Mehr als eine patriotische Jubelfeier

Von Rebecca Partouche · 14.07.2005
Am 14. Juli 1789 stürmten aufgebrachte Pariser die Bastille und gaben damit den Startschuss für die Französische Revolution. Erst 1880 erhob die III. Republik diesen Tag zum Nationalfeiertag, an dem seit nunmehr 125 Jahren patriotisch marschiert, gefeiert, getanzt und die Marseillaise geschmettert wird.
So richtig friedlich klingt sie nicht. Die französische Nationalhymne - "La Marseillaise" - kommt blutig, rauflustig und ganz schön aggressiv daher. Eigentlich eher unpassend, um ausgerechnet den Tag der "Droits de l'Homme" - der Menschenrechte - und der Republik musikalisch zu eröffnen. Denn eben darum geht es am 14. Juli. Viel mehr jedenfalls als um die blutigen und angstvollen Jahre der sogenannten "Terreur", der Jahre des Terrors, die dem Sturm auf die Bastille folgten. An die schaurige Zeit, in der im Übrigen auch die Marseillaise entstand, wollen sich die Franzosen am liebsten gar nicht erinnern. Sie tänzeln lieber darüber hinweg. Jean-Paul Picaper – viele Jahre Deutschlandkorrespondent der französischen Tageszeitung "Le Figaro":

" Man hat vieles aus der Zeit vergessen und nur das glückliche Ereignis in Erinnerung behalten: den Sturm auf die Bastille. Eine positive und glanzvolle Begebenheit. Das zumindest glaubt die Mehrheit der Franzosen. Denn die Leute wissen nicht, dass der Sturm auf die Bastille alles andere als ein heroischer Akt war - aus dem einfachen Grunde, weil kaum ein Mensch in diesem Bau gefangen gehalten wurde. Höchstens ein, zwei Leute. Aber das hat man vergessen, wie auch die Zeit nach 1789. Denn, Menschenrechte hin oder her, kurz danach gab es die "Terreur", die erste totalitäre Diktatur Europas. Als man 1880 den 14. Juli nachträglich zum Nationalfeiertag erklärte, brauchte man heroische Tage und große Helden. Die III. Republik der 1870er Jahre hatte einfach so schlecht angefangen, dass man Jubeltage brauchte. Man wollte damit den Einmarsch der Preußen in Paris vergessen machen und nicht zuletzt die Pariser Kommune, einen Volksaufstand, der blutig niedergeschlagen wurde."

Aber nicht nur im 19. Jahrhundert. Noch bis vor kurzem wurde die Geschichte Frankreichs an seinen Schulen als eine einzige Abfolge von mythischen Großtaten verherrlicht. Als Geschichte großer Männer und Heroen, die als Deus ex Machina aus dem Nichts auftauchen, wenn es darum geht, das Land in letzter Minute vor dem Untergang zu retten. Ob Clovis, Jeanne D'Arc oder aber auch General de Gaulle, sie alle gehören in die nationale Heldengalerie.

" Die Geschichte Frankreichs war lange Zeit die Geschichte großer Heroen. Erst in den letzten Jahren wurden zum Beispiel an Schulen auch die gesellschaftlichen Bewegungen und die Geschichte der Sitten ins Programm aufgenommen. (…) Ich würde fast sagen, erst seit Giscard d'Estaing hat sich das geändert. Giscard, der übrigens Ende der 70er Jahre dafür gesorgt hat, dass die Marseillaise langsamer und manchmal fast in Zeitlupe gespielt wurde – nicht mehr so kraftvoll und martialisch wie ehedem."

Das hat seine Wirkung offenbar nicht verfehlt. Denn in den letzten Jahren haben die Franzosen ihre Vorliebe für Hurra-Patriotismus und Pomp etwas gezügelt. Sie sind nüchterner, sachlicher und auch bescheidener geworden - sagt Picaper. Das um seine Weltgeltung stets so besorgte Gallien hat eingesehen, dass es seine Nachbarn braucht und sich nicht mehr ganz allein behaupten kann als monolithische Trutzburg gegen den Rest der Welt. Davon zeugt auch die Art, wie der 14. Juli heute begangen wird: nicht mehr nur als patriotische Jubelfeier, sondern auch als europäischer Feiertag:

" Im Jahre 1940 paradierte die Wehrmacht über die Champs-Elysées, Hitler marschierte unter den Triumphbogen hindurch. Als aber Mitterand 1994 seinen Freund Helmut Kohl dazu einlud, am 14. Juli die deutsche Bundeswehr im Rahmen des Eurocorps neben der französischen Armee defilieren zu lassen, da hat das die Hitlergeste annulliert und durch eine neue ersetzt. Mitterand hat dem 14. Juli damit einen neuen Charakter verliehen. Das Internationale und Solidarische ist hinzugekommen. "

Und wie zum Beweis, wie genau alle Franzosen noch heute über den 14. Juli Bescheid wissen, kommt Picaper plötzlich auf die überraschende Idee, seinen 12-jährigen Sohn herbeizurufen. Unter den stolzen und prüfenden Augen des Vaters soll mir der Junge sagen, was sich am 14. Juli ereignet hat. Doch, oh Schreck, der überraschte Teenager hat einen Blackout und nicht den blassesten Schimmer davon:

So oder so. Das wirklich Wichtige weiß der Junge auf jeden Fall: Der 14. Juli ist ein besonderer Tag: schulfrei, fröhlich – und am Ende wird immer getanzt. Denn noch immer gilt das französische Sprichwort: In Frankreich endet alles mit einem Chanson oder aber (...) mit einem Tanz.