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Syrien-Besuch französischer Politiker
"An Assads Händen klebt Blut"

Ein Besuch von französischen Parlamentariern bei Präsident Baschar Al-Assad hatte eine Kontroverse ausgelöst. Jacques Myard von der konservativen UMP war einer derjenigen, die den Machthaber trafen. Wer eine politische Lösung anstrebe, der müsse mit dem Regime in Damaskus sprechen - auch wenn man es nicht möge, sagte Myard im DLF. Ansonsten drohe eine völlige Destabilisierung der Region.

Jacques Myard im Gespräch mit Christoph Heinemann | 13.03.2015
    Jacques Myard, Abgeordneter der UMP
    Jacques Myard, Abgeordneter der UMP (AFP PHOTO / Patrick Kovarik)
    Sie können das Interview hier auch im Original nachhören.
    Christoph Heinemann: Welches Ziel hatte Ihr Besuch?
    Jacques Myard: Ganz einfach: Wir sind Abgeordnete und deshalb frei zu tun, was wir wollen. Seit einigen Monaten oder Jahren wollten wir uns nach Damaskus begeben, um uns umzuschauen, zu hören und uns eine Meinung zu bilden. Seit einigen Monaten stellen konservative und auch linke Abgeordnete Fragen zur französischen Politik im Nahen Osten und ihren Bezug zur Realität.
    Heinemann: Fragen inwiefern?
    Myard: Wir glauben, dass wir von Beginn an einen Fehler gemacht haben. Man hat uns gesagt: Bashar wird stürzen. An Weihnachten ist er weg. Aber jetzt nach vier Jahren ist er immer noch da. Da gibt es ein Problem. Die Lage hat sich im Nahen und Mittleren Osten stark verändert: im Irak, natürlich in Syrien, in Ägypten. Auch mit Blick auf die Haltung anderer Staaten stellen wir uns Fragen: Türkei, Katar, Saudi-Arabien auch Jordanien. Das ist sehr vielschichtig. Diplomatie heißt nicht, in Paris zu bleiben oder im Fernsehen aufzutreten. Man muss sich die Dinge anschauen. Und das haben wir gemacht.
    "Assad war völlig gelassen"
    Heinemann: In welcher Stimmung haben Sie Assad angetroffen?
    Myard: Vor vier oder fünf Jahren habe ich ihn zum letzten Mal gesehen, während einer früheren Reise nach Syrien. Er ist heute genau der gleiche: Er spricht sehr ruhig, in bedächtigem Tempo, er ist gelassen. Wenn Sie mit Bashar Al-Assad sprechen, haben Sie nicht das Gefühlt, dass es sich um ein Staatsoberhaupt eines Landes handelt, das sich leider im Bürgerkrieg befindet.
    Heinemann: Gibt Assad zu, dass er Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat?
    Myard: Ganz einfach: Heute befindet sich das Land im Bürgerkrieg. An Bashar Al-Assads Händen klebt in der Tat Blut. Und wir haben ihm gesagt, dass er vor allem bei der übermäßigen Repressionspolitik Fehler gemacht hat.
    Heinemann: Nur Fehler oder Verbrechen?
    Myard: Seine Fehler sind mit Blick auf einige Konventionen als Verbrechen einzustufen. Das Problem ist: Soll man an diesem Punkt stehen bleiben? Es herrscht Bürgerkrieg. Bürgerkriege sind immer entsetzlich. Als die Alliierten mit Stalin paktierten, hatte Stalin die Polen in Katyn ermordet. Er war ebenfalls ein Kriegsverbrecher. Und trotzdem haben sich die Amerikaner, die Briten und dann auch die Franzosen mit ihm verbündet, um Hitler zu verjagen.
    "Wer eine politische Lösung will, muss verhandeln"
    Heinemann: Glaubt Assad, mit all dem Blut an seinen Händen, wie Sie gesagt haben, dass er bei der Beendigung des Bürgerkrieges und in der Nachkriegszeit noch eine Rolle spielen kann?
    Myard: Mehr als das: Wenn Sie eine politische Lösung anstreben - ich sage ausdrücklich: eine politische Lösung der Krise – können Sie das Regime von Damaskus und natürlich auch Bashar Al-Assad selbst nicht aussparen. Er ist unvermeidbar. Da gibt es überhaupt kein Problem: Er verhandelt übrigens schon mit einigen Aufständischen. Es gab Gespräche in Moskau. Der Entsandte von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, Staffan de Mistura, verhandelt in Aleppo. Es finden auch Gespräche im syrischen Parlament statt. Man merkt, dass da etwas in Bewegung ist. Viele Beobachter, vor allem im Libanon sagen, wenn man Bashar von der Macht vertreibt, folgt Chaos. Und zwar ein Chaos im gesamten Nahen Osten. Der Libanon wäre bedroht. Ob es einem gefällt oder nicht, ob man Bashar Al-Assad mag oder nicht, und auch wenn man ihm Verbrechen zur Last legt: er ist zu diesem Zeitpunkt unumgänglich. Ich sage bewusst: zu diesem Zeitpunkt.
    "Alle spielen ein doppeltes Spiel"
    Heinemann: Er ist unvermeidlich, um dem Islamischen Staat entgegentreten zu können. Hat man wirklich nur die Wahl zwischen Pest und Cholera?
    Myard: Diplomatie ist die Kunst, politische Lösungen zu erreichen. Es geht nicht um moralische Haltungen. Es geht nicht nur um Pest und Cholera. Sie können mit dem Regime in Damaskus verhandeln. Ich bezweifle stark, dass Sie mit dem IS diskutieren können. Ebenso wenig mit Al Kaida, außer unter bestimmten Umständen. Zur Realität in der Region gehört auch die Doppelzüngigkeit der Staaten in der Region. Sie spielen alle ein doppeltes Spiel. Sie stehen alle im Kontakt mit dem IS und der Al-Nusra-Front. Politiker behaupten, vor allem wenn sie nach Europa kommen, sie bekämpften den Terrorismus. Und vor Ort lassen Sie Waffenlieferungen passieren und stehen im Kontakt mit den Aufständischen und Terroristen.
    Heinemann: Welche Staaten meinen Sie?
    Myard: Ohne Ausnahme alle Staaten, die an Syrien grenzen.
    Heinemann: Auch Israel?
    Myard: Ich habe gesagt alle. Sie können eine Karte nehmen und ein Land nach dem anderen benennen.
    "Europäische Politik hat sich in die Ecke manövriert"

