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Blinder Terror, brutale Strategie
Sexualisierte Gewalt im Krieg

Es gibt zahlreiche Berichte über Vergewaltigungen durch russische Soldaten in der Ukraine. Sexualisierte Gewalt werde gezielt als Kriegswaffe eingesetzt, sagen Expertinnen. Doch die Strafverfolgung ist schwierig, lange galten derartige Verbrechen als kaum vermeidbare Begleiterscheinung von Kriegen.

Von Dirk Auer | 13.06.2022
Flagge mit der Aufschrift "War Rape is A Crime" als Protest gegen die Vergewaltigung als Kriegswaffe im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in London, Großbritannien am 28. Mai 2022
Sexualisierte Gewalt, als militärisches Mittel zur Zerstörung einer ganzen Gesellschaft, ist in den vergangenen Jahren in den Fokus der Wissenschaft gerückt. (IMAGO / ZUMA Wire / Vuk Valcic)
April 2022: Barbara Woodward, Ständige Vertreterin Großbritanniens bei den Vereinten Nationen, eröffnet die 9013. Sitzung des UN-Sicherheitsrats. Das Thema ist die Situation in der Ukraine. In den folgenden drei Stunden werden zahlreiche Rednerinnen und Redner das Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung beschreiben. Über Video zugeschaltet ist die ukrainische Frauenrechts-Aktivistin Kateryna Cherepakha, die auch von Fällen sexualisierter Gewalt an Frauen berichtet.
„Wir erhalten solche Meldungen über die nationalen Hotlines. Für heute: Neun Fälle von Vergewaltigung durch russische Soldaten in den vorübergehend besetzten Städten und Dörfern, gemeldet von den Überlebenden und Zeugen. Und leider ist das wohl nur die Spitze des Eisbergs. Wir möchten, dass Sie unsere Stimme hören: Gewalt und Vergewaltigungen werden von den russischen Invasoren in der Ukraine als Kriegswaffe eingesetzt.“

Allein 400 Fälle in zwei April-Wochen

Seit Wochen gibt es Berichte über schwerste Kriegsverbrechen von russischen Soldaten in der Ukraine, darunter auch Vergewaltigungen ukrainischer Frauen und Mädchen. Auch Fälle von sexualisierter Gewalt an Männern soll es gegeben haben. Allein in den ersten beiden Aprilwochen wurden der ukrainischen Ombudsfrau für Menschenrechte etwa 400 Fälle sexualisierter Gewalt gemeldet.
Das hat auch die UN-Sonderbeauftragte für sexualisierte Gewalt im Krieg, Pramila Patten, alarmiert. Anfang Mai reiste sie nach Kiew. Vor der versammelten Presse richtete sie ihre Worte auch direkt an die betroffenen Frauen: „Ich verspreche Ihnen, dass das Völkerrecht kein leeres Versprechen sein wird. Die Dokumentation der Verbrechen heute ist die Strafverfolgung von morgen. Und ich möchte, dass Sie wissen, dass ihre Rechte nicht enden, wenn Kriege beginnen. Ihre Körper sind kein Schlachtfeld und dürfen niemals als Teil des Schlachtfeldes behandelt werden.“

Die meisten Fälle bleiben im Dunklen

Ein frommer Wunsch. Im Jahresbericht der UN-Beauftragten sind für 2021 fast 3.300 Fälle konfliktbedingter sexualisierter Gewalt in 18 Ländern festgehalten, ein Drittel davon in der Demokratischen Republik Kongo – insgesamt eine Steigerung von etwa 800 Fällen gegenüber dem Vorjahr. Ob sexualisierte Gewalt in Kriegen tatsächlich zugenommen hat, lässt sich schwer sagen. Die meisten Fälle bleiben im Dunklen, weil die betroffenen Frauen aus Scham nicht aussagen.
Fakt ist jedoch, wie Sara Fremberg betont: „Sexualisierte Gewalt, müssen wir leider sagen, kommt in den meisten Konflikten vor. Das wissen wir aus den 30 Jahren Erfahrung, die wir haben.“ Sie ist Mitarbeiterin von medica mondiale. Seit dem Krieg in Bosnien Anfang bis Mitte der 1990er-Jahre unterstützt die feministische Frauenrechtsorganisation Hilfsprojekte für Frauen und Mädchen, die von sexualisierter Kriegsgewalt betroffen sind.
Sara Fremberg
Sara Fremberg (imago/Metodi Popow)
Der Krieg - im Verständnis von Sara Fremberg eine Extremsituation voller Gewalt, in der normalerweise vorhandene Hemmschwellen fallen und sich patriarchale Gewalt ungehindert Bahn bricht. „Oder aber dass diese Gewalt auch explizit genutzt wird von der militärischen Führung. Indem man eben sagt, wir lassen das passieren, wir tolerieren das. Oder indem das sogar ermutigt wird, sei es um ethnische Säuberungen zu unterstützen, sei es um die Zivilbevölkerung vor Ort zu terrorisieren.“

