Dienstag, 30. April 2024

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Kritik an Justizreform
"Es geht um die Wahrung der Demokratie in Polen"

Angesichts der umstrittenen Justizreform in Polen hat der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag gefordert, auf der EU-Ebene den Druck zu erhöhen. Was in Polen passiere, sei in der Geschichte der EU einmalig. "Wenn ein Verfassungsgericht annähernd gleichgeschaltet wird, ist das nicht hinzunehmen", sagte Gunther Krichbaum (CDU) im DLF.

Gunther Krichbaum im Gespräch mit Doris Simon | 22.12.2016
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    Es gehe nicht nur um die Verfassungsrechte von Polen, sondern auch um die Rechte von EU-Bürgern, sagte Gunther Krichbaum (CDU). (Deutschlandradio)
    Das Artikel-7-Verfahren im EU-Vertrag, nachdem Polen die Stimmrechte im Europäischen Rat entzogen werden könnten, gelte als "Atombombe", so Krichbaum. Zudem wäre dafür Einstimmigkeit notwendig, die nicht gegeben sei.
    Dennoch forderte Krichbaum, Polen dazu zu zwingen, die Rechte einzuhalten. Es gehe nicht nur um die Verfassungsrechte von Polen, sondern auch um die Rechte von EU-Bürgern. Deshalb handle sich dabei auch nicht um eine innere Einmischung in Polen
    Bei den von der Regierungspartei PiS vorgesehenen Gesetzesänderungen gehe es nicht allein um die Verfassung, betonte Krichbaum. Sie richteten sich gegen die Demokratie. "Die Demokratie braucht echte Gewaltenteilung und wenn ein Verfassungsgericht annähernd gleichgeschaltet wird, ist das von unserer Seite nicht hinzunehmen." Das gelte auch, was die Einschränkung der Pressefreiheit betrifft. Was sich derzeit in Polen abspiele, sei in Europa einmalig.
    Druck aufbauen durch Finanzrahmen
    Als mögliche Maßnahme nannte Krichbaum die Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen. Innerhalb dessen sollten Schwerpunkte gesetzt werden, was die Demokratisierung in den Mitgliedsstaaten betrifft, so der CDU-Politiker. "Dann wird eben mal die ein oder andere Straße in Polen, der Slowakei oder Ungarn nicht gebaut."
    Das Heft des Handelns müsse bei den Institutionen Europas liegen. Deutschland könne zwar über den Hebel des Europäischen Rates Druck machen. Aber "wir sind nicht die Oberlehrer der Nation und schon gar nicht Europas."

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Der Ton der Europäischen Kommission gegenüber der polnischen Regierung wird schärfer. Aber gestern hat sie der PiS-Regierung noch mal eine Frist eingeräumt. Zwei Monate, um die völlige Unabhängigkeit der Justiz in Polen wiederherzustellen.
    Der Streit hat eine Vorgeschichte. Seit einem Jahr baut die regierende PiS den polnischen Rechtsstaat um nach ihren eigenen Vorstellungen, hat Richter abgesetzt und durch ihr genehme Richter ersetzt, mehrfach Urteilssprüche des Verfassungsgerichts ignoriert, sich geweigert, die Urteile auch nur zu veröffentlichen.
    Daran gemessen erscheint die Reaktion der EU-Kommission eher zahm. - Am Telefon ist Gunther Krichbaum. Er ist der Vorsitzende des EU-Ausschusses im Bundestag. Guten Tag.
    Gunther Krichbaum: Schönen guten Morgen.
    Simon: Herr Krichbaum, viele fragen sich, Sanktionen gibt es nicht. Kann die EU nicht mehr, oder will sie nicht mehr gegen Polen?
    Krichbaum: Ich denke, dass die EU-Kommission im Blick hat, dass sie für die endgültige Sanktion, nämlich das Artikel-sieben-Verfahren, wenn es um den Entzug der Stimmrechte für ein Mitgliedsland geht, die Einstimmigkeit braucht. Da müssen auch alle anderen EU-Partner mitmachen und daran würde es im Augenblick natürlich noch fehlen.
    Auf der anderen Seite bezweifele ich persönlich auch, dass die neuerliche Frist jetzt genutzt werden wird. Warum sollte Polen jetzt innerhalb von zwei Monaten das nachholen, was es jetzt das Ganze Jahr über ignoriert hat und nicht getan hat. Da fehlt mir auch ein wenig die Fantasie.
