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Jerusalem
Streit um Koscher-Kontrollen

Gastronomen in Jerusalem proben den Aufstand, weil sie am Sabbat ihre Restaurants schließen müssen. Zudem müssen sie die Koscher-Kontrolleure bezahlen anstelle des Oberrabbinat, dem eigentlichen Auftraggeber. Jetzt haben Religionsminister und Oberrabbiner eine Reform der Koscher-Kontrollen angekündigt.

Von Igal Avidan | 21.02.2014
    Ein Restaurant im Zentrum von West-Jerusalem. An der Eingangstür ist eine traditionelle Gebetskapsel, Mesusa, befestigt. Als der orthodoxe Jude, Yehonatan Vadai, dieses Restaurant vor vier Jahren eröffnet hatte, wollte er nur koscheres Essen anbieten. Um aber die in der Bibel vorgeschriebene, jedoch aufwendige Trennung zwischen Fleisch und Milch zu umgehen, was zum Beispiel doppelte Kühlschränke und Geschirr erfordert hätte, verzichtet er auf fleischhaltige Speisen. Also kaufte er nur koscheres Gemüse und andere Lebensmittel wollte er durch den offiziellen Kontrolleur genehmigen lassen. Deshalb beantragte er beim staatlichen Oberrabbinat eine Koscher-Urkunde. Aber schon bald verlor Yehonatan Vadai seinen Glauben an die Inspektoren des Rabbinats:
    "Es störte mich sehr, dass der Kontrolleur nur ein- bis zweimal pro Woche kam, für jeweils etwa zweieinhalb Minuten Kontrolle. Er parkte sein Auto auf dem Bürgersteig, warf einen kurzen Blick in meine Küche, nahm einen Schokokeks und ging. Wie kann man in dieser kurzen Zeit feststellen, ob ein Lokal koscher ist? Welche Bedeutung hat die Koscher-Urkunde des Rabbinats noch, die an der Wand hängt und der viele Menschen vertrauen?
    Ein weiteres Problem ist, dass die Gebühren, welche die Gastwirte zahlen müssen, mit den Inspektoren ausgehandelt werden. Ich zahlte dem Kontrolleur umgerechnet 120 Euro im Monat. Als ich ihn um eine Quittung bat, wollte er, dass ich ihn gleich einstelle. So hätte ich für seinen Zweieinhalb-Minuten-Dienst auch noch seine Sozialabgaben zahlen müssen."
    Als Yehonatan Vadai nach eineinhalb Jahren seine Koscher-Urkunde verlängern lassen musste, lehnte er dies ab. Ihn ärgerte, dass die Inspektoren praktisch nur pro forma zur Kontrolle kamen. Außerdem gefiel ihm überhaupt nicht, dass meist ultra-orthodoxe Kontrolleure zu ihm kamen, die den Staat Israel ablehnen. Doch indem Vadai auf den Stempel zur Verlängerung der Koscher-Urkunde verzichtete, ging er ein Risiko ein, denn allein mit Nichtreligiösen und nichtjüdischen Gästen kann ein Restaurant in Jerusalem finanziell kaum überleben.
    Kaum Gäste ohne offizielle Urkunde
    "Die Folgen für mein Geschäft waren verheerend. Die Leute fragten nach der Koscher-Urkunde, und als ich sagte, dass ich keine habe, gingen sie wieder. Auf dieser Weise habe ich viele Gäste verloren. Sie verstehen nicht, wie problematisch dieses Dokument ist. Ich könnte auch eine eigene Urkunde aufhängen und bitten, mir zu vertrauen. Immerhin habe ich religiöse Kunden, die bei mir essen, weil sie mich kennen und wissen, dass ich garantiert koschere Speisen anbiete."
    Doch ohne offizielle Genehmigung ist "Koscher-Kochen" in einem Restaurant nicht erlaubt. Deshalb verhängte das Oberrabbinat eine Geldbuße gegen Vadai. Ihm wird vorgeworfen, seine Kunden zu täuschen, denn allein das Rabbinat darf beschließen, was koscher ist und was nicht. Aufgrund seiner Beteuerungen, sein Lokal sei auch ohne Urkunde weiterhin koscher, wurde er mit umgerechnet mit 200 Euro bestraft. Das Gesetz gegen Koscher-Betrug wurde erstmals 1983 in Israel eingeführt. Allerdings verbietet es nur die eigenmächtige "schriftliche" Verwendung des Begriffs "koscher", nicht die mündliche.
