Alice Schwarzer: "Transsexualität"

Auf dem Rücken einer Minderheit wird Stimmung gemacht

07:01 Minuten
Das Cover des Buchs "Transsexualität" von den beiden Herausgeberinnen Alice Schwarzer und Chantal Louis.
© Kiepenheuer & Witsch
Transsexualität. Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? Eine StreitschriftKiepenheuer & Witsch, Köln 2022

224 Seiten

15,00 Euro

Von Susanne Billig · 12.04.2022
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In ihrem neuen Buch positioniert sich Alice Schwarzer mit ihren Co-Autorinnen zur Transsexualität, doch darin fehlen viele Fakten und damit bleibt auch Aufklärung aus. Dafür gibt das Buch einen Einblick ins Denken der streitbaren Feministin.
In „Transsexualität“ deklinieren Alice Schwarzer und Chantal Louis genau eine These durch: Danach gibt es nur wenige echt transidentische Menschen. Wenn die Zahl Jugendlicher explosionsartig steigt, die meinen, trans zu sein, liege es an rigiden Rollenklischees. Sollte ein neues Selbstbestimmungsgesetz ihnen invasive Behandlungen erlauben, mache sich die Gesellschaft schwer schuldig.
Gesicherte Fakten gibt es nicht
Die Herausgeberinnen steuern eigene Texte bei, lassen Psychotherapeutinnen zu Wort kommen, Mediziner, trans Menschen, die eine Radikalisierung der Szene beklagen, und junge Erwachsene, die ihre Geschlechtsangleichung wieder rückgängig gemacht haben. Einige der differenzierteren Texte kommen aus Philosophie und Literatur, aber nur selten präsentiert das Buch Studien zur Faktenlage.
Wer diesen hinterher recherchiert, landet in einem Wust an Debatten um ihre wissenschaftliche Solidität. Selbst Laien erkennen schnell: Es gibt keine gesicherte Faktenlage. Niemand weiß genau, wie viele Jugendliche trans sind, ob ihre Zahl ab- oder zunimmt und warum das vielleicht so ist.
Zahlreiche Floskeln
Um das zu verschleiern, arbeiten die Autoren mit Floskeln: „Immer häufiger“ könnten Psychologinnen beobachten, „immer mehr Kinder“ fühlten dies oder das, „immer öfter“ sähen sich Eltern konfrontiert. Das ist dutzendfach im Buch zu lesen.
Dazu kommt die Schilderung skandalöser Einzelfälle: Männer, die sich als Frauen getarnt Zugang zu Sammelumkleidekabinen verschaffen oder in Frauenhaftanstalten weibliche Mithäftlinge vergewaltigen. Das ist, man muss es sagen, der Stil der Massenblätter, deren Nähe Schwarzer seit Jahrzehnten sucht.
Misston des Kulturkampfes
Kein vernünftiger Mensch kann es wollen, dass Jugendliche gravierende Fehlentscheidungen treffen, in welche Richtung auch immer. Gleichzeitig ist es angesichts ihrer unseligen Historie nur sinnvoll, der Medizin nicht allein die Deutungshoheit zu überlassen. Was also tun? Das gälte es auszuloten. Stattdessen durchzieht der Misston des Kulturkampfes das gesamte Buch.
Hinter den angeblichen Fehlentwicklungen, die das Buch beschwört, stehen für Schwarzer und ihre Mitstreitenden queerer LGBTIQ*-Wahn – mein Gott, wie lächerlich viele Buchstaben – und Politiker, die schon in der Pädophiliedebatte versagt und daraus angeblich nichts gelernt haben. Narzisstische Trans-Apologetinnen wollen schon die Jüngsten indoktrinieren und Judith Butler uns einreden, wir wüssten nicht mehr, was ein Mann ist und was eine Frau. Sieht man doch.
Kritik bestärkt Alice Schwarzer  
Viel Feind, viel Ehr. Nach diesem Motto scheint Schwarzer seit Jahrzehnten zu leben. Die Kritik an ihrem Buch wird sie eher bestärken, als nachdenklich machen. Hinzukommt, dass sie derzeit immer wieder altersdiskriminierend angegriffen wird – als wäre eine 80-jährige Frau nicht in der Lage, frisch und differenziert zu denken.
Doch am Alter liegt es nicht. Es liegt am Denken. Alice Schwarzer macht auf dem Rücken einer der am stärksten diskriminierten Minderheiten unserer Gesellschaft Auflage und Stimmung. Wie unsympathisch. Und wie wenig hilfreich.

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