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Vom Schmierpapier zum Monitor

Von den Anfängen der Videokunst in den 70er Jahren wird bald nicht mehr viel übrig bleiben, wenn man die Bänder nicht digitalisiert. Denn deren magnetische Trägerschicht beginnt sich aufzulösen. "Das im Entwischen Erwischte - Pläne 1975-1983" - mit dieser Ausstellung erinnert nun die Bremer Kunsthalle an Marcel Odenbach, einen Pionier der Videokunst.

Von Rainer Berthold Schossig | 21.04.2008
    Ein Blick zurück ohne Zorn, auf Ursprünge und Anfänge, ist diese Ausstellung, auch für Marcel Odenbach selbst, der seine ersten künstlerischen Gehversuche zeigt: "Pläne" nannte der damals 20-jährige Architekturstudent seine krakeligen, autobiografisch-therapeutischen Selbst- und Alltagsbetrachtungen - eher romantisch-revolutionäre Tagebuchtexte als tragfähige Bild-Konzepte. Erstmals werden diese "Pläne" jetzt in Bremen komplett gezeigt, seien sie nun realisiert oder nicht. Früh begann der in eine ordentliche Kölner Familie Hineingeborene, nicht nur sich, sondern die Welt verbessern zu wollen - durch Kunst:

    "Dieses Weltverändernde habe ich ja immer noch so ein bisschen. Als kritischer Bürger, der viel verreist und sich mit anderen Kulturen auseinandergesetzt hat, kommt man immer zurück und möchte was verändern, sich gegen was wehren, sich engagieren. Aber, dieses Didaktische, dass ich nicht gesagt habe: Okay, die Bilder sprechen für sich selbst, das ist mir im Nachhinein doch ein bisschen peinlich."

    Ein hervorstechendes Merkmal Marcel Odenbachs ist seine geradezu entwaffnende Ehrlichkeit. Eine seiner frühesten Zeichnungen aus dem Jahr 1975 zeigt einen Ohr-Clip. Darunter hat er in braver Oberschulschönschreibschrift notiert: "Dinge, die zu mir gehören, so wie ich zu den Dingen gehöre: der silberne Ohrring - ein Versuch, mein Geschlecht zu verschleiern." Heute schämt sich der Künstler zwar solch eines therapeutischen Kunstansatzes nicht mehr, aber er sieht seine überengagierten Anfänge kritisch:

    "Das hat mit einer Person zu tun, die ich hinter mir gelassen habe: ein Mensch, der nicht genau wusste, wohin er wollte, und eigentlich nicht mutig genug war, zu sagen: Nein, ich werde Künstler. Es ist auch ein Mensch gewesen, der sich stark politisch engagiert hat, aber auch aus einem bürgerlichen Haus kommt, sich nicht konsequent davon getrennt, eine Person, die eine Zeit gebraucht hat, zu sagen: Das bin ich!"

    Das Motiv persönlicher Selbsterkenntnis und Identitätssuche zieht sich wie ein roter Faden durch die Video- und Installations-Projekte des Künstlers. Es steckt auch hinter seinen bis heute andauernden weit ausgreifenden Studienreisen, auf denen er sich die Themen für immer neue interkulturelle Projekte sucht. Vor allem auf dem schwarzen Kontinent ist er oft fündig geworden. Und dies liegt auch an seiner belgischen Großmutter:

    "Mein Vater ist in Holland, mein Großvater in Paris geboren, meine Großmutter ist in Wien geboren, meine andere Großmutter in Belgien. Eigentlich bin ich gar nicht so deutsch, und hatte auch diesen komischen Namen Marcel. Das heißt, ich war Deutscher, ohne wirklich diese deutsche Vergangenheit gehabt zu haben, und das hat mich geöffnet für die Frage: was heißt Identität, was deutsch sein, was heißt Geschichte, und was Verantwortung zu zeigen."

    Was Marcel Odenbach heute ist, kann der Besucher der Bremer Ausstellung vor allem an einer Reihe neuerer Videoinstallationen in Augenschein nehmen. Im Mittelpunkt eines seiner Hauptwerke: "Ach, wie gut, dass niemand weiß" aus dem Jahr 1999. Die großformatige Vierfach-Projektion verschränkt historische Aufnahmen der Ermordung Martin Luther-Kings und der Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg aus dem Jahr 1968 mit eigenen Bildern. Ein Schwarzer und ein Weißer ziehen sich Turnschuhe an und springen mit der Kamera aufs Trampolin. Der eine filmt Luther-King, der andere Ohnesorg. So werden die historischen Bilder buchstäblich zum Tanzen gebracht. Medienkritik hinter kulinarischen Oberflächen:

    "Was mich immer sehr stark geprägt hat, (...) war die Fragestellung, was hat das Fernsehen für eine Bedeutung, wie gehen Medien mit Bildern um? Das politische Fernsehen, die Konfrontation mit Krieg und Gewalt hat mich immer sehr stark interessiert. (...) Da sieht man, wie grauenhaft der Umgang mit politischen Bildern im deutschen Fernsehen geworden ist, wie unreflektiert, wie unterhaltsam und wie unkritisch mit Bildern umgegangen wird."

    Sehr persönliche, emotionale Nähe und kritische Distanz verschmelzen in Marcel Odenbachs Arbeiten zu einer faszinierenden Mischung aus Aktualität und Geschichte.