Systematische Vergewaltigungen im Bosnien-Krieg

Sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe, als Mittel zum Erreichen militärischer Ziele. Bakira Hasečić aus dem bosnischen Višegrad etwa erzählt über den Krieg in ihrer Heimat 1992. „Es gab massive und systematische Vergewaltigungen. Vergewaltigung ist eine der stärksten Waffen. Wenn du ein Mädchen vergewaltigst, das spricht sich herum, und die Leute fliehen. Vergewaltigungen werden so als Mittel für ethnische Säuberungen benutzt. Und um die Moral der eigenen Armee zu steigern.“
Die Folgen sexualisierter Gewalt sind langfristig: Frauen, die vergewaltigt wurden, gelten vielerorts als entehrt und beschmutzt. Und selbst die Kinder, die aus einer Vergewaltigung hervorgegangen sind, erfahren oft Ausgrenzung und Ablehnung. Es ist diese Form von sexualisierter Gewalt, als militärisches Mittel zur Zerstörung einer ganzen Gesellschaft, die in den vergangenen Jahren auch in den Fokus der Wissenschaft gerückt ist.
Regina Mühlhäuser ist Historikerin am Hamburger Institut für Sozialforschung und forscht schon seit vielen Jahren über sexualisierte Gewalt im Krieg: „Lange galt sexuelle Gewalt als eine vielleicht nicht schöne, aber doch normale und irgendwie auch hinzunehmende Begleiterscheinung von Kriegen. Männer sind eben so. Und einen Bruch damit, einen Shift, können wir beobachten in der Auseinandersetzung in den 1970er-Jahren, also zur Zeit der Frauenbefreiungsbewegung, zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung in den USA und auch der Proteste gegen den Vietnam-Krieg.“
Damals seien es insbesondere jüdische und afroamerikanische Forscherinnen in den USA gewesen, die sexualisierte Gewalt im Krieg zu einem politischen Thema gemacht haben. „Und das Hauptanliegen damals war, deutlich zu machen: Gewalt gegen Frauen ist keine Begleiterscheinung von Kriegen, sondern ein immanenter Bestandteil von kriegerischem Handeln. Kein Exzess von a few bad apples, also von einigen faulen Äpfeln. Sondern es ist Teil der militärischen Organisation und Teil des militärischen Handelns.“

