Leerstand in Thüringen

Abrissreife Blocks als Flüchtlingsunterkünfte?

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Muss der Abriss von leerstehenden Häusern gestoppt werden? © Deutschlandradio - Nadine Lindner
Von Henry Bernhard · 11.11.2015
In den ostdeutschen Bundesländern wurden nach 1989 Tausende Häuser abgerissen, viele Wohnungen stehen leer. Weitere Abrisse soll es aber nicht geben, wenn es nach den Thüringer Grünen geht, denn: In die leeren Wohnungen sollen Flüchtlinge einziehen. Doch das ist nicht so einfach.
Andreas Adolf: "So, jetzt sehen wir hier schon die Anfänge vom Wohngebiet Rabenhold."
Andreas Adolf ist Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft Arnstadt. 3.300 Wohnungen hat er im Bestand. Auch Gründerzeit- und Renaissance-Häuser sind dabei. Das meiste aber sind Plattenbauten. Wie hier im Rabenhold, wo viele Wohnungen offensichtlich leer stehen.

Andreas Adolf: "Und hier sehen wir jetzt dieses Gebäude, das über den größten Leerstand verfügt und das von der Strategie her als Nächstes zum Abriss vorgesehen war. Die letzten beiden Eingänge sind jetzt an den Ilmkreis vermietet worden, um diese Flüchtlingsproblematik einigermaßen zu beherrschen."
Ganz neue Möglichkeiten
Was Andreas Adolf anspricht, könnte die ostdeutsche Wohnungswirtschaft nachhaltig verändern: Häuser, die zum Abriss vorgesehen waren, weil die Mieter wegzogen und wegstarben, erscheinen plötzlich wieder vermietbar: an Flüchtlinge. 30.000 kommen in diesem Jahr. In Thüringen stehen Zehntausende Wohnungen leer.
Optimisten sehen dadurch ganz neue Möglichkeiten – für die Wohnungsunternehmen und für die Flüchtlingsunterbringung. Politiker wie Roberto Kobelt, Landtagsabgeordneter der Grünen in Thüringen, sehen nun neue Chancen. Kobelt fordert: Der Abriss von leerstehenden Häusern müsse sofort gestoppt werden.
Roberto Kobelt: "Ja, das ist richtig. Weil: Wir haben eine andere Situation. Zum einen ist der demographische Wandel, der vorhergesehen wurde in Thüringen nicht ganz so stark wie er prognostiziert wurde, und Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge. Und dort sagen wir ganz klar: Bevor wir wieder neu bauen müssen, was teurer ist, wollen wir ein Abrissmoratorium für mindestens ein Jahr, dass Abrisse gestoppt werden in diesen Regionen."
Ob er den Antrag im Landtag durchbekommt, ist noch nicht klar. Aber die Thüringer Wohnungsunternehmen sind aufgeschreckt. Sie wollen keine pauschale Regelung, stattdessen Investitionen des Landes in bezahlbaren Wohnraum für Flüchtlinge und Deutsche, angemessene soziale Betreuung für die Flüchtlinge und vor allem deren dezentrale Unterbringung. Nun könnte man den Verteilungsschlüssel ändern: Anerkannte Flüchtlinge sollten sich da niederlassen, wo Wohnungen leer stehen, etwa im Norden oder Osten Thüringens, an der Peripherie.
Eleonore Mühlbauer beschäftigt sich für die SPD-Fraktion im Landtag mit der Frage und widerspricht der Moratoriums-Idee der Grünen vehement:
"Man könnte den Verteilungsschlüssel ändern; damit funktioniert das allerdings nicht. Das heißt: Die Flüchtlinge wollen arbeiten. Dort wo wenig Menschen sind, haben wir wenig Arbeitsplätze, haben wir wenig Schulen, haben wir wenig Kindergärten, haben wir wenig Sozialbetreuung und haben wir Kommunen mit einer geringen Leistungsfähigkeit. All dieses sind Probleme, die diese Aufgaben, die mit den Flüchtlingen und der Integration von Flüchtlingen auf uns zukommen, nicht bewältigen können."
Sanierung deutlich billiger als Neubau
Deshalb plädiert Mühlbauer für eine differenzierte Betrachtung des Leerstandes. Nur an manchen Orten, die zentraler liegen, wäre eine dauerhafte Ansiedlung von Flüchtlingen sinnvoll. Beispielsweise in Arnstadt. Allein 300 Wohnungen der Wohnungsbaugesellschaft sollen noch saniert werden, 300 stehen vor dem Abriss. Geschäftsführer Andreas Adolf ist unsicher, denn er braucht einen sicheren Planungshorizont.
Andreas Adolf: "Was die Abrissstrategie angeht, traue ich mir momentan überhaupt keine verlässliche Aussage zu."
Prinzipiell hält er ein differenziertes Abrissmoratorium aber für sinnvoll. Die Kosten aber, eine einmal stillgelegte Wohnung wieder in Betrieb zu setzen, sind hoch – aber doch deutlich billiger als Neubau.
Andreas Adolf: "Alleine aus der Tatsache, dass die Elektrozähler ausgebaut worden sind, verlieren die Elektroanlagen ihren Bestandsschutz. Das heißt, von der jeweiligen Hauseinspeisung muss in die Wohnung eine neuen Elektrozuführung gelegt werden; in der Wohnung muss eine neue Unterverteilung installiert werden, und da reden wir über Größenordnungen, Zahlen – die liegen über 7.000 bis 8.000 Euro."
Worauf nun alle warten, sind verbindliche Zahlen für verbindliche Planungen und finanzielle Unterstützung für bezahlbare Mietwohnungen dort, wo sie gebraucht werden.
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