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Vor 60 Jahren erschienen
Rachel Carsons "Der stumme Frühling" - Buch am Beginn der Öko-Bewegung

"The silent spring" ist 1962 das meistgelesene Buch in den USA: Nicht nur dort bringt die Wissenschaftsjournalistin Rachel Carson mit ihren dramatischen Beschreibungen der Folgen des Insektenvernichtungsmittels „DDT" die Ökologie-Bewegung in Gang.

Von Andrea Westhoff | 27.09.2022
Die Biologin, Wissenschaftsjournalistin und Autorin von  "Silent Spring"  sitzt bei ihrer Erklärung im    US-Kongress im Januar 1963 vor Mikrofonen
Rachel Carson, Autorin von "Der stumme Frühling" bei ihrer Erklärung vor dem US-Kongress im Januar 1963 (picture alliance / Everett Collection / Courtesy Everett Collection)
„DDT is good for me-e-e“: So ist es in den 1950er-Jahren auf großformatigen Plakaten überall in den USA zu lesen. Das Insektenvernichtungsmittel DDT war im Zweiten Weltkrieg im großen Stil gegen Mücken, Zecken, Milben und Kleiderläuse versprüht worden, um Soldaten vor Malaria und Fleckfieber zu schützen. Nun gilt es auch im zivilen Leben als wahre Wunderwaffe: effektiv, billig, sicher - einfach gut.
Eine der wenigen, die nicht in diesen Jubelchor einstimmen, ist Rachel Carson: „Diese Sprays, Pulver und Aerosole werden überall eingesetzt: auf Farmen, in Gärten, Wäldern und in Haushalten. Diese Chemikalien haben die Kraft, alle Insekten zu töten - die guten und die schlechten. Sie lassen die Vögel verstummen und die Fische in den Flüssen verenden. Und das, obwohl sie eigentlich nur einige Unkräuter oder Insekten treffen sollen.“

Früh die verheerenden Folgen des DDT-Einsatzes erkannt

Carson weiß, wovon sie spricht. Sie hatte zunächst englische Literatur studiert, war dann aber zur Biologie gewechselt. In ihrer Arbeit als Wissenschaftsjournalistin und für die US-Fischereibehörde sieht sie schon früh die verheerenden Auswirkungen des großflächigen DDT-Einsatzes. 1957 beginnt sie intensiv für ein Buch zu recherchieren, das den provokativen Titel „Silent spring“ - „Der stumme Frühling,“ tragen soll.
Auszüge des Buches erscheinen vorab bereits in der Zeitschrift „The New Yorker“. Und als es am 27. September 1962 schließlich in die Buchläden kommt, schreibt die „New York Times“: „In ihrem neuen Buch versucht Rachel Carson, uns zu Tode zu erschrecken und ist damit größtenteils erfolgreich.“ - Es beginnt wie ein Märchen - doch plötzlich wird daraus eine Horrorgeschichte.
„Es war einmal eine Stadt im Herzen Amerikas, in der alle Geschöpfe in Harmonie mit ihrer Umwelt zu leben schienen. … Die Gegend war berühmt wegen ihrer an Zahl und Arten so reichen Vogelwelt.“
„Dann tauchte überall in der Gegend eine seltsame schleierhafte Seuche auf, und unter ihrem Pesthauch begann sich alles zu verwandeln. … Rätselhafte Krankheiten rafften die Kükenscharen dahin, Rinder und Schafe wurden siech und verendeten. Es herrschte eine ungewöhnliche Stille.“
Diese Stadt gibt es nicht, erklärt Rachel Carson am Schluss von Kapitel eins, aber alle geschilderten Schreckensereignisse seien so bereits passiert in einzelnen Städten Amerikas - verursacht durch den großflächigen Einsatz von DDT und anderen Pestiziden.

Carson im Visier der Chemieindustrie

Trotz des sperrigen, komplizierten Themas wird „Silent Spring“ 1962 das meistgelesene Buch in den USA. Rachel Carson war bereits eine bekannte Autorin, ihre Art zu schreiben berührte: poetisch, einfach, emotional. Aber hier setzen auch die Kritiker an: Man wirft ihr „Gefühlsduselei“ und „Hysterie“ vor, spricht ihr die wissenschaftliche Kompetenz ab, unterstellt ihr „Fortschrittsfeindlichkeit“.
Am 3. April 1963 bringt der nationale amerikanische Fernsehsender CBS eine Dokumentation zu „Silent spring“, dem „umstrittensten Buch des Jahres“. Auf der einen Seite der Vertreter der landwirtschaftlichen Chemieindustrie Robert White-Stevens: „Wenn die Menschen den Lehren von Miss Carson treu folgten, würden wir ins finstere Mittelalter zurückkehren. Krankheiten und Ungeziefer würden die Erde wieder übernehmen.“ 
Im weißen Laborkittel versichert der Mann zudem, die moderne Wissenschaft habe die Natur zuverlässig unter Kontrolle. Rachel Carson, obwohl bereits schwer gezeichnet von ihrer Krebserkrankung, zeigt sich angriffslustig: „Für diese Leute ist das Gleichgewicht der Natur offenbar in dem Moment abgeschafft worden, als der Mensch auf den Plan trat. Da könnte man genauso gut versuchen, die Gesetze der Schwerkraft abzuschaffen.“

Verbot des Giftes erlebt Carson nicht mehr

Im Juni 1963 erscheint dann ein Untersuchungsbericht, den Präsident Kennedy schon im August 1962 aufgrund der Vorabdrucke des Buches in Auftrag gegeben hatte. Darin werden der Industrie schwere Fehler und Versäumnisse im Umgang mit DDT nachgewiesen. Ein Verbot des Giftes erfolgt in den USA aber erst 1972, in anderen Ländern noch später. Rachel Carson selbst erlebt das nicht mehr. Sie stirbt schon im April 1964, mit nur 57 Jahren.