Zahlen zu Opfern sexualisierter Gewalt in Kriegen

Dennoch lenkten erst zwei weitere Zäsuren auch das öffentliche Augenmerk auf diese Art von Verbrechen: Im Bosnien-Krieg wurden zwischen 1992 und 1995 laut Europarat 20.000 Frauen und Mädchen vergewaltigt; es gibt andere Schätzungen, die von bis zu 50.000 Opfern ausgehen. Und während des Völkermords in Ruanda 1994 wurden nach Schätzungen der Vereinten Nationen 100.000 bis 250.000 Frauen und Mädchen Opfer sexualisierter Gewalt.
„Zu dieser Zeit brachten feministische Forscherinnen, insbesondere auch Juristinnen, diese Vorstellung von sexueller Gewalt als Instrument des Terrors und als Kriegswaffe in die breitere öffentliche Debatte ein. Und diese Bemühungen waren damals sehr erfolgreich, und es haben sich Begriffe etabliert auch in der breiteren öffentlichen Diskussion wie Massenvergewaltigungen, wie Kriegswaffe, wie Kriegsstrategie. Solche Begriffe sind seitdem eigentlich üblich und verbreitet geworden", sagt Regina Mühlhäuser.
Auch für die internationale Politik waren der Krieg in Bosnien und der Genozid in Ruanda ein Wendepunkt. Im Oktober 2000 verabschiedeten die Vereinten Nationen eine Resolution mit dem Titel „Frauen, Frieden, Sicherheit“. Es war das erste Mal, dass sich ein hochrangiges UN-Gremium explizit mit der Situation von Frauen und Mädchen in Kriegskontexten befasste. 2002 wird sexualisierte Kriegsgewalt dann erstmals ein eigener Straftatbestand am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Und 2008 wird in der UN-Resolution 1820 sexualisierte Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit benannt und ein sofortiger Stopp als Methode zur Kriegsführung gefordert.
Juni 2014: Der damalige britische Außenminister William Hague hat zu einer internationalen Konferenz gegen Kriegsvergewaltigung nach London eingeladen. Die amerikanische Schauspielerin und Sonderbotschafterin des UN-Flüchtlingshilfswerks Angelina Jolie hält die Eröffnungsrede: „Es hat nichts mit Sex zu tun, sondern nur mit Macht. Und wir als internationale Gemeinschaft sind verantwortlich. Wir müssen auf neue Weise über Grenzen und Religionen hinweg zusammenarbeiten. Nur so können wir den Einsatz von Vergewaltigung und sexueller Gewalt als Kriegswaffe ein für alle Mal beenden. Wir können das wirklich.“

Dynamiken sexualisierter Gewalt

Sexualisierte Gewalt und Vergewaltigungen als Kriegswaffe, als absichtsvolles Mittel zur Vernichtung und Demütigung einer feindlichen Bevölkerung - diese Sichtweise hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend durchgesetzt. Den tatsächlichen Dynamiken sexualisierter Gewalt in kriegerischen Situationen werde das jedoch oftmals nicht gerecht, kritisiert Regina Mühlhäuser.
„Gerade sexuelle Gewalt kann eben auch als Ausdruck von starker Männlichkeit, von viriler Männlichkeit gelten. Und die Quellen deuten darauf hin, dass viele Soldaten eigentlich vergewaltigen, wenn sich ihnen die Gelegenheit bietet. Also es handelt sich oft um junge Männer, die hoffen, im Kriegs- und Besatzungsgebiet, also fern von der sozialen Kontrolle zu Hause, Abenteuer zu erleben und eben auch sexuelle Abenteuer.“
Ganz entscheidend sei dann, wie die militärischen Befehlshaber reagieren. „Verbieten sie sexuelle Gewalt, sanktionieren sie das - oder tolerieren sie das? Erlauben sie das oder befördern sie gar die Ausübung sexueller Gewalt. Und was wir dann sagen können, ist: In den Fällen in kriegerischen Konflikten, in denen es wenig Vergewaltigungen gibt, scheint dafür vor allem die Normsetzung durch die Organisation, durch die militärischen Befehlshaber verantwortlich zu sein. Wenn sie sexuelle Gewalt von vornherein strikt verbieten und sanktionieren, dann kommt es zu wenig sexuellen Gewalttaten.“
