Ukraine

Massengräber werden Holocaust-Gedenkstätten

Ukrainische Soldaten stehen vor der Gedenkstätte Babi Jar in Kiew
Bisher die einzige Gedenkstätte an die jüdischen Opfer in der Ukraine: Babi Jar in Kiew. In der Schlucht wurden mehr als 33.000 Juden erschossen. © dpa / picture alliance / Jan A. Nicolas
Von Sabine Adler · 29.06.2015
Während der Besetzung durch die Nazis wurden in der Ukraine rund 1,5 Millionen Menschen erschossen, die meisten waren Juden. Erst jetzt beginnt man im Land mit der Aufarbeitung des Holocaust.
Die Ukraine beginnt, sich einem schmerzhaften Kapitel ihrer Geschichte zu stellen: Heute werden in der Nähe von Lemberg, genau in Rava Ruska und Kysylyn sowie morgen in Ostroschets, Bachiv und Prochid insgesamt fünf Gedenkstätten eröffnet, jeweils dort, wo sich Massengräber mit 500 und bis zu 2.000 Leichen befinden.
Zum ersten Mal werden damit speziell jüdische Opfer der Massenerschießungen während der Nazi-Besatzung gewürdigt. Die Erschießungen fanden neben der fabrikmäßig organisierten Vergasung der Juden in den Konzentrations- und Vernichtungslagern statt. Der ukrainische Parlamentsabgeordnete Oleksander Feldman schätzt, dass es auf dem Gebiet der Ukraine rund 2.000 solcher Massengräber mit je 500 bis 2.000 Leichen gibt. Bis auf Babi Jar in Kiew mit 33.000 Toten ist bisher keines kenntlich gemacht worden.
"Sie alle sind in schlechtem Zustand", sagte Feldman, Vorsitzender des Ukrainischen Jüdischen Komitees. Er sprach sich in Lemberg am Vorabend der Eröffnung der fünf Gedenkstätten für einen nationalen Holocaust-Gedenktag in der Ukraine aus.
Arbeit für Tausende Historiker
Auch die ukrainische Regierung solle Geld für das Gedenkstätten-Projektes bereitstellen, forderte der jüdische Abgeordnete des ukrainischen Parlaments. Bislang erfolgt die Finanzierung durch die Bundesregierung: Sie gab 1,3 Millionen Euro. Doch jüdischen Opfern von Massenerschießungen während des Holocausts ein Denkmal zu setzen, sei eine ukrainische, nicht nur jüdische Aufgabe. Historiker stehen am Beginn der Arbeit, sagt Deidre Berger, die Berliner Direktorin des American Jewish Comitee, das das Projekt initiiert hatte.
"Über diese fünf Massengräber haben wir etwas erfahren, Dank der Augenzeugen wissen wir, was passiert ist und haben eine Vorstellung vom jüdischen Leben in diesen Orten. Aber es sind immer noch nur Fragmente. Wir wissen fast nichts über die Opfer. Dort ist Arbeit für Tausende Historiker."
Der katholische Franzose Patrick Desbois hat eine wichtige Vorarbeit geleistet. Seit dem Ende der Sowjetunion hat er über 1.000 Massengräber in der Ukraine lokalisiert und mit unzähligen Augen- beziehungsweise Zeitzeugen gesprochen.
Die Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestages, Edelgard Bulmahn von der SPD, würdigte die Initiative, die nicht nur die Grabstätten der Opfer kenntlich mache, sondern die Erinnerung an sie wachhalte und ihnen die Würde zurückgebe.
Aufarbeitung der eigenen Geschichte
Die Vize-Präsidentin der Werchowna Rada, Oksana Syroid, verwies auf Gemeinsamkeiten in der ukrainischen und deutschen Geschichte, die jeweils auch eine jüdische Geschichte sei, und es gebe Parallelen zwischen der Ukraine und Israel, nämlich den Kampf um das Recht, ein eigener Staat zu sein.
Wenn die Ukraine jetzt beginnt, die Massengräber kenntlich macht, nimmt sie ihre historische Mitverantwortung wahr, würdigte Geoffrey Pyatt, der amerikanische Botschafter in Kiew. Kollaboration mit den Nazis wurde bislang in der Ukraine meist verschwiegen.
"Ich denke, das ist für die Ukraine der schmerzlichste Punkt. Das Projekt hilft, ihn anzusprechen, und es gibt prominente ukrainische Politiker hier und heute, die diesen Teil der Geschichte anerkennen und das ist unglaublich wichtig."
In den ukrainischen Orten, in denen die fünf Gedenkstätten eröffnet werden, wollen Einwohner das neue Wissen in Ausstellungen und Büchern veröffentlichen.
Mehr zum Thema