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Vor 75 Jahren: Winterspiele unterm Hakenkreuz

Genau 75 Jahre ist es her, dass die Olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen stattfanden. Sie waren nicht nur die Ouvertüre zu Hitlers Propaganda- und Vorzeigespielen in Berlin 1936, sondern auch die ersten und bisher einzigen Olympischen Winterspiele in Deutschland.

Von Gerd Michalek | 06.02.2011
    Im Februar 1936 – ein halbes Jahr vor den Sommerspielen in Berlin – fanden erstmals Spiele unterm Hakenkeuz statt - vor insgesamt 500.000 Zuschauern in Garmisch-Partenkirchen.

    "Immer dichter wird der Flockentanz, die Menge - turmhoch zur linken wie zur rechten - verschwimmen im Schneefall."
    Marschmusik begleitete die 28 teilnehmenden Sport-Nationen, als Karl Ritter von Halt, Präsident des Organisationskomitees, am 6. Februar 1936 zur Eröffnung sprach:

    "Wir Deutsche wollen der Welt auch auf diese Weise zeigen, dass wir die Olympischen Spiele getreu dem Befehle unseres Führers und Reichskanzlers zu einem wahren Fest des Friedens und der aufrichtigen Verständigung der Völker gestalten wollen."

    Die Worte des Organisationschefs klangen deutlich nach Verteidigung - so als spürte das Nazi-Regime Gegenwind bei der Durchführung Olympischer Winterspiele. In der Tat hatten deutsche Emigranten und jüdische Organisationen in den USA zum Boykott aufgerufen.
    Unterm Strich blieben mahnende Stimmen jedoch in der Minderheit - auch innerhalb des Internationalen Olympischen Kommitees. Das IOC schloss im Februar 36 das amerikanische Mitglied Lee Jahnke gerade deshalb aus, weil Jahnke zum Boykott der Spiele in Berlin aufgerufen hatte! In Garmisch täuschte das Nazi-Regime indes große Harmonie vor, indem es einzelne jüdische Athleten im deutschen Team starten ließ.

    Vor dem sportlichen Wettkampf gab es handfesten Streit um die Alpin-Skifahrer, die ihre Olympia-Premiere feierten: Das IOC pochte auf dem Amateur-Status und verwehrte Skilehrern die Olympia-Teilnahme. Aus Protest zogen Österreich und Schweiz ihre Alpin-Mannschaften zurück. Zum ersten Mal durften Skiläuferinnen um Olympische Medaillen kämpfen - aber nur in der alpinen Kombination von Abfahrtslauf und Slalom.
    Das Renntempo war 1936 vergleichsweise bescheiden. Und doch ist aus heutiger Sicht kaum vorstellbar: Die deutsche Christl Cranz war im Abfahrtslauf gestürzt, dann weitergefahren und schließlich im Slalom in der Lage, 19 Sekunden zur führenden Norwegerin Laila Schou Nilsen aufzuholen!

    "Sie jagt den Hang hinunter, wunderbar, das schönste Bild, das wir bisher von einer Frau am Slalomhang sehen, das Tempo forciert sie, sie geht durch das blaue Tor, durch das rote Tor. In rasanter Fahrt schwingt sie hinunter. Jetzt durch das Schlusstor, Ziel!"

    Auch bei den Herren beeindruckte ein deutscher Rennläufer:

    "Franz Pfnür, der dem Norweger nacheilt – Birger Ruud, der Sieger im Abfahrtslauf hat bisher eine schnellere Fahrt gehabt. Franz Pfnür fährt vorsichtiger als Birger, nicht so schnell, nimmt die Tore ausgezeichnet, sieht ganz genau, wie er fahren muss, wenn er das eine Tor durchfahren hat, sieht er, wie er das nächste fahren muss – noch das letzte Tor, die Zeit ist viel besser."

    Am Ende gewannen sowohl Christl Cranz wie auch Franz Pfnür - den alpinen Kombinationslauf. Das dritte deutsche Gold ging an das Garmischer Eiskunst-Paar Maxi Herber und Ernst Baier.
    Überraschend endete der Eishockeywettbewerb: Weder die USA – noch das sieggewohnte Kanada hatte am Ende die Nase vorn – sondern: Großbritannien. Gegen das britische Team erzielte die deutsche Mannschaft einen Achtungserfolg mit 1:1. Das Geschehen auf dem Eis wurde kommentiert als wäre man an einem Kriegsschauplatz!

    "Der englische Torhüter hält, Deutschland stürmt mit vier Mann und will den Ausgleich erzwingen. Kampf vor dem englischen Tor. Unerhörte Situationen… Es will und will nicht gelingen. Der englische Torhüter wehrt mit dem Schlittschuh ab, Schuss, abgewehrt, Nachschuss, abgewehrt. Tor. Tor."

    Die Briten mussten allerdings zugeben, dass zehn ihrer zwölf Topspieler aus Kanada stammten. Es folgte ein Protest der Konkurrenz – doch ohne Erfolg. Soweit die sportliche Seite der Spiele.

    Dem Naziregime war es in Garmisch gelungen, mit friedvollen Gesten die Weltöffentlichkeit zu täuschen. Das IOC beauftragte Hitler-Deutschland im Juni 1939 erneut mit der Durchführung von Winterspielen. Es glaubte allen Ernstes, dass ein Staat, der die Zusage für die Winterspiele 1940 erhält, keinen Krieg beginnen würde. Da irrte sich das IOC gewaltig! Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg.

    Ironie der Geschichte: Für die geplanten Winterspiele 1940, die dann kriegsbedingt ausfielen, hatte das Nazi-Regime in Garmisch mehrere Grundbesitzer enteignet. Ihre Familien stehen erneut im Blickpunkt beim Streit um die Olympiabewerbung München 2018. Dazu der Rechtsanwalt Ludwig Seitz, dessen 63 Mandanten ihr Land für 2018 nicht zur Verfügung stellen wollen.

    "Unter meinen Mandanten sind Grundstückseigentümer, die damals schon mit Blick auf die Folge–Olympiade nach 1936 enteignet wurden, und die übrigens nach dem Zweiten Weltkrieg trotz flehendlicher Bitten nichts von ihren Ländereien zurückbekommen haben."