Berichte aus Rheinland-PfalzVon Menschen, Reben und Kontroversen

Anfangs war Anke Petermann skeptisch, ob es in Rheinland-Pfalz überhaupt Probleme gebe, „über die sich zu berichten lohnt“. Doch in ihrem Bundesland trifft die Korrespondentin auf mehr Umbruch, als vermutet.

Porträt: Anke Petermann
Anke Petermann (Deutschlandradio / Bettina Fürst-Fastré)
Am Anfang war Skepsis gegenüber dem Bundesland, das ich von 2002 an als Inlandskorrespondentin fürs Deutschlandradio erkunden sollte. „Gibt’s in Rheinland-Pfalz überhaupt Probleme, über die sich zu berichten lohnt“, fragte ich mich. Und: „Ist hier nicht alles gemütlich-beschaulich-langweilig?“ Fast zehn Jahre lang war ich zuvor Korrespondentin in Sachsen-Anhalt gewesen, hatte über existenzielle Sorgen und neue Chancen berichtet. Kurz: über den mühsamen Weg in ein wiedervereinigtes Deutschland.
Die ‚gut Stubb‘ der Republik?
Rheinland-Pfalz kam mir aus der Entfernung vor wie die gute Stube der Republik. Gemütlich, einladend – langweilig. Reben und Rüben – Weingenuss und Bodenständigkeit. Beck und die SPD – ein fast unerschütterliches rotes Königreich. Wenn es hoch kam, bekam dessen Wappen mal gelbe und mal grüne Einsprengsel. Sollte das alles sein, was sich in Rheinland-Pfalz bewegte? Tatsächlich aber traf ich auf enorme Umbrüche nach dem Abzug der US-Militärs aus Bitburg und Pirmasens und im Mittelrheintal auf Winzergenossenschaften, die die Kellertüren für immer dicht machten. Auf Menschen, die es anpackten.
Mehr Umbruch als vermutet
Kommunalpolitiker und Initiativen, die neue Wohn- und Wirtschaftskonzepte für veränderte Stadtlandschaften ausheckten. Qualitätswinzer, die sich zusammenschlossen, um Weinberge und Dörfer wiederzubeleben. Aber ich erlebte auch Anlässe für politischen Vertrauensverlust der Rheinland-Pfälzer: die Nürburgring-Affäre und die gescheiterte Privatisierung des Flughafens Hahn. Vielleicht hat man unlängst noch einmal einen Langfrist-Effekt der vergangenen Skandale erlebt: In einem Bürgerentscheid lehnten fast 80 Prozent der beteiligten Mainzer den Bau des ‚Bibelturms‘ als Schatzkammer für die Gutenberg-Bibeln ab. 2006 kehrte ich Rheinland-Pfalz beruflich den Rücken, vorübergehend. Pendelte sieben Jahre lang ‚über die Brück‘, nach Wiesbaden, als Landeskorrespondentin für Hessen. Im Ypsilanti-Koch-Duell lernte ich andere Schärfegrade politischer Kontroverse kennen, als ich das aus dem versöhnlich gestimmten Mainz gewohnt war.
Anstandslos reintegriert
Den Ausflug zu den ‚Muckern und Philistern‘, den angeblich Humorlosen auf der ‚ebsch Seit’‘, der falschen Rheinseite, haben mir Mainzer und Rheinland-Pfälzer vergeben und mich 2014 anstandslos reintegriert. „Völkermühle Europas“ nannte Carl Zuckmayer den Landstrich am Rhein. Deren integrativen Qualitäten habe ich vor allem ab 2015 kennengelernt. Zahllose Willkommensinitiativen für Flüchtlinge, Patenschaften, Gemeinschaftsaktionen vom Kochen bis zum Sportfest. Als Modelldorf, das sich früher als andere um die Neuankömmlinge kümmerte, habe ich das rheinhessische Dorf Jugenheim begleitet.
Die ‚Völkermühle‘ am Rhein
Wie in einem Brennglas beobachte ich dort seit fast drei Jahren, wie Ehrenamtliche die Flüchtlingsaufnahme weitsichtig organisieren und die ‚Neuen‘ vorurteilsfrei aufnehmen. Wie einheimische und zugewanderte Jugenheimer Rückschläge verkraften. Derzeit hat das Thema weit weniger Konjunktur. Doch wenn ich gelegentlich darüber berichte, habe ich jetzt lange Entwicklungslinien im Hinterkopf, muss mich nicht auf punktuelle Eindrücke verlassen.
2018, Jahr der großen Männer aus Rheinland-Pfalz
Letztes großes Thema vor Redaktionsschluss: das Marx-Jubiläum in Trier. Davor: das Raiffeisen-Jubiläum im Westerwald. Der Vordenker des Kommunismus und der Begründer des Genossenschaftswesens – beide Jahrgang 1818. Der eine Umstürzler, der andere Sozialreformer. Noch ein bisschen länger her: Vor 450 Jahren starb Gutenberg, Erfinder des Drucks mit beweglichen Lettern – Voraussetzung für systematischen Wissenserwerb, Aufklärung – und Demokratie.
Zeitlose Frauenpower
Ganz lebendig haben dagegen zwei Frauen gezeigt, wie man Landesverbände von Parteien aus politischen Krisen führt: Malu Dreyer für die SPD, Julia Klöckner für die CDU. Die eine Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, die andere Bundeslandwirtschaftsministerin. So viel Kraft der Veränderung in der Geschichte, so viel Frauenpower in der Neuzeit. Rheinland-Pfalz, eine inspirierende ‚gute Stube‘.
Anke Petermann,
Landeskorrespondentin Rheinland-Pfalz