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Brain Drain in Italien

Die chronisch klammen Zustände der italienischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen und die Aussichten auf ein jahrelanges Prekariat führen unter Studierenden und Hochschulabgängern zu immer größeren Zukunftsängsten. Der Suche nach einem zukünftigen Arbeitsplatz - auch im Ausland - kommt deshalb eine große Bedeutung zu.l

Von Thomas Migge | 20.10.2009
    Gewohnte Geräusche aus Italien: Studierende demonstrieren auf Straßen und Plätzen, fordern mehr staatliche Finanzmittel für Bildung und Forschung, protestieren gegen die ständigen Kürzungen für staatliche Hochschulen.

    Die chronisch klammen Zustände der italienischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen und die Aussichten auf ein jahrelanges Prekariat führen unter Studierenden und Hochschulabgängern zu immer größeren Zukunftsängsten. Wo arbeiten, wie lang prekär und für wie viel Geld? Auch Matteo macht sich Sorgen um seine Zukunft. In einigen Monaten macht er sein Diplom als Chemiker an der römischen Universität La Sapienza. Schon jetzt ist er auf der Suche nach einem zukünftigen Arbeitsplatz:

    "Ja, einen Arbeitsplatz werde ich schon bekommen: als Telefonist in einem Call-Center, als Taxifahrer oder Nachtportier in einem Hotel. Da habe ich einen große Auswahl."

    Matteo, der fließend spanisch spricht, überlegt sich deshalb, in Spanien nach einem Job zu suchen. Vielleicht, meint er, wird er ja dort fündig. Wie der junge Römer denken immer mehr Italiener. Das ergab jetzt die erste nationale Befragung zu den Zukunftsaussichten italienischer Hochschulabgänger, durchgeführt vom CNEL, dem nationalen Wirtschaftsrat in Zusammenarbeit mit dem Sozialforschungsinstitut IPSOS. Die Studie ergab, dass 63,2 Prozent aller befragten Hochschulabgänger vor allem im Ausland nach einem Arbeitsplatz suchen. 75 Prozent von ihnen gab an, dass es so gut wie aussichtslos sei, in Italien nach einem Job zu suchen. Diese Zahlen, meint Analisa de Castris vom IPSOS, seien mehr als nur besorgniserregend:

    "Unsere Bildungsministerin Gelmini und mit ihr die gesamte Regierung müssten angesichts dieser Zahlen eigentlich schlaflose Nächte haben, denn sie besagen ja nichts anderes, als dass das Gros unserer Hochschulabgänger Italien den Rücken zukehren will. 2007, das sind unsere letzten verfügbaren Zahlen, gingen 11.700 Hochschulabgänger, und das waren die besten, ins Ausland. Jede Universität und jede Forschungseinrichtung sollte sich bemühen, diese Leute bei sich unterzubringen."

    Einige Universitäten und Forschungseinrichtungen tun das auch. Ohne auf finanzielle Mittel von der Regierung zu warten. Doch es handelt sich primär um private Institutionen, die in der Regel keine Geldprobleme haben. So sucht das Mailänder Forschungskrankenhaus San Rafaele für seine federführende Abteilung Tumorforschung nach hoch qualifizierten Hochschulabgängern im Bereich Medizin. Angesehenen und wohlhabenden Einrichtungen wie dem San Rafaele gelingt es sogar, bereits ins Ausland abgewanderte Nachwuchswissenschaftler, die sich in den USA und anderswo einen Namen machen konnten, nach Italien zurückzuholen. Mit privat ausgehandelten lukrativen Gehältern, die ein wichtiger Anreiz zur Rückkehr sind. Private und auch einige wenige staatliche Forschungseinrichtungen, die in den Bereichen Medizin, Flugtechnik und Astrophysik international führend sind, locken italienische Wissenschaftsauswanderer auch mit einem anderen Anreizen in die Heimat zurück, berichtet Luciano Viganò, der vor einigen Monaten aus den USA nach Rom zurückgekommen ist, um am astrophysikalischen Institut in Frascati, einem der angesehensten seiner Art, zu arbeiten:

    "Unsere Politiker sehen in den Unis und Forschungseinrichtungen nur Objekte, für die man Geld ausgeben muss. Wenn man, wie in meinem Fall, gezielt Nachwuchswissenschaftler mit interessanten Arbeitsverträgen und erstklassigen Forschungslaboratorien anlockt, dann kommen wir gern wieder zurück. Aber solche Lockversuche sind selten in Italien und werden vom Bildungsministerium nicht unterstützt. Hier ist wirklich eine Reform nötig."

    Die würde aber Geld kosten und deshalb ist an eine staatliche Unterstützung von Universitäten und Forschungseinrichtungen, die brilliante Köpfe wieder ins Land zurückholen wollen, dafür aber nicht die nötigen Finanzmittel haben, derzeit nicht zu denken. Sparen ist ja angesagt, auch wenn auf diese Weise das Image und die Qualität von Italiens Forschungseinrichtungen immer schlechter werden. So versucht man auf eigene Faust die, wie sie in Italien genannt wird, "Flucht der Hirne" aufzuhalten. Aber nur wenige staatliche Bildungs- und Forschungseinrichtungen verfügen noch über Finanzmittel, um helle Köpfe an sich zu binden oder die bereits im Ausland arbeitenden wieder ins Land zu holen.