Zum Tod des Journalisten Ulrich Kienzle

Ein Weltbürger, der den Zuschauer an die Hand nahm

07:49 Minuten
Der ZDF-Journalist Ulrich Kienzle.
Der Journalist Ulrich Kienzle ist im Alter von 83 Jahren gestorben. © picture alliance/dpa/Revierfoto
Michael Lüders im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 17.04.2020
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Ulrich Kienzle hatte ein Gesicht, das in den 80er- und 90er-Jahren jeder, der Fernsehen schaute, kannte: Im ZDF moderierte er das Auslandsmagazin "Kompass" und das Politikmagazin "Frontal". Nun ist der Nahost-Experte im Alter von 83 Jahren gestorben.
"Das Entscheidende bei Ulrich Kienzle scheint mir zu sein: Wenn man sich auf die Region einlässt, dass man dies vorbehaltlos tut, dass man die Realitäten nicht geschönt und dass man auch einen Blick hat für den Alltag der Menschen, für ihre Sorgen", sagt der Politik- und Islamwissenschaftler Michael Lüders über den verstorbenen ZDF-Journalisten Ulrich Kienzle.
Kienzle berichtete viele Jahre als Korrespondent im Nahen Osten. "Er war jemand, der als einer der ganz wenigen, großen deutschen Journalisten es verstanden hat, diese doch fremde Welt in die deutschen Fernsehzimmer zu bringen und das ganz ohne pädagogische Überzeugungsarbeit", so Lüders, der den Journalisten persönlich gekannt hat. "Er war der Meinung: 'Das ist eine spannende Welt, in der ich mich bewege und ich möchte den deutschen Fernsehzuschauer daran teilhaben lassen'."

Journalist ohne politische Agenda

Kienzle machte sich für seine politische Berichterstattung einen Namen, wurde aber auch immer wieder kritisiert. Zum Beispiel als er den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi traf und auf das Treffen vor Ort sogar vier Wochen wartete. Solche Kritik habe ihn aber nicht beeindruckt, sagt Lüders: "Er hat das eher anekdotisch wiedergegeben. Es ist ja auch klar als Journalist, dass man bei Leuten wie Gaddafi wochenlang hingehalten wurde. Das unterstrich ja die vermeintliche Wichtigkeit solcher Machthaber und das war Teil des Spiels, darauf muss man sich einlassen als Journalist."
Kienzle sei Journalist ohne politische Agenda gewesen. Ihm sei wichtig gewesen, immer vor Ort wirklich herauszufinden, was passiert sei, so Lüders:
"Ich glaube, dass Ulrich Kienzle Journalist war zu einer Zeit, die wir uns heute, als jüngere Menschen, in der Form gar nicht vorstellen können. Es war die Zeit vor dem Internet und es war damals dringend erforderlich für Journalisten, die ihren Job ernst genommen haben, dass sie wirklich vor Ort umfassend recherchieren und riechen und schmecken, wie sich die Orte, aus denen sie berichten, anfühlen."

Kienzle ließ sich nicht einschüchtern

Bei Mächtigen hat sich Kienzle mit seiner Berichterstattung nicht immer beliebt gemacht. Als er 1976 berichtete, dass die israelische Regierung im Libanonkrieg die christlichen Maroniten unterstützt habe, beschwerte sich der israelische Botschafter wegen dieser Berichterstattung beim SWR-Intendanten. Kienzle musste seine Korrespondentenstelle in Beirut räumen und ging nach Südafrika. "Er hat sich davon nicht irritieren lassen", sagt Lüders. Aus Südafrika habe Kienzle genauso kritisch berichtet.
"Ulrich Kienzle war nach meiner Überzeugung ein grand homme. Jemand, der die Welt betrachtet hat in dem Bewusstsein: Ich kann es nicht ändern, was dort passiert, was es für Ungerechtigkeiten gibt, aber ich möchte meinen Zuschauern vermitteln, was da draußen passiert." Er sei ein "Weltbürger" gewesen, der es verstanden habe "den Zuschauer an die Hand zu nehmen, um teilzuhaben, was in der großen weiten Welt passiert", sagt Lüders.
(nho)
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