In jedem Konflikt müsse, so Regina Mühlhäuser, ganz genau hingeschaut werden, um das tatsächliche Zusammenspiel des Verhaltens der Soldaten mit militärischen Zielen zu erfassen. „Was passiert eigentlich, wenn sexuelle Gewalt ausgeübt wird? Wer tut wem was an und wie wird diese Gewalt Teil taktischer oder strategischer Überlegungen.“ Das sind keine rein akademischen Fragen, die Antworten darauf haben auch Relevanz für die strafrechtliche Aufarbeitung. Sexualisierte Gewalt ist seit 1998 im internationalen Strafrecht verankert. Schon vor dem „International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia“, kurz: ICTY, kam es zu Verfahren, in denen auch über Fälle sexualisierter Gewalt verhandelt wurde. Die Mehrheit der Täter blieb jedoch straffrei.
„Das ICTY hat in vielerlei Hinsicht Neuland betreten als einer der ersten Straftribunale nach Nürnberg im Grunde genommen. Und zu sexualisierter Kriegsgewalt, das kam erst relativ viel spät in dem ICTY dann vor, das war auch Neuland. Aber natürlich müsste das heute in einem Tribunal von Anfang an mitgedacht und mitermittelt werden. Das ist dann natürlich noch nicht so gelaufen. Und insofern steckte da vieles einfach noch in den Kinderschuhen.“
Bei Völkerrechtlern wie Andreas Schüller vom „European Centre for Constitutional and Human Rights“ ist die Hoffnung nun groß, dass es nach Russlands Krieg gegen die Ukraine besser läuft. Tatsächlich spricht einiges dafür: Noch während der Kampfhandlungen hat die ukrainische Staatsanwaltschaft mit Ermittlungen über mögliche Kriegsverbrechen begonnen, darunter auch Vergewaltigungen. Und seit März gibt es bei der EU-Justizbehörde Eurojust ein „Joint Investigation Team“, ein Ermittlungsteam, das von Litauen, Polen und der Ukraine gegründet wurde; inzwischen sind auch Estland, Lettland, die Slowakei sowie der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag beigetreten. Die zusammengetragenen Beweise sollen gebündelt werden und schließlich zu Prozessen führen. Zuständig ist zunächst die ukrainische Staatsanwaltschaft. Diese kann schwerwiegende Fälle auch an den Internationalen Strafgerichtshof abgeben.
Bei Fällen von sexualisierter Gewalt und bei Vergewaltigungen gibt es für die Anklage mehrere Möglichkeiten, erklärt Andreas Schüller: „Das eine ist als Kriegsverbrechen, wenn sie in Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt begangen werden. Und was dieser Zusammenhang genau ist, ist nicht immer ganz klar. Aber natürlich, wenn das Militär eine Stadt einnimmt und da dann Vergewaltigungen stattfinden, ist natürlich ein enger Zusammenhang mit dem Konflikt schon gegeben. Also die Schwelle ist nicht so hoch, würde ich sagen.“
Schwieriger werde es jedoch, wenn es um eine Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht - und um die Verantwortung der militärischen Führung. „Wenn Vergewaltigung oder sexuelle Versklavungen, erzwungene Schwangerschaft gezielt gegen eine Zivilbevölkerung eingesetzt wird, dann kann das auch eine Völkerstraftat sein. Und als letztes theoretisch sogar im Kontext eines Völkermordes, wo es auch sexualisierte Gewalt als einzelnen Tatbestand gibt.“

