinge drüber getragen werden. Später hat es interessanterweise auch was Befreiendes. Es ist so was, was man, wenn man sich an Karneval verkleidet, offenbar auch erlebt, nämlich, dass man durch die Verkleidung eine gewisse Freiheit bekommt. Und das war da auch. Das war so der erste Schritt, das ist eben so diese äußerliche Verwandlung, aber wir haben uns eben auch sehr stark damit beschäftigt, wie Affen wohl denken und wie sie sich bewegen und wie das miteinander zu tun hat. Wir haben uns beraten lassen, haben Spezialisten befragt, und letzten Endes dann doch gedacht, man muss den Affen dann bei allem intellektuellen Wissen auch einfach spielen und seine eigene Fantasie anzapfen. Und damit haben wir uns dann jetzt tatsächlich relativ intensiv beschäftigt.
Welty: Das hört sich auch nach einer sportlichen körperlichen Herausforderung an.
von Mayenburg: Das ist extrem anstrengend. Ich habe das teilweise selber auch versucht, mitzumachen, und zum Glück haben wir da relativ fitte Darsteller am Start. Das ist schon sehr anstrengend. Der menschliche Körper ist für diese Art von Bewegung, dem Laufen auf den Händen eigentlich nicht gemacht.
Welty: Wie anstrengend war es für Sie, das eigene Stück zu inszenieren? Haben Sie sich manchmal den mehr oder weniger kritischen Blick von außen gewünscht?
von Mayenburg: Ich habe ein sehr waches Team. Ich mache das ja nicht alleine, sondern einmal habe ich mit Sébastien Dupouey einen Bühnenbildner und Videokünstler, mit dem ich schon sehr lange zusammenarbeite, der für mich auch wie ein Dramaturg ist. Ich habe meine Dramaturgin, Maja Zade, ich habe einen ganz großartigen Musiker, den Oliver Urbanski, und ich habe auch die Schauspieler, die mich schon lange kennen. Das sind alles Leute, mit denen ich nicht das erste Mal gearbeitet habe, und man entwickelt dann gemeinsam eine Sprache und eine Welt für dieses Stück.

Ernste Dinge mit Humor serviert

Welty: Sie sagen, das Stück ist als Komödie angelegt. Wie oft bleibt dem Publikum das Lachen im Hals stecken?
von Mayenburg: Komödie ist so eine Bezeichnung, die ist schwierig. Es hat einen Humor, das Stück, und deshalb kann man es als Komödie bezeichnen. Tschechow bezeichnet seine Stücke auch als Komödien, obwohl man sie ja meistens relativ melancholisch spielt. Die Komödie liegt einfach in der Grundidee, dass ein Mensch zum Affen wird, in dem Grotesken dieser Idee. Aber es geht letztlich doch um ernste Dinge. Ich mag es, ernste Dinge mit Humor zu servieren, weil ich auch selber versuche, die Welt so wahrzunehmen. Ich hoffe, dass sich das beim Zuschauer auch ähnlich einstellt.
Welty: Welches Gesellschaftsbild zeichnen Sie mit Ihren Affen auf der Bühne? So ein Ausdruck wie "wie die Tiere", oder wenn Menschen sich wie Tiere benehmen, das ist eher negativ besetzt.
von Mayenburg: Die Gesellschaft spielt insofern eine Rolle, als unsere Gesellschaft ja über ein Wirtschaftssystem funktioniert, das auf Wachstum ausgelegt ist, und wir erfahren gerade, dass dieses Wachstum halt nicht unendlich erweiterbar ist. Das stellt uns vor Herausforderungen. Und insofern spielt die Gesellschaft eine Rolle in dem Stück, so etwas wie der Charakter unserer Gesellschaft, der ein gefräßiger Charakter ist. Aber mich interessiert auch die Frage, ob der Affe tatsächlich das bessere Modell wäre.
Natürlich lebt der Affe im Einklang mit der Natur. Er wird niemals seine eigene Lebensgrundlage vernichten, er wird niemals das Leben auf der Welt unmöglich machen. Aber wenn man anfängt, die Affen zu idealisieren und zu denken, das wären die besseren Menschen, dann ist man auch auf dem Holzweg. Also gerade Schimpansen töten sich gegenseitig, fressen sich sogar gegenseitig, sie rotten auch andere Arten aus, sie führen Kriege. Sie sind uns da in vielem sehr ähnlich, sodass für mich bei der Recherche dann irgendwann mal auch die Frage aufgetaucht ist: Ist es vielleicht sogar so, dass wir noch nicht genug Mensch sind und noch zu viel Affenanteil in uns haben?
Welty: Das heißt, Sie sind nicht unbedingt dafür, dass sich Evolution umdreht und dass der Rückwärtsgang eingeschlagen wird.

Sehnsucht nach radikalen Lösungen

von Mayenburg: Nein. Das ist natürlich eine sehr zugespitzte Vorstellung. Es ist auch ein bisschen eine Reaktion darauf, dass ich das Gefühl habe, dass es eben eine Sehnsucht nach radikalen Lösungen gibt, sei es, dass man, wie Roy Scranton mal in der "New York Times" geschrieben hat, sagt, wir sollten alle Selbstmord begehen. Oder Verena Brunschweiger, die sagt, wir sollten keine Kinder mehr in die Welt setzen. Das ist so die Sehnsucht nach einer großen Lösung, und das ist natürlich immer problematisch. Um eine Diskussion über diese Themen geht es mir.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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