    "Alles daran setzen, den Druck zu erhöhen"
    Simon: Das heißt, die EU-Kommission, wenn ich Sie richtig verstehe, müsste die polnische Regierung eigentlich zwingen, sich an die polnische Verfassung zu halten, aber sie kann es nicht, weil es nur ein einziges Mittel gibt am Ende, was wirklich zieht, nämlich Polen die Stimmrechte im europäischen Rat zu entziehen, und da weiß man jetzt schon, dass zum Beispiel Ungarn nicht mitmacht?
    Krichbaum: Sie haben zunächst recht. Wir müssen in der Tat Polen dazu zwingen, die Rechte einzuhalten, Verfassungsrechte einzuhalten. Denn es geht ja nicht nur um Verfassungsrechte von Polen, sondern die Bürger Polens haben natürlich auch als EU-Bürger Rechte und die muss die Kommission wahren. Deswegen kann man auch nicht davon reden, dass es eine Einmischung in innere Angelegenheiten von Polen wäre, wie das oftmals in Polen behauptet wird, sondern wir müssen in der Tat hier als Europäer auch darauf achten, dass die Bürger ihre Rechte in Polen nicht verlieren, denn es sind Rechte, die sie als EU-Bürger innehaben.
    Auf der anderen Seite müssen wir jetzt natürlich alles daran setzen, den Druck zu erhöhen, weil es geht ja nicht nur um die Verfassung, sondern es geht im Kern um wesentlich mehr. Es geht um die Wahrung der Demokratie, denn die Demokratie braucht echte Gewaltenteilung und wenn ein Verfassungsgericht - es ist zwar ein historisch belegter Begriff - aber annähernd gleichgeschaltet wird, dann ist das natürlich von unserer Seite her nicht hinzunehmen. Genau dasselbe, was die Einschnitte für die Pressefreiheit angeht.
    "Im Kern bleibt nur das Artikel-sieben-Verfahren auf der EU-Ebene"
    Simon: Die Europäische Kommission hat nicht die Instrumente, die sie eigentlich in dem Fall bräuchte, höre ich da heraus. Jetzt sagen Sie, wir müssen alles daran setzen. Wenn die Kommission keine Handhabe hat, die Mitgliedsländer könnten ja Sanktionen verhängen gegen Polen. Sie sind Bundestagsabgeordneter. Nach Ihrer Einschätzung: Wird das passieren?
    Krichbaum: Auch da haben Sie zunächst recht mit Ihrer Frage. Es gibt das Artikel-sieben-Verfahren. Das gilt so ein bisschen als die Atombombe. Und es gibt nichts Richtiges dazwischen. Da tut sich dann die Europäische Kommission schwer. Das ist auch der Initiative von Frans Timmermans, dem ersten Vizepräsidenten der Europäischen Kommission zu verdanken, weil er noch in seiner Rolle als damaliger Außenminister der Niederlande diese Rechtsstaatsinitiative nach vorne getrieben hat.
    Die Möglichkeiten sind heute etwas höher als damals, aber wie gesagt: In Kern bleibt tatsächlich nur das Artikel-sieben-Verfahren auf der EU-Ebene.
    Auf der anderen Seite fragen Sie ja auch, welchen Druck können wir machen. Da gilt der Blick nach vorne. Wir werden jetzt, wahrscheinlich vielleicht sogar schon nächstes Jahr durch den Austritt von Großbritannien bedingt, den sogenannten mehrjährigen Finanzrahmen verhandeln. Da wird es darum gehen, welche Schwerpunkte setzen wir im Haushalt. Und da kann man sehr wohl mal überlegen, ob wir tatsächlich eher die Mittel aufwenden für Demokratisierungs-, für Rechtsstaatsprogramme in den EU-Mitgliedsstaaten, und dann wird eben mal die eine oder andere Straße in Polen, der Slowakei oder Ungarn nicht gebaut.
    "Wir sind nicht die Oberlehrer der Nation und schon gar nicht in Europa"
    Simon: Sie sagen, wir, meinen damit aber die europäische Ebene. Noch mal zurück: Könnte nicht Deutschland auch von sich aus sagen, das ist so eklatant, wir machen jetzt mal was?