Strafrechtliche Aufarbeitung vor Gericht in Stuttgart

Dafür müssten dann tatsächlich Befehlsketten nachgewiesen werden. Genau das habe sich bei vergangenen Prozessen aber oft als Problem erwiesen, sagt die Historikerin Regina Mühlhäuser. Ein gutes Beispiel dafür sei etwa der Prozess 2015 am Oberlandesgericht Stuttgart gegen zwei Milizenführer aus Ruanda. Sie waren angeklagt, Verbrechen in der Demokratischen Republik Kongo befohlen, unterstützt und toleriert zu haben. „Und darunter eben auch sexuelle Gewalt als Kriegswaffe. Die beiden wurden für schuldig befunden und verurteilt. Aber die Anklagepunkte zu sexueller Gewalt wurden im Laufe des Verfahrens fallengelassen. Und zwar nicht, weil die Richterin bezweifelt hat, dass diese Taten stattgefunden hatten. Aber letztlich war die Vorgesetzten-Verantwortlichkeit der Milizenführer nicht nachweisbar.“
Die juristische Aufarbeitung von Kriegen dauert oft viele Jahre. Eine entscheidende Frage dabei ist auch, ob es den Gerichten überhaupt gelingt, der Täter habhaft zu werden. Oft muss es erst zu einem Regierungswechsel im Land der Aggressoren kommen, damit eine Auslieferung der Angeklagten stattfinden kann. Wie das im Fall Russlands und der Ukraine sein wird, kann derzeit niemand sagen. Ende Mai wurde in der Ukraine der erste Kriegsvergewaltigungsfall an ein Gericht übergeben, der russische mutmaßliche Täter ist jedoch flüchtig. Sara Fremberg von medica mondiale betont, wie wichtig zurzeit vor allem die psychosoziale Betreuung der von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen ist.  
„Das ist natürlich im Krieg, im Konflikt nochmal deutlich schwieriger. Aber das ist einfach wahnsinnig entscheidend, damit sie eben schnell zumindest körperlich-seelisch bis zu dem Grad gesunden können, dass sie wieder selbstbestimmt entscheiden können: Fliehen sie, wo bleiben sie, was passiert mit den Familien?“ Viele der Organisationen, die Frauen unterstützen, oft ehrenamtlich, waren schon in Friedenszeiten schlecht ausgestattet.  Insofern ginge es jetzt darum, so Sara Fremberg, schnellstmöglich flächendeckende Beratungs- und Hilfsangebote für Frauen einzurichten, sowohl vor Ort als auch in den aufnehmenden Ländern. Auch der Völkerrechtler Andreas Schüller betont, wie wichtig es ist, dass die Betroffenen zunächst in einer stabilen Verfassung sein müssen, bevor sie mit Strafverfolgungsbehörden sprechen.
„Und dann sind die Aussagen auch stärker und dann ist die Wahrscheinlichkeit auch höher, dass man stark und gut dokumentierte Fälle aufbauen kann. Dieser ganze Kontext psychosoziale Betreuung, juristische Begleitung und dann mit den Strafverfolgungsbehörden, das muss im Grunde genommen zusammengehen, damit die Verfahren gestärkt werden.“
Immerhin: Das Thema sexualisierte Gewalt liegt bei Strafermittlungen nun von Anfang an auf dem Tisch. Und generell ist die Situation von Frauen im Krieg sichtbarer geworden. Frauenrechtsorganisationen hoffen nun, dass die neue Aufmerksamkeit von Dauer ist. Die Ampel-Koalition hat sich das Ziel einer feministischen Außenpolitik in den Koalitionsvertrag geschrieben, was von manchen noch bespöttelt wird.

Debatte über feministische Außenpolitik

Bei der Generaldebatte im Bundestag zum 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr kam es Ende März zwischen Unionsfraktionschef Friedrich Merz und Außenministerin Annalena Baerbock zum Schlagabtausch: „Sie können von mir aus feministische Außenpolitik oder feministische Entwicklungshilfepolitik machen. Aber nicht mit diesem Etat für die Bundeswehr.“ „Die Bundeswehr hier hinzustellen und dann im gleichen Satz zu sagen: ‚Ok, Bundeswehr – und nicht mehr die feministische Außenpolitik.‘ Mir bricht es das Herz. Ja und wissen Sie warum?“

Vor einer Woche sei sie in Bosnien bei den Müttern von Srebrenica gewesen. Diese Frauen hätten ihr gesagt:„‚Frau Baerbock, damals wurde nicht gehandelt, Anfang der 90er-Jahre.‘ Als sie, als ihre Töchter, ihre Freundinnen vergewaltigt wurden. Vergewaltigung als Kriegswaffe nicht anerkannt war. Nicht vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgt wurde. Und deswegen gehört zu einer Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts auch eine feministische Sichtweise. Das ist kein Gedöns! Sondern das ist auf der Höhe dieser Zeit.“
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne, r.), und die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne, r.), und die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa (picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Efrem Lukatsky)
Auch für Sara Fremberg von medica mondiale ist eine feministische Ausrichtung der Außen- und Sicherheitspolitik aktueller denn je. Untersuchungen haben gezeigt, dass nach einem Krieg die Wahrscheinlichkeit für einen nachhaltigen Frieden steigt, wenn bei Verhandlungen Vertreter der Zivilgesellschaft beteiligt sind. Und in Konflikten, in denen Frauen sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren, sei das von besonderer Bedeutung, betont Sara Fremberg.
„Dass zum einen die Belange von gewaltbetroffenen Frauen berücksichtig werden und das, was sie brauchen, auch ihre Familien. Dass sie gehört werden, dass sie gefragt werden. Und gleichzeitig auch die Expertise von Frauenrechts-Aktivistinnen gehört und einbezogen werden. Dass die bei Friedensverhandlungen mit am Tisch sitzen, um eben tatsächlich auch nachhaltig für Frieden zu sorgen.“
* Wir haben das Beitragsbild ausgetauscht. Das ursprüngliche war erklärungsbedürftig.