    Heinemann:
    Was eine mögliche Zusammenarbeit mit Assad betrifft: Erkennen Sie im Westen Zeichen eines Gesinnungswandels?
    Essensausgabe an syrische Flüchtlinge im Libanon am vergangenen Samstag (25. Oktober 2014)
    Essensausgabe an syrische Flüchtlinge im Libanon am vergangenen Samstag (25. Oktober 2014) (afp / Maya Hautefeuille)
    Myard: In Frankreich hat eine Debatte begonnen. Viele, Rechte wie Linke, sagen hier: Wir müssen Kontakte knüpfen. Nur weil man über diplomatische Kontakte verfügt, heißt das noch nicht, dass Sie der Politik dieses Staates zustimmen. Die Kunst der Diplomatie besteht darin, mit allen zu sprechen. Heute habe ich den Eindruck, dass sich die französische und auch europäische Politik in eine Ecke manövriert hat. Sie hat eine Position eingenommen, die sie aufrechterhält, und weigert sich die Realitäten zu berücksichtigen. Das ist sehr gefährlich. Welche Wahl haben wir? Entweder eine politische Lösung der Krise in Syrien. Oder der Bürgerkrieg wird drei, vier Jahre fortgesetzt. Zu glauben, man können Bashar zu diesem Zeitpunkt außen vorlassen, ist irrealistisch. Das ist eine Illusion.
    Heinemann: Hat die Politik der internationalen Koalition unter der Führung der Vereinigten Staaten, haben die gezielten Luftschläge gegen den IS Ergebnisse gebracht?
    Myard: Der Westen sollte nicht glauben, er sei in die Zeit der Kreuzzüge zurückgekehrt. Die Vereinigten Staaten werden im gesamten Nahen und Mittleren Ostens und in der gesamten arabisch-moslemischen Welt extrem kritisiert. Sich hinter die Vereinigten Staaten zu stellen, so als wären wir abermals Teil eines Kreuzzuges, ist ein geostrategischer Fehler. Wenn wir allerdings den Staaten helfen, zu Hause für Ordnung zu sorgen und sich von den Terroristen zu befreien, dann ja. Eine Koalition muss vor allem eine der Staaten der Region sein. Jeder Glaube, der Westen, wenn dem Begriff Westen überhaupt ein einheitliches Konzept zugrunde liegt, könne die Karte des Nahen und Mittleren Ostens verändern, hat keine Grundlage mehr. Wir leben in einem anderen Zeitalter. Die Staaten der Region müssen den Kampf gegen die sektiererischen Auswüchse des Islamischen Staates selbst in die Hand nehmen.
    Destabilisierung würde
    "Frankreich und Europa würden Destabilisierung teuer bezahlen"
    Heinemann: In Syrien und in den Flüchtlingslagern außerhalb des Landes gibt es eine ganze verlorene Generation: Kinder, die keine Schule besuchen, die eines Tages möglicherweise von Extremisten angeworben werden. Wie kann man das Schicksal dieser Menschen kurzfristig verbessern?
    Myard: Zunächst indem wir ihnen Medikament und Nahrungsmittel liefern und dort, wo es möglich ist, Schulen einrichten. Das Embargo, das Europa und die Vereinigten Staaten verhängt haben, erschwert die Sache. Das Embargo verhindert, dass Medikamente nach Syrien geliefert werden können. Das ist nicht hinnehmbar. Jordanien und dem Libanon muss man wegen der Flüchtlinge selbstverständlich helfen. Wir müssen sehr pragmatisch sein. Wir müssen eine politische Lösung anstreben, auch wenn wir dabei mit Leuten sprechen müssen, die wir nicht mögen. Denn es stimmt: wenn eine politische Lösung herausgezögert wird, wird ein totale Destabilisierung dieser Region die Folge sein. Und wir - in Frankreich und Europa - werden das teuer bezahlen.
    Heinemann: Herr Abgeordneter, vielen Dank für das Gespräch.
    Myard: Das war für mich ein Vergnügen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.