    Wie Yehonatan Vadai lehnt auch Hili Klatchko, die seit einigen Jahren in Jerusalem ein kleines Caféhaus betreibt, die Koscher–Urkunde ab.
    "Ich stamme aus einer reformierten jüdischen Familie und habe hier meine eigenen Koscher-Kriterien eingeführt. Ich sage den Kunden direkt, welche Käsesorten einen Koscherstempel haben und welche nicht. Auf keinen Fall will ich, dass ich jemand dafür bezahlen muss, dass er bei mir im Kühlschrank herumschnüffelt. Außerdem stört mich dabei die Verbindung von Religion und Geld. Das habe ich als Kellnerin in anderen Lokalen erlebt. Da wird dann der Inspektor des Oberrabbinats auch schon einmal schwarz bezahlt. Außerdem wollte ich ein alternatives Lokal anbieten, das am Sabbat offen ist."
    Wer jedoch am Sabbat sein Restaurant öffnet, erhält keine Koscher-Bescheinigung. Inzwischen gibt es in Jerusalem eine ganze Reihe von Gastwirten, die koschere Speisen anbieten, aber auf das amtliche Koscher-Zertifikat verzichten. Nun sollen diese Fälle vom Gericht geklärt werden.
    Oberrabbinat: Gebühren sind angemessen
    Im Streit um die koscheren Speisevorschriften vertritt Rabbiner Rafi Yochai das Oberrabbinat. Er ist der Leiter der Abteilung zur Vollstreckung des Gesetzes gegen Koscher-Betrug. Rabbi Rafi Yochai spielt den Aufstand der Jerusalemer Gastwirte herunter. Immerhin wären es etwa 70 Prozent der jüdischen Israelis, die im Restaurant koscher essen wollten, die meisten aus religiösen Gründen. Deshalb müsse seine Behörde überwachen, ob etwas koscher ist oder nicht.
    "Der Staat Israel zwingt niemanden, koscher zu essen. Israel ist jüdisch, aber auch demokratisch. Jeder kann auch nicht-koscheres Essen oder nicht-koschere Lebensmittel anbieten. Andererseits fühlt sich der Staat verantwortlich gegenüber denen, die koscher essen wollen. Wir müssen kontrollieren, ob das tatsächlich koscher ist, was man ihnen serviert."
    Anderseits betont Rabbiner Rafi Yochai auch, dass man im Blick auf die Gebühren den Gastwirten schon auf mancherlei Weise entgegenkomme.
    "Ein kleiner Imbiss zahlt ja schon viel weniger als größere Unternehmen. Die Gebühren sind angemessen. Wir hätten ja auch alle Restaurants zwingen können, die Kontrolleure die ganze Zeit zu beschäftigen. Dann müsste ein Lokal- und Ladenbesitzer für 14 Stunden täglich rund sieben Euro pro Stunde bezahlen und die meisten Lokale würden pleitegehen."
    Kritisiert wird in diesem Streit um koschere Speisevorschriften auch, dass die Inspektoren, die die Restaurants überprüfen, letztlich von den Gastwirten finanziell abhängig sind, während die Kontrolleure vom Gesundheitsamt vom Staat bezahlt werden. Auch Rabbiner Yochai kennt dieses Problem:
    "Eine staatliche Kommission hat darüber beraten, wie man die Unabhängigkeit der Kontrolleure gewährleisten könne. Wir vom staatlichen Oberrabbinat hatten uns in dieser Sache an diese Kommission gewendet. Aber das Finanzministerium stellte sich dagegen, dass die Koscher-Inspekteure Beamte werden sollten. Das würde den Haushalt zu sehr belasten. Daher lehnten sie die Einstellung von rund 5.000 Inspekteuren ab."
    Der Protest der Gastwirte in Jerusalem hat inzwischen einiges bewirkt. Anfang Februar kündigten Religionsminister Naftali Bennet und Oberrabbiner David Lau eine Reform der Koscher-Kontrolle an. Danach sollen die etwa 5.000 Koscher-Kontrolleure in einem eigenen staatlichen Unternehmen angestellt werden, sodass die Abhängigkeit der Inspektoren von den Gastwirten, die sie überprüfen, ein Ende findet. Außerdem sollen demnächst auch Frauen Koscher-Kontrollen durchführen können.