    Krichbaum: Das wäre eher untunlich, denn die Kommission ist die Hüterin der Verträge, wie man immer so schön sagt, und wir sind nicht die Oberlehrer der Nation und schon gar nicht in Europa. Das heißt, das Heft des Handelns muss letztlich bei den Institutionen Europas liegen, denn es geht ja um die europäischen Verträge, die auch letztlich hier zu wahren sind. Natürlich wird Deutschland und kann Deutschland da auch über den Hebel des Rates Druck machen. Der Druck ist auch sicherlich gegeben. Aber letztlich ist es die Europäische Kommission, die hier sozusagen im Regiestuhl sitzen muss.
    Simon: Herr Krichbaum, Sie haben eben vorgeschlagen, dass man natürlich Fördergelder umwidmen kann. Sollte die Europäische Kommission auch das Recht bekommen, Fördergelder länger zurückzuhalten, wenn sich Länder wie jetzt Polen offensichtlich nicht an die Dinge halten, die europäisch beschlossen sind?
    Krichbaum: Sie kann Fördergelder gerade im Bereich der Infrastruktur zurückhalten, wenn es zu Unregelmäßigkeiten kommt.
    Simon: Ja, aber eben bislang nicht, wenn es zu Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit kommt.
    Krichbaum: So ist es. Da sind in der Tat auch der Europäischen Kommission die Hände gebunden, weil es muss innerhalb eines Programms liegen. Auch da könnte man Überlegungen ansetzen der übergeordneten Art, denn wir müssen auch uns in Erinnerung rufen: Das was jetzt hier mit Polen passiert ist einmalig. Das hat es in dieser Form in der Geschichte der Europäischen Union so noch nicht gegeben.
    Und wir hoffen natürlich auch, in den Gesprächen, die stattfinden, unabhängig jetzt von den Möglichkeiten, unabhängig von dem Instrumentenkasten, dass Polen sehr wohl doch noch einlenken kann, weil es zunehmend isoliert wird.
    Auf der anderen Seite: Wenn man sich überlegt, dass jetzt doch eine neue Präsidentin des Verfassungsgerichts ernannt wurde, dann zeigt das doch, in welche Richtung hier Polen marschiert, und es geht darum, einmal mehr das Verfassungsgericht intern umzubauen, nach den Vorstellungen, nach dem Gefallen der PiS-Regierung.
    "Dass der Rechtsstaat geschleift wird, das haben wir in dieser Form noch nicht gehabt"
    Simon: Herr Krichbaum, Sie stellen gerade Polen als einen Sonderfall dar, sagen, das hat es in der Form noch nicht gegeben. Wenn man genau hinschaut: Die Neigung zu Alleingängen auch in diesen rechtsstaatlichen Sachen, da ist Polen ja nicht allein. Die ungarische Regierung testet das auch immer aus. Und wenn wir mal weiter nach vorne in 2017 schauen: Da warten Herr Wilders, Frau Le Pen, Beppe Grillo und die kündigen an, das Gleiche zu tun. Wäre es da nicht sinnvoll, sich jetzt wirklich konkret zu überlegen, dass die EU auch wirklich Instrumente bekommt, die Kommission in diesem Fall, nicht nur gegen Unregelmäßigkeiten, sondern auch finanziell schmerzhaft gegen Rechtsstaatsvergehen vorzugehen?
    Krichbaum: Mit der Einmaligkeit meinte ich die Einleitung des sogenannten Rechtsstaatsprogramms, die Rechtsstaatsinitiative. Wie gesagt, das wurde ja im Januar diesen Jahres zum ersten Mal in dieser Form eingeleitet. Auf der anderen Seite ja, hier müssen wir vorbauen und die Instrumente schaffen, die ja Frans Timmermans mit der Rechtsstaatsinitiative auch auf den Weg gebracht hat. Aber das ist noch nicht ausgereift, das ist noch nicht am Ende der Entwicklungen.
    Und wir haben natürlich auch in anderen Staaten sehr zweifelhafte Entwicklungen.
    Auf der anderen Seite aber auch, wenn man an Ungarn denkt. Diese Vorgehensweise, die wir in Polen haben, die ist in der Tat bislang schon einmalig, weil dort ein Verfassungsgericht geradezu ausgehebelt wird. Dass der Rechtsstaat geschleift wird, das haben wir in dieser Form tatsächlich noch nicht gehabt.
    Simon: Gunther Krichbaum, der Vorsitzende des EU-Ausschusses im Bundestag. Herr Krichbaum, danke für das Interview.
    Krichbaum: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.