Aus den Feuilletons

Fixpunkt Heimat

Ein Gartenzwerg steht in Dresden (Sachen) auf einer Wiese mit vielen Krokussen.
Heimat - mehr als muffige Gemütlichkeit © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Von Gregor Sander · 06.07.2017
Bewahren, verändern, konservieren? In einer sich rasant verändernden Welt wächst die Sehnsucht nach einer heilen Gegenwelt. Die Feuilletons beschäftigen sich blätterübergreifend mit dem Begriff der Heimat.
"Das Heikle an der Heimat ist, dass von ihr nur reden sollte, wer des paradoxen Denkens fähig ist. Er sollte wissen, dass das, was er bewahren möchte, nicht unverändert zu bewahren ist – und es dennoch versuchen,"
stellt Thea Dorn in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG fest, aber das paradoxe Denken ist für Feuilletonisten natürlich kein Problem.
"Wer sich in Deutschland einbürgern lässt, wird auch die Last tragen müssen, Deutscher zu sein. Spätestens in Auschwitz wird er spüren, was das bedeutet",
stellt Navid Kermani in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG fest. Denn in der Gedenkstätte muss sich jeder Teilnehmer einer Führung seine Nationalität an die Brust heften. Für den in Siegen geborenen Deutschen, mit Wurzeln im Iran - ein eindrückliches Erlebnis.

"Ja, ich gehörte dazu"

"Instinktiv holte ich Luft, bevor ich den Aufkleber an die Brust heftete, auf dem schwarz auf weiß ein einziges Wort stand: deutsch. Das war es, diese Handlung, von da an wie ein Geständnis der Schriftzug auf meiner Brust: deutsch. Ja, ich gehörte dazu, nicht durch die Herkunft, durch blonde Haare, arisches Blut oder so einen Mist, sondern schlicht durch die Sprache, damit die Kultur."
Einen Eklat nennt die TAZ die Frankfurter Poetik-Vorlesungen von Michael Kleeberg. Auch dabei geht es um die Heimat des Schriftstellers, und den Zuzug von anderen in dieselbe, oder wie Kleeberg es in seiner Vorlesung ausdrückt:
"Das Aufeinandertreffen einer Mehrheitsidentität, die sich auflösen, mit einer Minderheitsidentität, die sich durchsetzen will, ist keine gute Voraussetzung für die Integration von Zuwanderung in einem Einwanderungsland."
Unter anderem diese Äußerung rief Susanne Komfort-Hein, die Geschäftsführerin der Frankfurter Poetikvorlesungen auf den Plan, die laut Rudolf Walter von der TAZ etwas Ungewöhnliches tat:
"Zu Beginn der vierten Vorlesung verlas sie eine Stellungnahme, in der sie klarstellte, dass Institutionen wie die Universität eine Verantwortung dafür tragen, wie die Meinungsfreiheit innerhalb ihrer Mauern ausgeübt wird. Sie distanzierte sich vom inneren Ringen des Staatsbürgers Kleeberg mit dem Autor Kleeberg."
Für Andreas Platthaus von der FAZ war das zu viel Meinungsäußerung ohne Diskussion. Enttäuscht stellt er fest:
"Dass alle Beteiligten offenbar vor einem Schlagabtausch zurückschreckten, weil das Thema ‚unbedingte Sensibilität für unsere Sprachregelungen‘ (so Komfort-Hein in ihrer Stellungnahme vom 27. Juni) erfordere, womit aber ein offenes Gespräch zumindest schwierig wird."

Die Macht der Sprache

Der österreichische Autor Franzobel stellt in seiner "Klagenfurter Rede zur Literatur 2017", die die Tageszeitung DIE WELT abdruckt, klar:
"Literatur ist KAMPF"
Und er traut dem gedruckten Wort auch in digitalen Zeiten einiges zu:
"Literatur speichert Erfahrungen und Empfindungen schneller als die Gene. Sie darf Dinge anders sehen, aussprechen, neu bewerten, Utopien entwerfen, unvernünftig und verrückt sein. Sie darf Dinge zurechtrücken, was gerade ziemlich notwendig zu sein scheint, denn die Welt ist ein übel riechender Schweinetrog geworden, an dem sich ein paar wirkliche dicke Säue laben."

Sehnsucht nach der Gegenwelt

Und was ist mit der Heimat? Der wurde jetzt in Hamburg ein Stück Dänemark zugefügt, glücklicherweise nur im übertragenen Sinne. Hygge, heißt auf Dänisch in etwa Gemütlichkeit und Hygge ist hierzulande jetzt so Trend, dass "Gruner und Jahr" ein ganzes Magazin mit dem Titel "Hygge" auf den Markt gebracht hat. Für Susanne Kippenberger vom Berliner TAGESSPIEGEL nicht völlig unverständlich, denn:
"Je dramatischer die Wirklichkeit, desto größer die Sehnsucht nach einer heilen Gegenwelt."
Hygge sei allerdings auf gar keinen Fall die Lösung, denn nach der Lektüre stellt Kippenberger fest:
"162 Seiten Heilsversprechen und geballte Fröhlichkeit, 'Abendbrot beim Abendrot' und Auf-ewig-Sommerferien-Feeling, dieses ganze Zimtschneckenbacken, Tomateneinwecken und Sich-selig-Singen haben mich ganz unhyggelig aggressiv gemacht."